"Die Unsicherheiten nehmen zu"

OÖAK-Präsident Johann Kalliauer
Der Arbeiterkammerpräsident über die neue Arbeitswelt, die SPÖ und seine Kandidatur.

Johann Kalliauer ist seit 2003 Präsident der Arbeiterkammer Oberösterreich. Weiters ist er ÖGB-Vorsitzender. Er wird am 26. Februar 64 Jahre alt.

KURIER: Die Arbeiter wählen heute die Rechtspopulisten. In den USA haben sie Donald Trump zum Präsidenten gewählt, in Österreich haben 85 Prozent der Arbeiter für den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer gestimmt. Warum verlassen die Arbeiter ihre angestammte politische Heimat, die Sozialdemokratie?Johann Kalliauer: Die Arbeiter spüren die strukturellen Veränderungen in der Wirtschaft am deutlichsten. Die Veränderungen betreffen nicht nur die Industrie, sondern auch den Handel und andere Bereiche. Es entstehen neue Felder mit geringster Entlohnung, wenn ich nur an die Zustelldienste denke, als Anhängsel von Amazon und ähnlichen Versandhäusern. Diese Menschen haben ein geringes Einkommen, kaum eine Perspektive und die Sorge, ob sie den Arbeitsplatz auf Dauer haben werden. Diese Unsicherheit ist ein guter Boden für einfache Rezepte. Es wird nach Schuldigen gesucht, die in dem Fall die Flüchtlinge und die Ausländer sind.

Die Freiheitlichen und die Rechtspopulisten bieten ja nicht wirklich Lösungen an. Außer Trump, der aus jedem Land eine eigene Festung machen will. Das ist aber für uns wirtschaftlich der Ruin. Und der betrifft die Arbeitnehmer erst recht.

Die Realeinkommen stagnierten in den vergangenen Jahren. Die Menschen haben das Gefühl, dass sie den Anschluss verlieren. In den Niedriglohnbereichen ist zudem der Anteil der Teilzeitarbeit stärker geworden. Dazu kommt eine massive Arbeitslosigkeit, die sich nicht nur in den 400.000 Arbeitslosen widerspiegelt. Man darf nicht vergessen, dass jedes Jahr eine Million Arbeitsverhältnisse aufgelöst und neu begonnen werden. Diese Menschen sind oft kurzfristig arbeitslos. Das ist mit Unsicherheit verbunden. Das Feld mit unsicheren Arbeitsverhältnissen wird stärker. Ein Beispiel sind die Leiharbeitsverhältnisse.

Die Politik muss diese Herausforderungen beantworten. Sonst führt das zu Radikalisierungen in der Gesellschaft, die schlussendlich die Demokratie in Gefahr bringen.

Wo stellen Sie erste Radikalisierungen fest?

Man baucht nur manche Demonstrationen und Kundgebungen ansehen. Oder das Anzünden von Flüchtlingsheimen. Das ist nur die Spitze des Eisberges. Man ist im Tagesgeschehen stärker bereit, Radikalisierungen in Kauf zu nehmen. Die Entwicklungen in Deutschland und Frankreich sind ja nicht wirklich beruhigend. Es wird auch kaum beobachtet, was sich in Ungarn abspielt, wo die Presse an die Kandare genommen wird und wo die Politik massiv in die Justiz eingreift. All diese Entwicklungen führen weg von der Demokratie.

Sind die Arbeiter die Opfer der Globalisierung?

Nicht alle, manche sind auch Gewinner. Die KTM-Mitarbeiter sind sicher Gewinner der Globalisierung. Es gibt Verlierer des strukturellen Wandels. Wenn die Digitalisierung im Handel so weitergeht, wird es bald keine Kassierinnen mehr geben, wenn alles vollautomatisch aus dem Einkaufswagerl ablesbar ist. In Summe wird sich die Frage stellen, ob wir es schaffen, die Arbeit auf alle so zu verteilen, dass alle davon leben können. Es nützt nämlich nichts, wenn sie Arbeit haben und trotzdem Mindestsicherung beziehen und sie als Schmarotzer hingestellt werden. Der Großteil der Mindestsicherungsbezieher hat so ein niedriges Einkommen, dass sie noch Mindestsicherung bekommen. Entweder man verteilt die Arbeit neu oder man denkt über Formen des Grundeinkommens nach.

Auf der anderen Seite werden sich viele neue Möglichkeiten auftun. Die Mobilität wird einen gewaltigen Wandel erfahren. So auch durch die E-Mobilität. Wir leben in einer Umbruchssituation, in der die Verunsicherung sehr groß ist.

Amerikanische Internetkonzerne wie Amazon, Uber, Airbnb, etc. sind die Gewinner dieser Entwicklung. Sie streifen Milliardengewinne ein, aber sie zahlen hier weder Steuern noch Sozialabgaben, sondern gefährden Arbeitsplätze. Damit wird indirekt der Sozialstaat infrage gestellt.

Es wäre eine vordringliche Aufgabe in Europa, hier mit einer Steuergesetzgebung dafür zu sorgen, dass sie sich nicht vor der Steuerleistung drücken können. Da ist die Politik gefordert. Denn ansonsten entzieht man sich der Substanz für den Sozialstaat. Es ist aber auch auf der anderen Seite den Konsumenten nicht zu verübeln, dass sie mit ihren bescheidenen finanziellen Möglichkeiten schauen, wo sie die Dinge billiger bekommen. Man wird den Internethandel nicht stoppen können. Man muss aber sicherstellen, dass die Konzerne ihre Steuern zahlen.Und zwar dort, wo sie ihren Gewinn erzielen. In den jeweiligen Ländern. Hier braucht es internationale Regeln.

Ich verstehe nicht, warum die Regierung und der Finanzminister nicht bereit sind, darüber zu reden. Mit dem Satz keine neuen Steuern wird jede Diskussion abgewürgt. Das verursacht Ärger nicht nur bei den Arbeitnehmern, sondern auch bei den Unternehmern. Die Großen können es sich richten, wo ein Kleiner überhaupt keine Chance hat. Da ist Frust da. Hier geht die Kluft zwischen den Klein- und Mittelbetrieben und den Großen zunehmend auseinander. Der Kleine hat kein Konto in Panama oder Liechtenstein. Hier braucht es neue Überlegungen.

Sie waren ein halbes Jahr SPÖ-Vorsitzender. Die Landespartei pendelt zwischen 16 und 18 Prozentpunkten. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?

Vor einem Jahr, im Jänner 2016, ist die SPÖ in einer ganz kritischen Phase gewesen. Wir haben mitten im Parteitag den Vorsitzenden verloren. Es war personell und strukturell einiges zu tun. Die SPÖ hat den Turn-around geschafft und es ist so etwas wie Optimismus in die Partei eingekehrt. Das ist die Grundlage dafür, dass man wieder punkten kann. Die Frage ist, wie man die Zeit bis 2021 nutzt, um eine wählbare Alternative zur derzeitigen schwarz-blauen Koalition zu sein. Da bin ich optimistisch.

Wie soll das passieren?

Man muss den Finger dort drauflegen, wo das Land nicht ausreichend für die Arbeitnehmer tätig ist. Zum Beispiel beim Thema Wohnen oder bei manchen Förderungen. Es wird zwar behauptet, dass wir einen Fachkräftemangel haben und dass Bildung alles ist, aber gleichzeitig wird das Bildungskonto bei der Arbeitnehmerförderung gekürzt.Und wir müssen die Stimme bundespolitisch erheben, wenn es um Arbeitnehmerinteressen geht.

Sie sind nun 63. In der SPÖ und in der Arbeiterkammer fragt man sich, ob Sie 2019 nochmals als Präsident antreten werden. Ein Kenner der Szene meinte kürzlich, am besten sei es, wenn Sie wieder antreten, denn Andreas Stangl sei mit 47 Jahren noch jung und könne noch warten.

Für mich stellt sich die Frage derzeit nicht. Ich fühle mich wohl und die Arbeit macht mir Freude. Es ist für die nächste Wahl noch viel zu früh. Wir haben noch genügend Zeit. Ich trage mich mit dem Gedanken gar nicht. Ich werde das zeitgerecht mit meinen Freunden besprechen, was für die Arbeiterkammer und die Fraktion das Gescheiteste ist.

Wie sehen Sie Ihren möglichen Nachfolger Andreas Stangl?

Er ist einer von mehreren sehr erfolgreichen Gewerkschaftern. Der ÖGB hat seit mehreren Jahren einen Aufwärtstrend in Oberösterreich. Wir haben hier sehr viele tüchtige Funktionäre. Stangl ist seit einiger Zeit auch Fraktionsvorsitzender in der Vollversammlung der Arbeiterkammer und macht das sehr gut. Er hat auch ein gutes Standing bei den anderen Fraktionen.

Bundeskanzler Christian Kern will die Flexibilisierung der Arbeitszeit bis 12 Stunden pro Tag einführen. Damit erfüllt er eine Forderung der Wirtschaft.

Wenn ich sarkastisch antworten würde, würde ich sagen, den 12-Stunden-Tag haben wir ja.

Die Arbeitgeber müssen jeden einzelnen Fall extra beantragen.Sie wollen eine generelle Lösung.

Einen generellen 12-Stunden-Tag wird es sicherlich nicht geben. Da wird Kern missinterpretiert. Es gibt Grenzen für uns, die nicht überschritten werden dürfen. Die Lösung kann sicher nicht zum Nulltarif sein. Wenn es billiger werden soll, sage ich nein. Das Zweite ist die gesundheitliche Belastung. Es soll mir jemand einmal zeigen, dass die bestehenden Flexbilisierungsmöglichkeiten nicht ausreichen. Ich habe den Eindruck, dass es den Unternehmern ums Geld geht.

Dass man sich die Auszahlung der Überstunden erspart?

Das kommt nicht infrage. Und sie wollen auch nicht fragen. Dass sie sich mit dem Betriebsrat zusammensetzen müssen. Sie wollen das einfach anschaffen.

Flexibilität ist für den Arbeitnehmer eine durchaus interessante Sache. Es ist ein Geben und Nehmen. Die Arbeitnehmer müssen einen Nutzen haben, nicht nur einen finanziellen. Es muss mehr echte Autonomie geben. In der betrieblichen Realität und auch in der Beratung bei uns spielt das Thema keine zentrale Rolle.

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