Tief ins Glas geschaut

Wissenschaft: Warum prickelt Champagner? Erkenntnisse zweier Physiker, die ihr Geld mit Luft machen – mit aufsteigenden Bläschen

Gérard Liger-Belair hat billig angefangen – erst Soda, dann Bier. Mittlerweile ist der Physiker und Foto-Narr aus Reims bei Champagner angelangt. Besser gesagt, bei den Bläschen: "Ich war schon als Kind von der Bewegung durch die Bläschen fasziniert." Die fotografierte Liger-Belair, um ihre Geheimnisse zu ergründen. Als er erste spektakuläre Bilder hatte, schickte er sie an Moët & Chandon. Dort war man begeistert. Erst recht, als er erklärte, dass er seine Beobachtungen auch wissenschaftlich untersuchen wollte. Schon hatte Liger-Belair einen Sponsor für seine Doktorarbeit.

Heute – zehn Jahre später – hat der Physiker tatsächlich Bahnbrechendes herausgefunden; etwa, dass der Champagner im Glas nur perlt, wenn an der Innenwand etwas Schmutz haftet – mikroskopisch kleine Teilchen, wie sie millionenfach in der Luft herumschwirren. Oder winzige Stoff-Fasern vom Geschirrtuch. "Im Inneren dieser Teilchen bleiben nach dem Einschenken kleine Hohlräume. Hier entstehen die Bläschen", sagt er.

Mit Hightech

Woher er das weiß? Der Physiker untersucht den perlenden Wein gemeinsam mit seinem Kollegen Guillaume Polidori, Professor für Fluidmechanik, mit Hightech-Methoden, durchleuchtet ihn mit dem Lasertomografen, verfolgt die natürlichen Strömungswirbel im Glas, überprüft, welchen Einfluss sogenannte künstliche Moussierpunkte haben. Fazit der Forscher: Die Form des Glases entscheidet über den Genuss. Moussierpunkte – eine mikroskopische Aufrauung direkt über dem Stil – sind nicht uneingeschränkt zu empfehlen. In einer Champagner-Flöte ist die gesamte Flüssigkeit in Bewegung, in einer Schale ist der Randbereich in Ruhe.

Ist der Champagner frisch eingeschenkt, treffen pro Sekunde Hunderte von Bläschen auf die Oberfläche. Dort zerplatzen sie und schaffen einen regelrechten Nebel – ein Aroma-Großangriff auf Nase und Gaumen. "Die Visualisierung mittels Lasertomografie erweist sich als wertvolles Werkzeug für die weinkundliche Untersuchung von Champagner", meint der Physiker. Denn die Wirbelstruktur, die er mit seinen Kollegen erstmals sichtbar gemacht hat, ist ein Parameter für die Qualität von Champagner – und die Eignung eines Glases für das Edelste aller Getränke.

"Die Bläschen machen die Arbeit für Sie"

KURIER: Wie würde Champagner schmecken, hätte er keine Bläschen?

Gérard Liger-Belair: Wie ein saurer und aromatisch eher armer Weißwein. Die Bläschen haben – wissenschaftlich ausgedrückt – zwei Effekte. Erstens: Sie verbessern Geschmack und Aroma, indem sie die Oberfläche zwischen Wein und Luft vergrößern. Zweitens: Die Bläschen vermischen den Champagner ständig, weil sie ihn in Bewegung halten, dadurch beschleunigt sich auch die Auflösung von flüchtigen Aroma-Molekülen. Darum ist es auch nicht nötig, Champagner zu schwenken, wie man es bei Weißwein tun würde. Die Bläschen machen die Arbeit für Sie.

Wie trinken Sie Ihren Champagner – aus einerFlöte oder aus einer Schale?

Ich bevorzuge die Flöte. In Schalen verlieren sich Aroma und CO2 zu schnell. Um das Sprudeln auszudehnen, brauchen Sie ein Flöte.

Ich trinke Champagner, aber ich beobachte ihn auch. Es ist schon ein komisches Gefühl, die raffiniertesten Werkzeuge der Wissenschaft zu nutzen, um all die Fragen zu beantworten, die mir im Hirn herumspuken, seit ich ein Kind war. Ich finde es noch immer unglaublich, dafür bezahlt zu werden, wissenschaftliche Arbeiten über kohlensäurehaltige Getränke zu produzieren.

Nun, nach all der wissenschaftlichen Arbeit: Welche Champagner- Marke würden Sie empfehlen?


Schwer zu beantworten ... vielleicht einen Dom Pérignon 1959, was aber nicht nur mit meiner wissenschaftlichen Beobachtung zusammenhängt. In Wahrheit fällt es mir heute schwer, Champagner einfach nur normal zu kosten.

Erzählen Sie uns doch bitte einige Dinge über Champagner, die wir bisher nicht gewusst haben.

Also: Champagner-Bläschen würden am Mond viel größer sein – begründet durch die geringere Schwerkraft; entgegen der landläufigen Meinung sind Bier-Bläschen um vieles kleiner als die im Champagner; Dom Pérignon, der "Vater des Champagners", erhielt im 17. Jahrhundert von seinen Kirchenoberen den Auftrag, die Bläschen gefälligst aus dem Wein zu entfernen. Man hielt sie für ein Zeichen, dass er bei der Weinherstellung gepfuscht hatte; und: ein einziges Glas Champagner kann bis zu vier Millionen Bläschen enthalten. Eigentlich unvorstellbar, oder?

BUCHTIPP
Gérard Liger-Belair: "Entkorkt! Wissenschaft im Champagnerglas", Spektrum Akademischer Verlag, 21,10 €

Mehr zum Thema

  • Hauptartikel

  • Hintergrund

Kommentare