"Null Verkehrstote ist nicht machbar"

"Null Verkehrstote ist nicht machbar"
Jörg Leichtfried kündigte Reduzierung bis 2020 um die Hälfte an. Experten zweifeln das an.

Die Reduzierung der Zahl der Verkehrstoten um die Hälfte bis 2020 – mit diesem engagierten Ziel trat Verkehrsminister Jörg Leichtfried (SPÖ) sein Amt an. Der Grund für den plakativen Vorstoß ankert im erstmaligen Anstieg mit 475 getöteten Unfallopfer im Vorjahr. Denn seit 2003 ging der Blutzoll kontinuierlich zurück (siehe Grafik).

Mit der Ankündigungspolitik und einem 100-Punkte-Paket für mehr Verkehrssicherheit rührte der Minister jetzt die Werbetrommel. Punkteführerschein, Drogenvortest-Geräte, Analyse der Unfallhäufungspunkte, Gütesiegel für Fahrschulen, mehr Lkw-Sicherheit sowie eine Vereinheitlichung des Strafenkataloges waren die Schlagwörter. Schließlich kündigte Leichtfried an: "Ich will keinen einzigen Verkehrstoten mehr auf unseren Straßen. Das ist aber keine One-Man-Show. Ich brauche Verbündete auf allen Ebenen. Das reicht von Gemeinden und Ländern über die Exekutive bis zu den Autofahrerclubs."

Der KURIER befragte Verkehrsexperten, ob die hochgesteckten Ziele tatsächlich erreichbar sind.

"In vier Jahren ist das nicht zu schaffen. Und die Vision Zero, also null Verkehrstote, ist einfach ein Blödsinn und eine reine Willenserklärung", kritisiert Hermann Knoflacher, Verkehrsplaner an der Uni Wien. Der renommierte Experte sieht nur eine Möglichkeit: "Der Gesetzgeber müsste in Dörfern und Städten eine 30-km/h-Tempobremse einführen. Und das wird nicht passieren."

Bernhard Wiesinger, Leiter der ÖAMTC-Interessensvertretung mit zwei Millionen Mitgliedern, verweist auf die Realität und kritisiert die "Verbündeten", auf die Leichtfried setzt: "Die Länder spielen bei den Plänen nicht mit. Denn sie sind für sichere Straßen verantwortlich, investieren aber nicht, sondern stopfen Finanzlöcher. Wiesinger gibt ein Beispiel: 2003 erhielten die Länder aus dem Finanzausgleich (Einkommens-, Vermögens- und Mineralölsteuer sowie Nova) 6,7 Milliarden Euro. Davon wurden 23,9 Prozent in Straßenprojekte sowie in die Entschärfung von Unfall-Punkten investiert. 2013 flossen 14,5 Milliarden an die Länder, investiert wurden aber nur noch 8,7 Prozent. Trotz steigender Verkehrsdichte. Wiesinger lakonisch: "Ein neues Opernfestival unter vielen ist anscheinend wichtiger als ein Straßenumbau." Und Umbauten – etwa gefährliche Kreuzungen in Kreisverkehre – stehen auf Leichtfrieds Agenda.

"Null Verkehrstote ist nicht machbar"

Unfall-Forschung

Auch die angekündigte Analyse der Unfallpunkte erntet Kritik. Wiesinger: "Was es braucht, ist eine Unfall-Tiefenforschung. In Teilen Deutschlands werden Unfälle wie bei einem gerichtlichen Verfahren aufgearbeitet. Das ist zwar effizient, aber teuer."

Propaganda

Auch ARBÖ-Geschäftsführer Gerald Kumnig interpretiert die Minister-Ankündigungen als Propaganda: "Ex-Verkehrsministerin Bures hat genau dasselbe propagiert. Vor allem die Forderung nach einem Punkteführerschein ist nicht verständlich. Wir haben ein Vormerksystem. Nimmt man Raser- und Alko-Delikte darin auf, wären wir auf der sicheren Seite. Das Ziel, die Unfalltoten in vier Jahren um die Hälfte zu reduzieren, ist so nicht erreichbar." Nachsatz: "Beim Skifahren gibt es auch Beinbrüche."

Zum Thema Punkteführerschein zeigt sich Leichtfried bereits vorsichtig: "Das kann ein langfristiges Ziel sein. Auch wenn mit Widerständen zu rechnen ist." Und das 100-Punkte-Programm sieht der Minister als Werkzeugkasten: "Wir setzten Maßnahmen und prüfen. Haben wir nicht die gewünschten Effekte, nahmen wir das nächste Werkzeug heraus."

Kommentare