"Ich kann mich sehr gut quälen"

Vom Balkon ihrer Wohnung blickt Andrea Mayr auf den Attersee.
Andrea Mayr holte sich vor einem Monat den fünften Titel als Berglaufweltmeisterin. Sie ist Unfallchirurgin am Krankenhaus Vöcklabruck und feierte diese Woche ihren 35. Geburtstag.

KURIER: Warum sind Sie so schnell?Andrea Mayr: Ich weiß nicht, warum es funktioniert. Nach den Olympischen Spielen von 2012 habe ich einen normalen Job angenommen. Vorher habe ich auch schon als Medizinerin gearbeitet, aber im Heeresspital, wo ich mehr Freiheiten hatte. Ich hatte erwartet, dass es aus sein wird. Mir war immer klar, dass ich laufen werde. Aber ich habe damit gerechnet, dass die Leistungen so zurückgehen werden, dass mich Wettkämpfe nicht mehr freuen.

Sie sind besser geworden.

Besser kann man auch nicht sagen. Ich habe mich jetzt mehr auf das Berglaufen konzentriert. Da bin ich wirklich besser, als ich es jemals war.

Sie haben bei der Berglaufweltmeisterschaft die Zweite um beinahe drei Minuten hinter sich gelassen. Das ist bei einer acht Kilometer kurzen Strecke eine Deklassierung.

Ja. Es ist extrem gut gegangen. Früher habe ich mehr alles gemacht. 3000 Meter auf der Bahn, Halbmarathon, Marathon und der Berglauf. Jetzt liegt das Hauptaugenmerk schon auf dem Berglauf. Das ist auch durch die Gegend vorbestimmt. Es gibt hier in Gmunden zwar auch schöne flache Strecken, aber die schöneren sind im Gelände. Ich laufe am Grünberg, am Grasberg, am Gmundnerberg, Feuerkogel, eigentlich alles. Der Traunstein ist nicht so leicht zu laufen. Es gibt so viele Felsen, wo man keine Laufschritte mehr setzen kann.

"Ich kann mich sehr gut quälen"
APAGIN22 - 12072009 - TELFES - OESTERREICH:ZU APA SI - Berglauf-Weltmeisterin Andrea Mayr (AUT) hat bei der Heim-Europameisterschaft am Sonntag, 12.Juli 2009, in Telfes die Bronzemedaille gewonnen. APA-FOTO: THOMAS BOEHM
Wie oft trainieren Sie? Zwei bis drei Mal täglich?

An einem normalen Tag fahre ich um 6 Uhr früh mit dem Rennrad von Gmunden nach Vöcklabruck in die Arbeit. Das sind rund 22 km, eine Strecke abseits der Bundesstraße. Ich dusche dann, ziehe mich um und um sieben Uhr beginnt die Arbeit. Ich fahre hier schon auf Druck.

Ohne Frühstück?

Ja, ohne Frühstück. Ich mache so viele Sachen, wo viele die Augen verdrehen und sagen, so kann man nicht trainieren. Vielleicht ist das der Grund, warum mein Stoffwechsel so gut trainiert ist. Er bekommt nicht immer etwas, wenn er Hunger hat. Er muss warten (lacht).

Sie sind sehr schlank. Wie viel Kilogramm haben Sie? Haben Sie überhaupt 50 kg?

Ich kann die Frage nicht wirklich beantworten, ich habe keine Waage zu Hause. Aber ich habe mit Sicherheit über 50. Ich esse aber deshalb nichts, weil es sich in der Früh von der Zeit her nicht anders ausgeht. Wenn ich einmal esse, dann ordentlich. Dann esse ich vermutlich mehr als Sie, aber ich verbrenne es. Nach der Arbeit fahre ich mit dem Rad nach Hause und am Spätnachmittag trainiere ich. Die Intensität hängt davon ab, worauf ich hintrainiere.

Welche Pulsfrequenzen erreichen Sie?

Ich laufe ohne Pulsuhr, ohne GPS und ohne Laktatmessungen. Entfernungsmessungen am Berg haben wegen der Steigungen wenig Sinn.

Wie viele Kilometer laufen Sie pro Woche?

Ich habe 2012 aufgehört, sie aufzuschreiben. Ich habe früher professionell und viel trainiert. Ich habe auch keinen geregelten Trainingsplan mehr, denn mein Trainer weiß nicht, wie es mir geht, wenn ich von der Arbeit nach Hause komme. Wenn er mir zum Beispiel eine belastende Trainingseinheit aufschreibt und ich bin von der Arbeit ziemlich fertig, dann versuche ich sie durchzuziehen. Wenn ich sie aber nicht zustande bringe, bin ich ziemlich frustriert.

Nach einem 24-Stunden-Dienst fahre ich mit dem Rad nach Hause. Wenn ich voll im Training stehe, gehe ich sofort laufen und gehe dann schlafen. Keine schnelle, sondern eher eine Ausdauereinheit. Dann ich gehe nochmals am späten Nachmittag trainieren.

Am Wochenende trainiere ich einmal vormittags und einmal nachmittags.

Solche Erfolge wie Sie sie haben, erreicht man nur mit enormer Selbstdisziplin.

Ich belaste mich schon, aber wahrscheinlich trainiere ich heute effektiver. Wenn ich trainiere, strenge ich mich an. Das macht schon Sinn. Momentan habe ich Saisonpause.Ich bin auch ein bisschen leer im Kopf. Ungezielt trainieren ist auch gut. Ich weiß es eh, wenn es wieder kommt. Dann fange ich wieder an.

Machen Sie außer Arbeiten und Laufen sonst auch noch etwas?

Die Wohnung war monatelang eine Großbaustelle. Sie gehört jetzt noch eingerichtet. Im Frühjahr habe ich meinen Turnus gemacht und für die Prüfung gelernt. Ich war selbst überrascht, was man alles gleichzeitig machen kann. Manche Dinge bleiben schon auf der Strecke. Ich bin dem Finanzamt meine Steuererklärung schuldig. Das nervt mich ein bisschen.

Welche Ziele verfolgen Sie noch?

Ich habe mir gedacht, ich müsste noch die Klassiker abklappern. Da fehlen mir schon noch einige. Voriges Jahr bin ich zum Beispiel den Jungfraumarathon gelaufen. In Österreich fehlt mir der Wolfgangseelauf. Mich reizt aber auch die Weltmeisterschaft noch einmal. Ich plane nicht so stark für die Zukunft. Wenn das Laufen aufgrund der Arbeit nicht mehr so gut geht, und ich vielleicht doch schwanger werde ...

Sie wollen Kinder ...

Ja, aber erst später.

Sie haben die Frage, warum Sie so schnell sind, immer noch nicht beantwortet.

Vielleicht, weil ich es so gerne laufe. Wahrscheinlich ist es das. Wenn es etwas wäre, wo ich mich jeden Tag überwinden müsste, hätte ich wahrscheinlich eh schon aufgehört.

Bei so manchen Läufen kann man an Ihrem Gesicht ablesen, wie sehr Sie sich quälen.

Wahrscheinlich kann ich mich sehr gut quälen. Vielleicht macht mir das Quälen mehr Spaß als anderen Leuten. Es ist unterschiedlich. Es gibt Tage, an denen ich nur durch die Gegend laufen will. Aber es gibt andere Tage, an denen ich mich wirklich quälen will. Ich habe hier in Gmunden einen tollen Laufpartner, der im Gegensatz zu mir alle Zeiten nimmt. Wenn ich die Zeiten wissen will, kann ich ihn fragen. Wenn ich es nicht wissen will, dann frage ich ihn nicht.Mental ist das eine sehr gute Sache.

Was streben Sie in Ihrem Beruf als Ärztin an?

Ich bin jetzt auf der Unfallchirurgie. Ich mache hier meine Ausbildung. Hier sieht man relativ kurzfristig ein Ergebnis, einen Erfolg. Es kann belastend sein, vor allem, je jünger die verunfallten Patienten sind.

Wenn Sie vom Krankenhaus belastet nach Hause kommen, wie können Sie das wegstecken?

Das Laufen hilft sehr gut, Abstand zu nehmen. Es ist sogar optimal.

Was gefällt Ihnen am Laufen so gut? Können Sie das beschreiben?

Nein. Das ist nicht möglich. Manchmal ist es einfach ein tolles Gefühl, durch den Wald zu laufen. Es tut einfach gut, das Wetter ist perfekt. Der Wald riecht so gut. Man kann es schwer beschreiben. Es gibt aber auch Tage, an denen es nicht gut läuft. Da denke ich mir nach einer halben Stunde, heute interessiert es mich überhaupt nicht. Ich glaube, so ergeht es jedem. Egal, welchen Beruf man ausübt. Das Gewinnen gehört zu den angenehmen Dingen. Die Niederlagen hat man nicht so gerne, aber man braucht sie, damit man die Erfolge wieder richtig einstufen kann. Manchmal habe ich das Gefühl, Sportler sind manisch-depressiv. Ich brauche die Wettkämpfe einfach, die Anspannung und die Vorfreude. Aber manchmal geht mir das auch am Nerv.

Sie sind noch immer nervös, obwohl Sie schon so viele Starts hatten?

Bei jedem zweiten Großereignis steht ich an der Startlinie und fange zum Heulen an. Ich denke mir, jetzt habe ich so lange darauf hintrainiert und auf einmal ist es jetzt. Manchmal wird mir das zu viel. Manche schauen sie mich an und denken sich wohl, was ist denn jetzt schon wieder ...(lacht).

Was ist eine Niederlage? Man kann zum Beispiel einen sehr guten Lauf haben und nur Zweite werden.

Bei der Duathlon-Euromeisterschaft bin ich nur Zweite geworden, aber das war keine Niederlage. Eine Niederlage ist, wenn ich mir denke, von den Trainingsleistungen müsste das und das drinnen sein und dann kann man es einfach nicht umsetzen.

Ernährung ist ein wichtiger Punkt. Sind Sie Vegetarierin?

Nein. Ich esse so ziemlich alles. Ich koche aber fast alles selbst und es gibt keine Fertigprodukte.

Wenn man so viel trainiert, muss man viel schlafen, damit sich der Körper erholt.

Ich habe das Gefühl, ich bin chronisch im dauermüden Zustand. Ich schaue, dass ich um 22 Uhr schlafe. Im Sommer tue ich mir leichter mit dem Aufstehen. Wenn es morgens und abends dunkel ist, ist das Trainieren viel schwerer.

Wie schaut es mit Gymnastik und Dehnen aus?

All diese schönen Sachen sind nach 2012 weggefallen. Es gibt kein Krafttraining mehr, kein Dehnen, keine Regenerationsläufe. Aber beim Radlfahren und beim Berglaufen bekomme ich Kraft. Wenn ich die Dusche aufdrehe und auf das warme Wasser warte, mache ich inzwischen 30 Liegestütze.

Was sind Ihre Ziele für 2015?

Es gibt die Berglauf-Europameisterschaft in Madeira. Es interessiert mich auch der Halbmarathon in Linz. Die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Rio wäre auch eine Möglichkeit.

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