"Flüchtlingsfrage ist das Problem"

Anneliese und Josef Ratzenböck
Der Altlandeshauptmann hält den europäischen Einigungsprozess trotz der momentanen Krise für unaufhaltsam. Im Mai übergibt er die Senioren an Josef Pühringer.

Josef Ratzenböck wird am 15. April 88. Er war von 1977 bis 1995 Landeshauptmann. Ihm folgte Josef Pühringer (67), der nach 22 Jahren am 6. April abtritt.

KURIER: Sind Sie mit Ihrem Nachfolger zufrieden?Josef Ratzenböck: Sehr. Aufgrund der Leistung, die er erbracht hat und zufrieden mit der Regelung der Nachfolge. Ich halte Thomas Stelzer für einen überaus tüchtigen Mann. Er signalisiert Beständigkeit und ist gegenüber Neuerungen offen.

Unmittelbar nach der Landtagswahl gab es Streit. Es gab Spannungen zwischen Stelzer und Michael Strugl, die sich inzwischen gelegt haben.

Das sind Schwierigkeiten, die bei jeder Nachfolge auftreten, die aber nicht nachhaltig sind. Sie sind vergessen, wenn Klarheit in der Nachfolge herrscht.

Ist die Position des Landeshauptmannes so attraktiv, dass sich mehrere darum drängen?

Sicherlich. Das ist eine der wichtigsten Positionen, die in unserer Republik vergeben werden.

Hat es bei Ihrer Kür 1977 auch mehrere Interessenten gegeben?

Nein, ich habe keine Konkurrenten gehabt.

Anneliese Ratzenböck: Landeshauptmannstellvertreter war Gerhard Possart. Er hat sofort gesagt, Ratzenböck, das musst Du machen.

Als Josef Pühringer 1995 Ihr Nachfolger wurde, gab es mit Christoph Leitl einen weiteren Interessenten.

Leitl ist so wie Strugl Landeshauptmannstellvertreter geworden, zusätzlich noch mit dem Finanzressort. Die beiden haben dann ein Miteinander gefunden. Bis Leitl auf die Bundesebene ausgewichen ist. Er hat seine Karriere in Wien gemacht.

Für Sie war relativ bald klar, dass Pühringer ein Nachfolgekandidat ist. Als er als Landesobmann der Jungen ÖVP abgetreten ist, haben Sie gesagt, dieser Mann ist für Höheres berufen.

Er hat in der Landesregierung heikle Ressorts gehabt und dort Bewährungsproben absolviert. Er hat Entscheidungen durchgebracht die nicht leicht zu treffen gewesen sind. So in der Frage der Mülldeponie. Als Lösung hat sich dann die Müllverbrennung in Wels herausgestellt. Das war gescheit. Die Sachverständigen haben gesagt, wir brauchen eine Deponie. Damals waren wir noch sachverständigen-gläubig. Das hat inzwischen ein bisschen nachgelassen.

Was sollte im Land gemacht werden, wenn Sie auf Oberösterreich schauen?

Ehrlich gesagt, zerbreche ich mir jetzt mit 88 Jahren nicht mehr den Kopf darüber. Das ist die Aufgabe der Jungen, die jetzt nachkommen und die manches anders sehen als wir Alten.

Sie kommen viel herum, Sie fahren zu vielen Versammlungen.

Derzeit bewegt die Leute nicht so sehr, wie es weitergeht, sondern wie wir die Gegenwart, die Frage der Flüchtlinge, bewältigen. Das ist immer noch das Thema schlechthin, obwohl es spürbar ruhiger geworden ist. Nicht nur die ÖVP, sondern auch die anderen Parteien zeigen, dass sie wissen, was die Leute bewegt. Sie wissen, dass das derzeit das Problem schlechthin ist.

Sie haben zuletzt stets betont, Sie seien als Obmann des Seniorenbundes nur mehr ein Statthalter für Josef Pühringer. Wie lange werden Sie es noch machen?

Die Übergabe wird im Mai vollzogen.

Was werden Sie dann machen?Anneliese Ratzenböck: A Ruh geb’n. (beide lachen)

Josef Ratzenböck: Ich habe die Tätigkeit als Landeshauptmann nicht schlagartig beendet. Ich beabsichtige auch nicht, als Landesobmann des Seniorenbundes schlagartig von der Bühne zu verschwinden. Ich bin immer noch in unseren Ortsgruppen sehr gefragt und kann mich der Termine nicht erwehren. Deshalb wird man mich zum Ehrenobmann machen und ich werde Jose f Pühringer unterstützen. Damit nicht alles wie eine Urgewalt über ihn hereinbricht. Und er in diese Aufgabe hineinwächst.

Es macht Ihnen immer noch Freude?

Ja. Aber es wird mit dem Alter immer etwas mühseliger und er verringert sich dann die Arbeit von selber.

Sie waren die vergangene Woche in Lech am Arlberg. Fahren Sie noch Ski?

Nein. Ich habe mit 80 Jahren aufgehört. Die Kinder fahren und wir reden vom Skifahren. (lacht)

Anneliese Ratzenböck: Wir gehen spazieren und genießen das Zusammensein mit der gesamten Familie. Da wird geredet und erzählt. Nach meinem Sturz 2012 habe ich sofort verlangt, dass sie die Skischuhe wegwerfen. Wenn ich noch Skischuhe hätte, hätte ich es vielleicht wieder probiert. Ohne Schuhe geht’s nicht.

Auf europäischer Ebene werden die nationalen Strömungen stärker. Wie sehen Sie die Entwicklung der EU?

Es könnte viel ärger sein. Nachdem wir in Europa 1000 Jahre Krieg geführt haben, ist es kein Wunder, wenn wir Anpassungsschwierigkeiten haben. Die EU ist die beste Idee, die man in Europa haben kann. Endlich müssen wir nicht mehr Krieg führen. Wir haben bisher aus den nichtigsten Gründen immer Krieg geführt. Wir Österreicher waren Hauptbeteiligte. Solange wir eine Macht gewesen sind, haben wir Kriege geführt.

Ich bin im November 1944 mit fünfzehneinhalb Jahren eingerückt. Aus meiner Schulklasse, der sechsten Klasse des Akademischen Gymnasiums in Linz, sind noch sechs gefallen. Wir haben erlebt, wie die Städte bombardiert worden sind. In der Linzer Figulystraße waren so schwere Treffer, dass auf der Straße der Schutt so hoch gelegen ist, dass ein Tunnel gebaut worden ist, um die andere Straßenseite zu erreichen. Wir hatten in Neukirchen zwei Nachbarn. Der auf der Westseite hat drei Söhne verloren, der auf der Ostseite vier Söhne. In einer Familie in Veitsberg sind fünf Söhne gefallen. Die einzige Chance, Kriege zu vermeiden, ist miteinander auszukommen.

Europa ist aus meiner Sicht nicht gefährdet, weil die Jungen Europäer geworden sind. Sie könnten nicht verstehen, dass wir wieder verschiedene Währungen haben und wir wieder Geld wechseln müssen.

Die Krise ist eine vorübergehende Erscheinung?

Jawohl. Eine Entwicklung verläuft nie geradlinig. Es ist auch nicht das Schlechteste, wenn man diskutiert und verbessert. Es ist nicht alles so in der EU, dass man sagen kann, bravo, hoch. Das entscheidende Ziel der EU ist die Vermeidung eines Krieges. Das streben wir an. Wirtschaftliche Vorteile sind auch gut. Ich bin aber kein Europäer, weil wir wirtschaftliche Vorteile haben. Der Krieg ist unsere Krankheit.

Soll die EU ein Europa der Bundesstaaten sein?

Man kann jetzt noch nicht sagen, wie Europa letztlich ausschauen wird. Sprachliche und regionale Unterschiede bestehen. Dem soll man in irgendeiner Form entsprechen.

Europa ist geboren, es wächst und hat noch nicht die endgültige Gestalt. Es ändert sich ununterbrochen. Jeder soll mitarbeiten und seine Wünsche äußern.

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