Tobender Bub unter Mördern

Von der Kinder- und Jugendpsychiatrie auf die forensische Abteilung in Mauer: So erging es einem 17-jährigen Patienten in Niederösterreich.
OGH verfügt Trennung zwischen erwachsenen Tätern und kranken Jugendlichen.

Erwachsene Geisteskranke, verurteilte Mörder, psychisch gestörte U-Häftlinge – und mitten drinnen ein 17-Jähriger, der zu aggressiven Impulsausbrüchen neigt. Er hat nichts Strafbares angestellt, befindet sich weder im Maßnahmenvollzug noch in U-Haft, und war trotzdem in der forensischen Männerstation der Psychiatrie in Mauer-Öhling, NÖ, untergebracht.

Darf das sein? Im Strafvollzug sind jugendliche und erwachsene Gefangene dem Gesetz nach voneinander zu trennen, weil von den Erwachsenen ein schädlicher Einfluss zu befürchten ist. Im Unterbringungsgesetz ist so eine verpflichtende Trennung nicht festgeschrieben. Der 17-Jährige war ausgerastet (siehe Zusatzbericht unten), ein Pflegschaftsrichter hatte wegen Fremdgefährdung die Unterbringung für zulässig erklärt, und ein Primarius im Landesklinikum Mauer hatte ihn zu den erwachsenen Straftätern gesteckt.

Kriminalisiert

Tobender Bub unter Mördern
APA12470608 - 25042013 - WIEN - ÖSTERREICH: Günther Kräuter am Donnerstag, 25. April 2013, vor seiner Wahl zum Volksanwalt im Rahmen einer Sitzung des Nationalrates im Parlament in Wien. APA-FOTO: GEORG HOCHMUTH
"Das ist grotesk. Man kriminalisiert hier kranke Jugendliche", sagt Volksanwalt Günther Kräuter zum KURIER.

Das sah auch der Patientenanwalt so, beantragte die räumliche Trennung, die vom Bezirksgericht Amstetten angeordnet wurde. Der Primarius bekämpfte den Beschluss jedoch durch alle Instanzen bis zum Obersten Gerichtshof (OGH), der ein Machtwort sprach: Die Trennung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen muss bei der Anhaltung von psychisch Kranken, die keine Straftäter sind, "umso mehr gelten". Und zwar ganz egal, ob die Unterbringung von einem Strafgericht oder einem Pflegschaftsgericht angeordnet bzw. bewilligt wurde.

Kein Einzelfall

Jetzt steht das zwar schwarz auf weiß da, aber Einzelfall ist das keiner und wird es auch nicht bleiben. Die Volksanwaltschaft beanstandet bei ihren Blitzvisiten zur Überprüfung der Menschenrechte in ganz Österreich wiederholt, dass Kinder und Jugendliche in der Erwachsenenpsychiatrie untergebracht sind. Diese kann aber nicht leisten, was von einer Kinder- und Jugendpsychiatrie zu verlangen ist.

"Es geht ja auch um Pädagogik", sagt Adelheid Pacher vom Büro Kräuter. Es mangelt an Bettenkapazität für psychisch kranke Jugendliche, an Fachärzten und an der Nachbetreuung. Bei den Jugendpsychiatrien wird es noch Jahre dauern, bis halbwegs ausreichend Plätze vorhanden sind. Inzwischen hilft man sich mit dem Aufstellen von Paravans. Und in betreuten Wohngruppen sollten maximal 10 Kinder gleichzeitig aufgenommen werden, in der Steiermark sind es bis zu 13, im Burgenland bis zu 16 Kinder.

Peter Kastner vom Büro der Volksanwältin Gertrude Brinek begrüßt das OGH-Urteil. Obgleich man die Praxis wie in Mauer erklären könne. Für jeden vorläufig Untergebrachten sollte sofort eine spezielle Behandlung begonnen werden, dafür sind aber nur wenige Standorte in Österreich ausgestattet. Wenn man einen Jugendlichen in ein anderes Bundesland mit mehr Kapazitäten transferiert, reißt man ihn aus seinem sozialen Umfeld heraus. Auch für die Eltern, die dann zum Besuch quer durch Österreich reisen müssen, ist das eine Katastrophe.

Laut Kastner ist die Suche nach geeigneten Plätzen für psychisch auffällige Jugendliche ungemein schwierig. Er berichtet von einem 16-Jährigen, der in einem Heim der Jugendwohlfahrt in Tirol eine Betreuerin mit einem Vorschlaghammer attackiert hat. Zum Glück erwischte er den Türstock. Der Vorfall sprach sich herum, nun wird der Bub wie eine heiße Kartoffel weitergereicht.

Zunächst war der 17-Jährige, der an einer "Persönlichkeitsentwicklungsstörung mit aggressiven Impulsausbrüchen" leidet, auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie eines Spitals im Osten Niederösterreichs untergebracht. Doch dort befand man, der junge Mann gehöre auf eine geschlossene Abteilung, also wurde er auf eine psychiatrische Abteilung für Erwachsene in ein anderes Spital in Niederösterreich verlegt. Auch dort hieß es: "Die Krise des 17-Jährigen ist hier nicht bewältigbar." Er gehöre auf eine geschlossene Abteilung.

Schlussendlich landete der Bursche auf der forensischen Abteilung des Landesklinikums Mauer im Bezirk Amstetten. Eingebettet zwischen psychisch kranken Häftlingen und geistig abnormen Rechtsbrechern (siehe Bericht oben). Dort wurde der Patient, der mittlerweile entlassen ist, sechs Wochen lang angehalten. "Ohne Verlangen", wie es im Gesetz heißt.

Wird jemandes Freiheit ohne Verlangen temporär beschränkt, müssen die Spitäler eine Meldung an die gesetzlichen Vertreter, in dem Fall, Patientenanwälte, machen. So ist auch Walter Pronegg vom Verein Vertretungsnetz auf den Fall aufmerksam geworden. Dass der 17-Jährige schlussendlich auf der forensischen Station in Mauer landete "war die schlechteste Variante für den Patienten", sagt Pronegg, der den Burschen als Patientenanwalt im Verfahren vertreten hat. "Die beste Lösung wäre gewesen, den Patienten auf einer Spezialabteilung für psychisch kranke Kinder und Jugendliche unterzubringen."

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