"Die Sehnsüchte brechen auf"

Silvia Breitwieser
Die Leiterin der Telefonseelsorge in Oberösterreich über einen guten Umgang mit Weihnachen.

Silvia Breitwieser ist seit 2008 Leiterin der Telefonseelsorge, die 1966 von der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche gegründet worden ist. 92 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bieten unter der Nummer 142 Beratung rund die Uhr. 88 davon arbeiten ehrenamtlich. Zu Stoßzeiten machen zwei Personen Telefondienst. Breitwieser ist Psychotherapeutin und Theologin.

KURIER: Welche Sorgen beschäftigen die Menschen in der unmittelbaren Vorweihnachtszeit?

Silvia Breitwieser: Es sind die gleichen wie das ganze Jahr über. Große Themen sind Einsamkeit, die Strukturierung des Alltags, Beziehungsprobleme, psychische Erkrankungen, Krisen und Umbrüche. Es hat soeben eine Mitarbeiterin mit einem Mann gesprochen, der sich am Vortag hat scheiden lassen. Die Frau war soeben ausgezogen. Obwohl er sich hat scheiden lassen, heult er am Telefon. Er erzählte von Bildern als wie wenn er gegen eine Mauer gerannt wäre. Wir haben keine Ratschläge und wir wissen es auch nicht besser, sondern wir schauen, was es jetzt braucht.

Sie werden die Klienten vermutlich weitervermitteln?

Wir vermitteln nicht weiter, sondern sagen, es gibt die Möglichkeit einer Face-to-Face-Beratung, wo man sich das dann genauer an schaut, was zu der Entscheidung geführt hat. Wie er zu seiner Sommerromanze gekommen ist, die zur Scheidung geführt hat.

Zu Weihnachten kommen noch Themen dazu, wie machen das zu den Feiertagen? Wenn jemand allein ist oder wenn es Konflikte gibt. Die Weihnachtsrituale, die sich hier entwickelt haben, sind prinzipell sehr gut und versuchen für uns die Welt zu erklären. Sie helfen Menschen ihre Welt zu gestalten. Rituale können Halt geben, sie können aber auch leer werden und es gibt Menschen, die sich damit schwer tun. Weil es nicht so gelingt, wie sie es gerne hätten. Sie spüren sich die Sehnsucht. Wie gehen sie damit um?

Es brechen die Sehnsüchte auf, die die Menschen antreiben.

Die Sehnsüchte nach Harmonie und gelingendem Leben sind in uns. Zu Anlässen wie Weihnachten spüren wir sie intensiver. Und den Versuch sie zu gestalten.Das nehmen wir wahr.

Wichtig sind auch versöhnte Beziehungen.

Dass man Konflikte löst und Dinge klärt.

Alle Menschen leben gerne in versöhnten Beziehungen.

Oft geht es nur um den erten Schritt.

Versöhnung ist befreiend. Das ist zu Weihnachten auch ein Thema. Dass man zum Beispiel in der Adventzeit auf einen Kaffee geht. Wie man halt gewohnt ist, das Leben für sich zu klären.

Es gibt heute viele Patchwork-Familien.

Es ist oft ein Streß und ein bisschen kompliziert. Wann und wo sind die Kinder? Wer bringt sie wie wohin? Die Mütter und Väter erwarten durch die Geschenke leuchtende Kinderaugen.

Sind die Erwartungen an die Geschenke zu hoch?Wird hier übertrieben?

Sie sind deswegen oft so hoch, weil man erwartet, dass dadurch der Wert der Beziehung ausgedrückt wird. Wenn ich den Wert habe, dass ich in Einfachheit gut leben kann, dann freue ich mich sehr über ein liebevolles Geschenk, das finanziell gar nicht so wertvoll ist. Es kommt auch immer darauf an, welche Werte es in der Familie gibt. Danach gestalten sich auch die Geschenke. Das ist sehr unterschiedlich, deswegen sind sie auch finanziell sehr unterschiedlich. E s sehr schön ist mit einem einfachen Geschenk den Wert der Beziehung auszudrücken. Es ist gut, nützliche Geschenke zu geben.

Mögliche günstige Geschenke sind schöne Kalender oder ein Fotobuch. Fotobücher eignen sich ideal, denn sie drücken ein Jahr Beziehung aus. Oder einen bestimmten Verlauf von etwas.

Der Allerwichtigste ist vermutlich, dass die Menschen nicht alleine sind. Das ist wichtiger als Geschenke.

Genau.

Wie soll man Weihnachten vorbereiten?

Man soll Gespräche über den Ablauf führen. In Patchwork-Familien klären, wann sind die Kinder wo, wer holt sie wo, die Kinder je nach Alter miteinbeziehen, wo sie wann sein wollen. Die Besuche über die Tage aufteilen. Oftsind die Besuche überladen und zu häufig. Weil man die Dichte von Beziehungen spüren will. Es braucht aber auch Pausen zwischen den Treffen, sonst ist es zu viel. Die Leute wünsches es sich, dass es ganz intensiv ist. Es braucht aber auch das Alleinsein dazwischen. Es braucht eine gute Ausgewogenheit zwischen Nähe und Distanz.

Es ist auch nicht so, dass man, wenn man am 23.12. zu arbeiten aufhört, am 24. umgepolt ist. Man muss sich auch selbst darauf vorbereiten, wenn man etwas feiern will. Nur den Computer kann man am 23. runterfahren und er ist ruhig. Und nach den Feiertagen am 27. fährt man ihn wieder hoch. So ticken wir Menschen aber nicht. Man nimmt aber das, was einen am 23. noch belastet hat, in den 24. mit hinein. Wir hätten aber gern,dass es Anders ist. Dafür muss man aber in der Vorbereitung etwas tun. Man muss die Dinge auch in Nicht-Patchwork-Familien mit den Kindern klären, was sie gern tun möchten. Auch mit den Großeltern, was sie für Erwartungen haben. Denn die jungen Familien fahren oft zu den Großeltern. Und manche Enttäuschung schon vorweg ansprechen. Dass das heuer eben so und so ist. Damit kann man sich darauf einstellen und dann ist es auch wieder in Ordnung. Die Menschen wollen Orientierung. Das Schlimmste sind Ungewissheit und das Herwarten.

Haben die Menschen heute mehr Probleme als früher, erreichen Sie mehr Anrufe? Das Leben ändert sich, es wird dichter durch das Internet und die Handys.

Aber wir werden nicht glücklicher durch die Schnelligkeit.

Ist das Tempo zu hoch? Die Arbeitsabläufe verdichten sich.

Die Ressourcen der Menschen sind unterschiedlich. Die Ressourcenschüssel von Menschen, die eine ausgesprochen große Liebe zum Leben haben und die in einer normalen Kindheit mit allen Höhen und Tiefen aufgewachsen sind, ist relativ gut gefüllt. Wenn aber Kränkungen, Lebensumbrüche und Schicksalsschläge passieren, löst das Belastungen aus. Die einen können damit ganz gut damit umgehen.

Es gibt aber Menschen, die haben Traumatisierendes erlebt. Deren Ressourcenschüssel ist vielleicht bodenbedeckt. Für sie ist die Bewältigung eines Lebensumbruchs ganz etwas anderes. Vor solchen Situationen stehen wir alle im Laufe des Lebens. Jeder hat irgendwann irgendwie schwierige Situationen zu bewältigen.

Jene, die über weniger Ressourcen und Bewältigungsstrategien verfügen, brauchen Unterstützung und ein sehr gut ausgebautes Familiennetz. Wenn das aber nicht hält, brauchen sie das öffentliche psycho-soziale Netz. Hier verstehen wir uns als Erstanlaufstelle.

Es gibt Langzeitstudien, laut denen Menschen, die aus prekären Situationen kommen, widerstandsfähiger sind als Menschen, bei denen alles glatt geht. Ganz wesentlich ist die Entwicklung bis zum 25., 30. Lebensjahr. Das fängt im Kindergarten an, wenn der/die Kleine sagt, ich will dieses Spielzeug und ich gebe es jetzt nicht her. Wie tun die zwei jetzt? Vor so eienr situatin steht man mit 35 Jahren vielleicht wieder.

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