Der Frühling des Europarlaments

Weidenholzer (re.) bei einer seiner Straßendiskussionen auf der Linzer Landstraße.
Josef Weidenholzer, der Präsident der Volkshilfe, ist überzeugt, dass nur das Parlament die Europa-Skepsis der Menschen überwinden kann.
Der Frühling des Europarlaments

Josef Weidenholzer (62) ist Professor für Gesellschaftspolitik an der Universität Linz, Präsident der Volkshilfe und seit vier Monaten Abgeordneter zum Europäischen Parlament. Sein  Assistent  Josef Zehetner  bringt  zum Gespräch Kaffee. Weidenholzer sagt zu ihm: „Nein, nicht so viel Milch. Ich halte es hier eher mit dem Strache,  dunkelbraun.“  KURIER: Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen im Europaparlament?Josef Weidenholzer: Ich führe derzeit ein sehr intensives Leben und habe  ein dichtes Programm.   Man muss sich eingewöhnen und  seinen Platz kriegen. Ich habe im Jänner bereits meine erste Plenarrede gehalten.  Zu welchem Thema?Über den Iran. Ich bin Mitglied der Iran-Delegation.  Unsere sozialdemokratische Fraktion und die Grünen lehnen eine militärische Vorgangsweise gegen den Iran  ab. Wir konnten eine Resolution beschließen, weil viele aus der Europäischen  Volkspartei mitgestimmt haben. Der Iran-Konflikt ist die Mutter der Konflikte im nächsten Jahrzehnt. Da geht es um Ressourcen und  um  die Stabilität in einer der wichtigsten Regionen. Die gegenwärtige Politik des Iran ist alles andere als  friedensfördernd. Sie ist terroristisch nach innen und außen. Man muss dem Regime  Druck machen, aber auch Optionen aufzeigen. Durch  Sanktionen wie dem Ausschluss vom internationalen Zahlungsverkehr wächst der Druck. Entscheidend ist die Innenpolitik. Es gibt eine erstaunliche Oppositionsbewegung.Die Resolution wurde nicht entlang der Fraktionslinien beschlossen?Nein, das ist   nicht so.  Es gibt sehr viel Bewegung. Das Positive ist, dass diese Offenheit im Europäischen Parlament wirklich da ist.   Diese Abstimmungen quer durch die Fraktionen sind eine positive Erfahrung. Gibt es weitere?Man kann sehr sachorientiert arbeiten. Die Debatten sind sehr intensiv. Es hat zum Beispiel in unserer Fraktion eine  offene Debatte um den zukünftigen Fraktionsführer gegeben. Mein Kollege Hannes Swoboda hat sich das  wirklich erarbeitet. Das erlebt man in Österreich so nicht, dass wichtige Entscheidungen ganz transparent ausgetragen werden. Es zählt mehr das Argument. Die vielen verschiedenen Sprachen sind kein Problem, weil alles gedolmetscht wird.Es fasziniert mich sehr, wie der Parlamentarismus lebt. Es wird grundsätzlich keine Vorlage durchgewunken. Das gibt es nicht. Es wird alles verändert. Es ist der Stolz der Parlamentarier, ihren Spielraum zu erweitern. Der europäische Rat (Versammlung der Staats- und Regierungschefs) ist der natürliche Feind.     Die Arbeit in den Ausschüssen ist sehr intensiv. Sie passiert an vier Tagen im Monat. Es herrscht  wirklich eine Arbeitsatmosphäre. Trotz der Voting Lists (Abstimmungslisten) stimmt jeder anders ab. Wir Österreicher würden zum Beispiel nie für die Atomkraft stimmen.  Die Diskussion   ist offener und sachorientierter. Dadurch hat man auch intensiveren Kontakt zu den Abgeordneten der anderen Fraktionen. Was sind neben dem Iran Ihre Schwerpunkte?Ich bin derzeit im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres.  Es geht um den Datenschutz, um den Asylbereich,  um Europol und den Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Weiters bin ich noch im Ausschuss für den Binnenmarkt und  Verbraucherschutz. Das Bild, das  Sie von Europa zeichnen, ist ein durchaus positives. Europa hat insgesamt  sehr positive  Errungenschaften gemacht. Wir liegen  global nicht schlecht.  Wir haben unsere Wirtschaft reformiert, was man von den Amerikanern nicht sagen kann. Unser östlicher Nachbar Russland ist in einem desaströsen Zustand. Sie leben von den  Rohstoffen und nicht davon, dass  die Wirtschaft funktioniert.  Europa hat das interne Problem der Spaltung in den reichen Norden und den armen Süden. Das muss man lösen. Denn Deutschland kann  letztlich   nicht ohne den Markt der südlichen Ländern leben. Wir haben noch andere Probleme wie das der Überalterung, die eine ganz neue Erfahrung ist. Unsere Freunde jenseits des Atlantiks beginnen sich immer mehr von Europa zu verabschieden. Sie haben ihren Schwerpunkt in den Pazifik verlegt.  So manche Amerikaner sehen in Europa einen Rivalen. Ein Teil der Eurokrise hat eine transatlantische Rivalität. Die Wetten gegen den Euro sind zum Teil politisch stimuliert. Es hat natürlich auch Russland kein Interesse an einem starken Europa. Wir Europäer sollten ein stärkeres  Interesse an einer Zusammenarbeit  mit China, Indien und Brasilien haben. Wie beurteilen Sie die EU-Stimmung  in Österreich?Die Stimmung ist gespalten. Auf der einen Seite ist man aufgeregt und besorgt, auf der anderen Seite gibt es sehr  viel Hoffnung. Viele haben die Erwartung, dass wir nur mit Europa etwas weiterbringen. Wie wollen denn acht Millionen Österreicher  in einem Meer von acht Milliarden Menschen weltweit  ihre Interessen durchsetzen? Das ist alleine nicht  möglich. Das geht nur in der Europäischen Union.  Aber die gegenwärtige institutionelle Struktur  kann die Erwartung der Menschen nicht befriedigen. Darum ist die Rolle des Europäischen Parlaments  eine so große. Es  erlebt eine Art Frühling. Die große Chance ist, dass das Parlament die Europa-Skepsis überwinden kann, was die Brüsseler Kommission nicht kann. Denn das sind lauter wohlbestallte Beamte. Die sind zu einer politischen Lösung nicht fähig.

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