"Begleitung statt Abkanzelung"

Bischof Manfred Scheuer im Irak
Der Bischof über den neuen Umgang der katholischen Kirche mit Geschiedenen.

Im zweiten Teil des Interviews beschäftigt sich Bischof Manfred Scheuer mit der Frage der wiederverheirateten Geschiedenen. Vergangenen Sonntag ist der erste Teil des Gesprächs erschienen.

KURIER: Papst Franziskus hat die Frage, ob wiederverheiratete Geschiedene die Kommunion empfangen dürfen, den Gemeinden und Priestern vor Ort überlassen. Ist das eine gute Lösung, nachdem diese Frage verschieden interpretiert wird? Oder wäre eine klare Entscheidung besser?Manfred Scheuer: Ich bin sehr dankbar dafür, was Papst Franziskus in den vergangenen Jahren im Bereich Ehe und Familie angestiftet hat. Sowohl von der Vorgehensweise als auch vom Ergebnis her. Es war wichtig, dass er das nicht per Dekret gemacht hat, sondern einen langen Prozess des Wahrnehmens und Hinhörens eingeleitet hat. Es ist ja nicht so, dass es den Menschen in Ehe, Familie und Partnerschaft so gut geht. Die Verwundbarkeit ist groß, manche werden krank oder zerbrechen daran. Das muss man auch in Hinblick auf die Sexualität sagen. Es geht nicht um eine Verteufelung, sondern sie ist eine Gabe Gottes und ein sehr verletzbarer Bereich.

Es ist das ein Bereich, wo es die Lösungen schlechthin nicht gibt. Dem Papst geht es um das Wahrnehmen, um das Unterscheiden, darum zu sagen, das führt zu mehr Glück und Liebe, und um das Begleiten. Es geht nicht um Urteile und um das Abkanzeln, sondern um das Beistehen, darum, dass die Menschen wachsen können.

Was ist die perfekte Ehe? Kaum jemand lebt sie. Jeder muss in seinem Leben weiterwachsen und erlebt in jeder Lebensphase neue Chancen und Gefahren. Es ist ja nicht so, dass Menschen, die 30 Jahre zusammen sind, automatisch beieinander bleiben. Gerade wenn die Kinder weg sind, sind die Situationen oft nicht einfach.

Es geht auch um das Integrieren. Gerade wenn eine Ehe auseinandergegangen ist, ist es gut, wenn eine Pfarre die Betroffenen trägt. Das ist gar nicht so einfach. Trennungen führen oft zu sehr schmerzlichen Schritten, betroffen sind auch Freundschaften.

Kardinal Christoph Schönborn hat sowohl bei der Bischofssynode als auch bei der Abfassung von Amoris Laetitia – Über die Liebe in der Familie eine gewichtige Rolle gespielt. Er spricht von Aufmerksamkeiten gegenüber dem früheren Partner, von Aufmerksamkeiten gegenüber den Kindern, von der Suche nach Versöhnung, von Verantwortung, die aus der neuen Beziehung herauswächst. Es geht um eine Verantwortungsethik und nicht um eine Kasuistik, wer darf und wer darf nicht.

Dass solche Prozesse Zeit brauchen, weiß jeder, der das einmal durchgemacht hat. Keiner, der auseinander geht, wird mit großer Euphorie in die nächste Beziehung gehen. Das tut nicht gut. Es braucht Trauerphasen. Es gibt Abschieds- und Wachstumsphasen, auch Sterbephasen. Dieses Gespür zu vermitteln, ist nicht nur eine Frage, was ich als Bischof vorlege. Wir versuchen nun SeelsorgerInnen auszubilden, die in dem Bereich begleiten. Das ist bereits vor 30 Jahren einmal geschehen.

Hier wurde nun ein entscheidender Schritt in der Öffnung getan. Diesen halte ihn für sehr wichtig. Das Signal muss auch klar sein, weil es natürlich auch Stimmen in der Kurie und bei uns gibt, die sagen, er hat überhaupt nichts verändert. Er hat nicht die ganze Tradition auf den Kopf gestellt, aber er hat die Frage gestellt, ist das Recht, das allgemeine Verbot der einzige Zugang, um der Lebens-, Glaubens- und Beziehungswirklichkeit Einzelner gerecht zu werden.

Es ist nicht so einfach zu sagen, man kann es erlauben oder nicht. Es ist ja nicht einfach ein hoheitlicher Akt, den ich als Bischof setze, zu sagen, dem einen erlaube ich es , dem anderen nicht. Auf dieser Ebene läuft es nicht. Es muss auf der Ebene der Gewissensbildung und Verantwortung laufen, wo es eine gute Begleitung und ein Wohlwollen braucht und nicht einfach Verbote.

Läuft das in der Diözese zufriedenstellend?

Wir sind erst am Anfang des Prozesses. Ich habe in den 1980er-Jahren mitbekommen, wie man versucht hat, im Sinne der Begleitung der Einzelnen unter bestimmten Konstellationen den Empfang der Kommunion zu erlauben. Es sind dann auch relativ viele zu den Sakramenten gegangen. Es hat welche gegeben, die das von sich aus nicht wollten. Es hat Priester gegeben, die gesagt haben, das geht nicht.

Mit kann das nicht mit einem Federstrich verändern. Man kann auch nicht mit einem Federstrich eine Ehe sanieren oder eine schwierige Lebensgeschichte heilen.

Der deutsche Theologe Martin Rhonheimer kritisiert im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung die Wirtschaftsansichten des Papstes ("diese Wirtschaft tötet"). Er sagt, dass Barmherzigkeit keinen Wohlstand schafft, sondern nur der Kapitalismus und Marktwirtschaft.

Grundsätzlich glaube ich, dass die öko-soziale Marktwirtschaft Wohlstand schafft. Die ausschließlich liberale Marktwirtschaft hat schon Wachstumsraten, aber doch massive negative Kehrseiten. Hier würde Rhonheimer auch Johannes Paul II. massiv mitkritisieren, der in manchen Bereichen genau so kapitalismuskritisch wie Franziskus war. Wobei es in der Enzyklika Centesimus annus (1991) schon Ansätze dafür gibt, zumindest anzuerkennen, dass gewisse Grundbedürfnisse des Menschen wie zum Beispiel die Verwirklichung der Freiheit, aber auch die Befriedigung der Grundbedürfnisse besser durch die soziale Marktwirtschaft befriedigt werden als durch eine Planwirtschaft.

Wichtig ist die Frage, wer zahlt bzw. auf wessen Kosten geht es? Das bringt die katholische Soziallehre ein. Der Alte Testament spricht vom Quartett der Verwundbaren, weil es doch relativ viele Menschen gibt, die aufgrund ihrer Herkunft, ihres sozialen Gefüges nie eine Chance hatten, ihre Freiheit wirtschaftlich so zu verwirklichen, dass sie zum Wohlstand führt.

Von der Katholischen Soziallehre hält Rhonheimer nicht so viel.

In den USA ist zum Beispiel die Armut nicht verschwunden, sondern sie hat nicht geringe Bereiche der Gesellschaft erreicht. Und die Mitte bricht zunehmend weg. Es braucht auch so etwas wie eine gesellschaftliche Kultur in der Wirtschaft. Der Kapitalismus schaut nicht von selbst auf alle gesellschaftlichen Bereiche. Für die Rohstoffe der Handys werden Kriege geführt, sie kosten Menschenleben. Es werden dafür Leute ausgebeutet. Können wir mit unserem Wirtschaften unseren Enkeln in die Augen schauen? Das hat man früher in der Land- und Forstwirtschaft schon gehabt. Es braucht in einem Land eine gewisse Streuung von Industrie- und Mittelbetrieben.Wenn in einem Land ausschließlich die Finanzindustrie angesiedelt ist und es den anderen Bereichen schlecht geht wie zum Beispiel in England, dann haben sie mittelfristig ein großes Problem.

Die Marktwirtschaft baut auf Werten und Voraussetzungen auf, die sie selbst nicht produziert, aber von denen sie lebt.

Die Frage der Bildung ist beispielsweise nicht nur eine ökonomische Frage, sondern eine zutiefst anthropologische und eine Frage der Kultur. Auch eine Frage der Ethik und Religion. Ich glaube auch, dass die meisten Unternehmer so denken und ticken. Sie agieren in großer Verantwortung. Das ist dann nicht mehr der reine Kapitalismus.

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