Fall Kührer: Lebenslang für Angeklagten

Der Angeklagte Michael Kollitsch vor Gericht.
Schuldig mit 7:1 Stimmen, aber viele Fragen bleiben offen - Urteil nicht rechtskräftig.

Ich hatte keinen Grund, der Julia Kührer etwas anzutun. Sie können sicher sein: Hätte ich gewusst, dass eine Leiche in meinem Keller liegt, hätte ich mich anders verhalten“: Der Angeklagte, Michael Kollitsch, hatte das letzte Wort, ehe sich die Geschworenen am Dienstag gegen 15 Uhr im Landesgericht Korneuburg zur Urteilsberatung zurückzogen.

Und sie glaubten ihm überwiegend nicht. Die Geschworenen fällten mit 7:1 Stimmen einen Schuldspruch wegen Mordes, Kollitsch wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, er hörte sich die Entscheidung zunächst regungslos an. Verteidiger Farid Rifaat legte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung ein.

Kollitsch, 51, ehemaliger Videotheksbesitzer, Wrestler mit dem Kampfnamen „Pit Bull“, Ungustl und Angeber, der Frauen als Sexobjekte abstempelte. So wurde er während der sieben Verhandlungstage beschrieben. „Nervös“ sei sein Mandant gewesen, erklärte Rifaat vor Prozesstag Nummer sieben. Das Urteil nahm der Angeklagte „sehr betroffen“ auf. Für den Anwalt haben sich „im Lauf des Verfahrens noch größere Lücken aufgetan.“

Wer sonst?

Doch die konnte Staatsanwalt Christian Pawle mit einem starken Schlussplädoyer zu einem guten Teil ausräumen. Er untermauerte seine Worte mit einer Bild-Präsentation. Der Totenkopf und die ausgeschlagenen Zähne von Julia Kührer; das nicht von außen zugängliche und versperrte Grundstück von Michael Kollitsch in Dietmannsdorf, wo die Leiche Kührers im Sommer 2011 gefunden wurde; die Internet-Abfragen, die Kollitsch getätigt hatte: „KO-Tropfen Vergewaltigung, Sex mit Kindern, Sex mit toten Frauen. Ficken junge Mädchen.“

Und er rief noch einmal die Schilderungen jener Frauen in Erinnerung, mit denen Kollitsch in der Vergangenheit ein Verhältnis hatte. Eva H., die er einsperrte und der er eine Pistole an den Kopf hielt, als sie ihn verlassen wollte. Die blutjunge Manuela V., der er beim Sex das Messer anhielt und sie mit dem Umbringen bedrohte.

Fall Kührer: Lebenslang für Angeklagten

Pawle drehte den Spieß um. Wer, wenn nicht Kollitsch, hatte Zugang zum verschlossenen Grundstück? Wer kannte den Keller, in dem die sterblichen Überreste der 16-Jährigen gefunden wurden, überhaupt? Wer hatte die nötigen Werkzeuge sonst zur Verfügung – also die Taschenlampe, den Brandbeschleuniger, die Decke, die Scheibtruhe und die Schaufel? Und wer konnte sonst dafür sorgen, dass Julias Leichnam fünf Jahre lang unentdeckt blieb? „Das war nur Michael Kollitsch. Der Pitbull, das Muskel- und Kraftpaket. Er war auch der Crystal-Meth-Lieferant für die depressive Julia Kührer“, sagte Pawle. Auch davon waren die Geschworenen überzeugt.

Zu Theorien, dass Kollitsch für einen Dritten, etwa Julias Exfreund Thomas Sch., den Kopf hinhalten könnte, findet der Ankläger klare Worte: „Er ist kein Märtyrer, der heute lebenslang riskiert.“

Auch nach unzähligen Zeugenaussagen und Gutachten blieb die wesentliche Frage aber offen: Wie starb Julia Kührer? Und das betonte Verteidiger Farid Rifaat. „Wir wissen, dass Julia am 27. Juni 2006 um 13.30 Uhr in Pulkau aus dem Bus stieg. Und wir wissen, dass ihre sterblichen Überreste am 30. Juni im Erdkeller des Angeklagten gefunden wurden.“ Was dazwischen geschah, bleibt ein Geheimnis.

Niemand sah das Mädchen, als es in Kollitschs Videothek gegangen sein soll. Keiner hörte Schreie. Niemand wusste, dass sie Crystal Meth konsumiert hat – außer jene Zeugin, die als Vertrauensperson 1009 geführt wird. Und an diesen Aussagen schürt der Verteidiger Zweifel. „Sie erzählt uns jedes Mal etwas anderes.“

Ebenso will er Julias Exfreund Thomas Sch. nicht in der Rolle des Unschuldigen sehen. „Er hatte eine wesentliche Rolle im Leben Julias. Und er galt fast bis zuletzt als Beschuldigter in diesem Verfahren.“

Und Rifaat brachte eine weitere Todestheorie ins Spiel: „Es gibt das Gerücht, dass Julia bei einer Drogenparty weggekippt ist. Jetzt stirbt dieses Mädel weg. Was macht man jetzt?“ Seine Antwort: „Die Jugendlichen starten eine Panikaktion, legen sie in den Erdkeller. Zwei Tage später kommen sie zurück und verbrennen sie. Kollitsch war tagsüber viel unterwegs.“

Gerechtigkeit

Julia Kührers Eltern sind am Tag des Urteils übrigens nicht da – wohl aber Vertraute der Familie und ihr Anwalt Gerald Ganzger. Symbolisch fordert er für Anton und Brigitte Kührer je 100 Euro Schadenersatz von Kollitsch. „Ich wünsche mir Gerechtigkeit“, sagte Brigitte Kührer bei ihrer Aussage.

Die habe die Familie nun, sagt Ganzger. Ihr Kind kann ihr aber niemand mehr zurückbringen.

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