AK-OÖ-Präsident: "Das wäre eine Kriegserklärung"

Johann Kalliauer
Der Präsident der oberösterreichischen Arbeiterkammer will mit einer Urabstimmung unter den Mitgliedern auf eine Aufhebung der Pflichtmitgliedschaft oder auf eine massive Kürzung der Umlagen reagieren.

Der Welser Johann Kalliauer ist seit 2003 Präsident der Arbeiterkammer Oberösterreich und Landesvorsitzender des ÖGB. 2016 war der 64-Jährige für ein halbes Jahr auch Vorsitzender der SPÖ Oberösterreich.

KURIER: Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger plädtiert für eine Koalition aus SPÖ und FPÖ. Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl warnt hingegen vor dieser Variante, weil das die SPÖ nicht aushalten würde. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Johann Kalliauer: Ich beteilige mich nur ungern an diesen Spekulationen.Für mich ist entscheidend, ob in einem Regierungsübereinkommen etwas für oder gegen die Arbeitnehmer drinnen ist.

Ich glaube auch, dass man mit allen Parteien reden soll. Ich verstehe Klaus Luger. Nachdem ihm die Linzer ÖVP einiges anschauen lässt, ist klar, dass er eine Präferenz für Rot-Blau hat.Ich glaube aber, dass das eher theoretische Überlegungen sind, denn ich meine, dass Schwarz-Blau kommen wird. Sie sind inhaltlich deckungsgleich. Sie sind gegen eine Millionärssteuer und gegen Zuwanderung. Unterschiede gibt es in der Frage der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern. Ich sehe keinen Grund, sich allzu sehr zu fürchten, aber es ist eine tiefe politische Veränderung mit einer völlig anderen Gewichtung.

Eine rot-blaue Koalition schließen Sie aber nicht aus?

Ich schließe sie nicht aus. Es gibt manche, die immer noch die Variante von Schwarz-Rot ins Spiel bringen.

Die Anhänger von Rot-Blau argumentieren, dass es in der Sozialpolitik starke Parallelen gibt.

Das glaube ich auch. Es stellt sich aber die Frage, wer sich in der FPÖ inhaltlich durchsetzt. Denn sie hat traditionell starke Einflüsterer aus der Industrie. Diese haben eine ganz andere Position als der Arbeitnehmerflügel. Die Industrie wird massiv auf Entlastungen und auf Veränderungen im Sozialsystem drängen.

Würden Sie Schwarz-Rot bevorzugen?

Ich hätte damit massive Probleme, nach dem, was die ÖVP die SPÖ hat anschauen lassen. Sie hat ein vernünftiges Regieren torpediert. Sie hat konstruktive Leute wie Reinhold Mitterlehner beseitigt. Das ist keine Arbeitsbasis. Ungeachtet der handelnden Personen. Mit Kurz und Kern wäre das schwierig. Es bräuchte ein detailliertes Regierungsprogramm, sonst hätten wir fünf Jahre lang ein Dauermatch.

Wer könnte die SPÖ in so einem Fall anführen? Das Tischtuch zwischen Kern und Kurz ist zerschnitten.

Das ist nicht nur zwischen zwei Personen zerschnitten. Die ÖVP hat es jahrelang darauf angelegt, nur destruktiv zu sein. Das wirklich Faszinierende für mich ist ja, wie es gelingen konnte, dass jene, die jahrelang blockiert haben, sich nun als Veränderer präsentieren konnten. Kurz kam ja nicht von außen, sondern er war mit sieben Jahren Regierungsarbeit einer der Dienstältesten.

Wer soll die SPÖ anführen?

Kern soll sie weiter anführen. Er hat bei seinem Amtsantritt erklärt, dass das für ihn ein Zehn-Jahres-Projekt ist. Als sein Ziel definierte er, dass die SPÖ die deutlich stärkste Kraft in Österreich ist. Warum sollen wir jetzt wieder eine Personaldebatte anfangen? Man muss parteiintern einiges an den Strukturen ändern, da muss er sich Mitstreiter suchen. Inhaltlich gibt es keine gröberen Fehler.

Natürlich hat uns als Arbeitnehmervertreter nicht alles geschmeckt, aber er hat versucht, die Partei breiter aufzustellen, um sie für mehr Menschen wählbar zu machen.

Die SPÖ ist durch die Niederlage geschwächt und möglicherweise nicht mehr in der Regierung. Das bedeutet, dass die Arbeiterkammer und der ÖGB stärker für die Arbeitnehmerinteressen in Erscheinung treten müssen.

Ich gehe davon aus, dass sich auch eine SPÖ in der Opposition zur Wehr setzen wird. Dass wir auch gefordert sind, ist für mich ziemlich klar. Ich nehme die Ansagen der FPÖ mit den Themen Pflichtmitgliedschaft und Umlage ernst. Dass wir uns da auf die Füße stellen, ist klar.

ÖVP, FPÖ und Neos haben im Nationalrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit und könnten theoretisch die Pflichtmitgliedschaft abschaffen. In der ÖVP gibt es dagegen natürlich heftigen Widerstand.

Ich halte mich bei Horrorszenarien immer zurück. Aber es kann natürlich sein, dass diese drei Parteien die Pflichtmitgliedschaft hebeln. Man darf den Einfluß der Industriellenvereinigung auch innerhalb der ÖVP nicht unterschätzen. Es haben namhafte oberösterreichische Industriebetriebe schon einmal versucht, beim Europäischen Gerichtshof die Pflichtmitgliedschaft zu kippen. Sie sind gescheitert.

Der Wegfall der Pflichtmitgliedschaft beim Gegenüber Wirtschaftskammer heisst, dass die Gewerkschaften über Nacht den Kollektivvertragspartner verlieren. Das wäre eine fatale Wirkung. Wenn heute die Wirtschaftskammer einen Kollektivvertrag unterschreibt, gilt er automatisch für alle ihre Mitglieder, für alle Unternehmen einer Branche. Wenn es auf freiwilliger Basis geschehen würde, würde er nur für jene Unternehmen gelten, die dort Mitglied sind. Dann bekommen wir deutsche Verhältnisse, wo nur mehr 50 Prozent der Betriebe unter einen Tarifvertrag fallen.

Manche wollen den Kollektivvertrag hebeln.

Wenn ich mir die oberösterreichischen Protagonisten in der Industrie anschaue, dann finde ich sofort einige Vertreter, die das wollen.

Wie würden Sie darauf reagieren?

Wenn die Pflichtmitgliedschaft in Frage steht oder es massive Eingriffe in die Umlagen gibt, gibt es für mich eine klare Antwort. Es entscheiden die Mitglieder über die Zukunft der Arbeiterkammer und sonst niemand. Wir würden unsere Mitglieder befragen. Dann soll sich eine Regierung über das Wollen von 3,5 Millionen Mitglieder hinwegsetzen.

Das wäre für Sie eine Kriegserklärung?

Das wäre eine Kriegserklärung, das ist keine Frage. Ich glaube aber, dass alle Beteiligten wissen, dass sie sich da mit 3,5 Millionen Arbeitnehmern anlegen.

Das würde zu schweren Konfrontationen führen?

Auch der Wegfall der Pflichtmitgliedschaft auf der Wirtschaftskammerseite ist für mich völlig undenkbar. Auch das können sich die Gewerkschaften auf keinen Fall gefallen lassen. Es wäre auch unsinnig. Wenn man wirklich ernsthaft überlegt, kann das nur einen Grund haben, nämlich die Arbeitnehmerseite massiv zu schwächen. Die Wirtschaft organisiert sich das irgendwie anders. Bei allen Schwächen wäre es eine heftige Sache, an einem bewährten System so zu rütteln, dass man es zerstört.

Hier rede ich noch gar nicht von den kleineren Kammern. Was ist mit den Ärzten, den Rechtsanwälten, etc.? Will man es dem Zufall überlassen, wie sich das alles neu organisiert und strukturiert?

Wirtschaft und Industrie wollen nun in der Regierung versuchen, die Flexibilisierung der Arbeitszeit durchzusetzen, nach dem die Lösung vor dem Sommer gescheitert ist. Das soll nun ohne Sozialpartner passieren.

Warum ist sie gescheitert? Man wollte eine einseitige Flexibilisierung ohne Gegenleistungen für die Arbeitnehmer. Die Regierung müsste sich nun den Vorwurf gefallen lassen, dass sie einseitig Wirtschaftsinteressen bedient und die Arbeitnehmer vergisst. Wir haben uns nie gegen eine vernünftige Weiterentwicklung gewehrt.Wenn ich mir ansehe, was im Metallerkollektivvertrag im vergangenen Jahr bei der Flexibiliserung verhandelt wurde, dann ist das weit darüber hinaus gegangen, was in der Folge gescheitert ist. Deshalb braucht man uns nicht vorzuwerfen, nicht über Flexibilisierung nachzudenken.

Wenn man sie aber einseitig einführen will und man glaubt, es geht ohne Zuschläge, dann werden wir uns natürlich zur Wehr setzen.

Es muss Zuschläge geben?

Natürlich. Es werden Mythen gebildet. Jetzt zum Beispiel bei der Angleichung von Arbeitern und Angestellten. Die Wirtschaft redet von einer Verstimmung, weil das vor der Wahl überfallsartig beschlossen worden sei. Die Angleichung der Entgeltfortzahlung bei den Arbeitern war 2016 schon fertig verhandelt. Präsident Christoph Leitl hat das immer wieder blockiert. Es ging nur mehr um die Frage, wann die Erhöhung der Entgeltfortzahlung von sechs auf acht Wochen passieren soll. Man war sich bei einem Jahr einig, plötzlich wollte er fünf Jahre, bis er schließlich sagte, jetzt ist der Zug abgefahren.Wir fordern das nun seit 20 Jahren. Deshalb kann man nicht sagen, das kommt aus der Hüfte geschossen.

Der Großteil der Arbeiter wählt heute die FPÖ und hat der früheren Arbeiterpartei SPÖ den Rücken gekehrt. Bei den Wahlen zur Gewerkschaft und zur Arbeiterkammer wählen sie aber die Sozialdemokraten. Woher rührt diese Diskrepanz?

Ich glaube nicht, dass sich die SPÖ zu wenig um die Arbeiter kümmert. Das Problem ist, dass viele Leute Sorge wegen der Veränderungen in der Wirtschaft haben. Sie kommen damit nicht zu Rande, oft auch nicht mit dem Einkommen. Sie leben in Unsicherheit oder sie zählen sich zu Verlierern. Sie fühlen sich ungerecht behandelt. Dann bieten Gruppen wie die Freiheitlichen einfache Lösungen an, die lauten, andere sind schuld. Ich will das Thema Flüchtlinge und Migration nicht klein reden. ÖVP und FPÖ haben diese Stimmung genutzt. Kurz hat genauso wie die FPÖ einen Anti-Ausländer-Wahlkampf geführt.

Ein typisches Beispiel ist die Mindestsicherung. Man hat die Kürzung mit den Ausländern erklärt und knabbert am Sozialsystem. Man bedient berechtigte Sorgen und Vorurteile. Ein anderes Beispiel ist die Kürzung der Familienbeihilfe für Kinder, die in ihren Heimatländern leben. Eine Nebenwirkung hat sie auf jeden Fall. Die Familienbeihilfe für die Pflegekräfte aus Osteuropa ein fixer Bestandteil ihres Einkommens. Wenn sie diese nicht mehr erhalten, werden sie zu diesen Entlohnungsbedingungen nicht mehr kommen. Es werden dann die Pflegesätze erhöht, die die zu Pflegenden begleichen müssen.

Wir versuchen ganz bewußt dagegen zu halten. Die Arbeitnehmer sind die größten Steuerzahler. Sie zahlen sich ihre Leistungen selbst. Man muss ihr Selbstbewußtsein stärken. Dazu gehört auch, dass wir uns nicht dreinreden lassen, wie die Interessensvertretung der Arbeitnehmerseite organisiert ist. Oder das Gesundheits- und Pensionssystem.

Studien belegen, das Globalisierung ihre Opfer fordert. Das sind vor allem die Geringqualifizierten, die kaum noch Arbeit finden. Hat man sich nicht zu wenig um diese Menschen gekümmert?

Man schätzt das Problem nicht als gering ein. Was man selbstkritisch sagen kann, ist, dass es nicht gelungen ist eine Bereitschaft zur Veränderung im Bewußtsein herbeizuführen. Es spielt immer die Frage eine Rolle, wie das Arbeitsangebot aussieht. Denn sonst müsste man sagen, hätten wir nur Akademiker, dann hätten wir kein Arbeitslosenproblem. Das stimmt ja nicht. Die einfachen Arbeitsplätze werden weniger.

Bei der Frage nach mehr Qualifikation scheiden sich die Geister. Wo war in den vergangenen Jahren die Bereitschaft da, bereits im Kindergarten und in der Grundschule anzusetzen? Unsere bildungspolitische Diskussion reduziert sich auf die Frage, halten wir das Gymnasiumaufrecht odernicht? Eien gesellschaftlichen Konsens, der über Sonntagsreden hinausgeht und der sagt, wir müssen bei der Grundausbildung und bei den Pädagogen ansetzen und der auf die Veränderungen des gesamten Umfelds reagiert, gibt es nicht.

Nichts gegen die Lehrer, aber nur zu sagen, da liegt ein Versagen des Elternhauses vor, ist zu wenig. Da muss man etwas dagegen tun. Hier bringen wir keinen Konsens zustande.

Was ist die Botschaft im Hintergrund? Man sagt den Leuten, Du bist an Deiner Lage selbst schuld, hättest Du etwas gelernt. Man bietet ihnen keine Möglichkeit zum Wiedereinstieg. Denn das Erste, was diese Leute machen müssen, ist zu schauen wie sie überleben, wie sie über die Rundenkommen können. In Oberösterreich setzt das Projekt der Sozialpartner Du kannst was genau hier an. Nämlich den Lehrabschluss nachzuholen.Punktuelle Maßnahmen wie diese gibt es zwar, aber die Politik bietet diesen Menschen zu wenig Perspektiven.

Gibt es eine Entsolidarisierung der Gesellschaft?

Ja, nicht generell, aber tendenziell. Dieses Thema wird dauernd bedient. Gerade bei jenen Gruppen, die auf Sozialtransfers angewiesen sind, versucht man den Neidkomplex zu schüren. Nach dem Motto, mir geht es schlecht, aber wenn es einem anderen noch schlechter geht, ist auch mir leichter. Das ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die Sorge bereitet.

Ist das eine reine Neidsache oder gibt es auch einen materiellen Hintergrund?

Es gibt auch materiellen Hintergrund. Es gibt eine nicht geringe Gruppe von Menschen, die kaum über die Runden kommt. Das gilt nicht nur für aktive Arbeitnehmer, sondern zum Beispiel auch für Pensionisten. Bei diesen Menschen ist das Gefühl, es ist alles ungerecht, weil sie nicht mehr zum Leben haben, stark ausgeprägt. Man kann hier mit sachlichen Argumenten kaum durchdringen. Einer Arbeiterin, die 40 Jahre gearbeitet und 900 Euro Pension hat, zu erklären, dass jemand eine Mindestsicherung in derselben Höhe hat, ohne dass er jemals einbezahlt hat, ist schwierig.

Auf der anderen Seite ist völlig klar, dass sie trotzdem nicht mehr bekommen wird, wenn man dem anderen das streicht.Es sagt aber keiner, warum sie nicht mehr Pension bekommt. Weil die Arbeitnehmer in der Textilbranche so schlecht bezahlt worden sind.

Wir nehmen vielfach positive Dinge als Selbstverständlichkeit hin.Wir haben eine der besten Regelungen weltweit bei der Leiharbeit. Wir haben Lohn- und Sozialdumping-Gesetz, das die Unternehmer wirklich fürchten.

Die Arbeiterkammer Oberösterreich (AK OÖ) kritisiert die "Hire and Fire"-Praxis (Anheuern und Feuern) von Betrieben, die Arbeitnehmer bei kurzfristigen Flauten kündigen und später wieder einstellen. Dies verursache Arbeitslosigkeit und hohe Kosten für die Versichertengemeinschaft: Laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts rund 450 Millionen Euro alleine im Jahr 2016, so die AK OÖ.

"Diese Entwicklung schädigt die gesamte Gesellschaft. Es muss für die Betriebe weniger attraktiv werden, die Kosten einfach auf die Arbeitslosenversicherung abzuwälzen", fordert AK-OÖ-Präsident Johann Kalliauer am Sonntag in einer Aussendung.

Laut der von der AK zitierten Wifo-Studie gehen 1,1 Prozentpunkte der im Jahr 2016 in Österreich registrierten Arbeitslosigkeit von 9,1 Prozent auf das Konto derartiger Methoden. Dabei nutzen nicht nur Saisonbranchen wie Bau und Tourismus solche sogenannten "temporären Layoffs" (zeitweise Kündigungen), um Schwankungen des Arbeitskräftebedarfs auszugleichen. Auch in der Arbeitskräfteüberlassung nehme diese Praxis zu.

Doch die zeitweise Beendigung von Arbeitsverhältnissen mit Wiedereinstellungszusage bzw. "Recall" (Rückruf) nach wenigen Monaten gehe zulasten der Arbeitnehmer und des AMS-Budgets. Die Arbeitnehmer haben weniger Tage in Beschäftigung und mehr Tage in Arbeitslosigkeit. Das wirke sich für sie doppelt negativ aus: Das Arbeitslosengeld sei erheblich geringer als der Verdienst. Und die Betroffenen fielen in der gesamten Einkommensentwicklung zurück, was sich letztlich auch auf die Pension auswirke.

Die Betriebe würden ihre Kosten einfach auf die Allgemeinheit auslagern, kritisiert Kalliauer. Unternehmen, die Menschen überdurchschnittlich häufig in die Arbeitslosigkeit schicken, sollten daher einen höheren Beitrag in die Arbeitslosenversicherung zahlen. Auch die Auflösungsabgabe (124 Euro), die Betriebe bei der Beendigung bestimmter Arbeitsverhältnisse zahlen müssen, sollte wesentlich erhöht und wirksamer eingesetzt werden. Die in der letzten Nationalratssitzung vor der Wahl beschlossene Abschaffung der Auflösungsabgabe per Ende 2019 wird von der AK OÖ kritisiert.

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