Suizid eines Flüchtlingsbuben: Elfjähriger war "gut integriert"

(Symbolbild)
Laut Landesschulrat für Niederösterreich war das Kind "nicht verhaltensauffällig".

In der Badener Schule des Elfjährigen, der sich vor eineinhalb Wochen das Leben genommen hat, habe es keine Verhaltensauffälligkeiten gegeben, sagte ein Sprecher des Landesschulrates für Niederösterreich am Donnerstag auf APA-Anfrage. Laut Polizei stand der Bub im Verdacht, am 11. November mit einem Siebenjährigen einen Ladendiebstahl verübt zu haben. Einen Tag später ging die Suizidmeldung ein.

Ladendiebstahl im Spielzeuggeschäft

"Das Kind war in der Schule nicht verhaltensauffällig und war gut integriert", sagte ein Sprecher des Landesschulrates. Und auf die Frage, ob der Bub regelmäßig die Schule besucht habe: "Selbstverständlich." Allerdings wurde der Elfjährige verdächtigt, am 11. November gemeinsam mit einem anderen Asylwerber im Alter von sieben Jahren einen Ladendiebstahl in einem Spielwarengeschäft verübt zu haben, sagte Sebastian Stockbauer von der Stadtpolizei Baden auf Anfrage. Das Diebesgut - zwei Täschchen - habe geringen Wert gehabt, "es ging um ein paar Euro", hieß es.

Der Jüngere sei von einer Mitarbeiterin des Geschäfts mit dem Beutel ertappt worden, der Ältere mit dem Täschchen von der Polizei im Quartier der Diakonie angetroffen worden. Der Elfjährige sei aufgebracht gewesen, so Stockbauer. In einem Gespräch, bei dem auch ein Betreuer der Diakonie und ein Verwandter des Kindes dabei gewesen seien, hätten die Polizisten beruhigend auf den Buben eingeredet. "Ihm wurde mitgeteilt, dass er sich beruhigen soll, dass es nicht so schlimm sei und dass ihm nichts passiert", erklärte Stockbauer. Die beiden Buben seien zuvor nicht polizeilich auffällig gewesen.

Schon Familie mit "stabilen Eltern" wäre überfordert

Der Bub und seine Geschwister waren unter der Obsorge eines 23-jährigen Mannes gestanden. "Allein der gesunde Menschenverstand sagt, dass ein 23-Jähriger die Obsorge für minderjährige Geschwister nicht bewältigen kann. Ich kenne auch keinen Fall eines Österreichers, dem eine solche Obsorge übertragen worden wäre," sagt die Kinderpsychologin Sonja Brauner, die für den Verein Hemayat in Wien arbeitet, der psychotherapeutische Betreuung für Flüchtlinge bietet. "Schon eine Familie mit 'stabilen' Eltern ist in einer solchen Situation äußerst gefordert."

Ein 23-Jähriger habe dafür keine ausreichenden Kapazitäten. "Ein Mensch in diesem Alter ist noch damit beschäftigt, seinen eigenen Platz im Leben zu suchen." Ein Flüchtling, der aus einem Land kommt, in dem jahrzehntelang Krieg herrschte, der seine Eltern verloren und die Flucht überlebt hat, sei vermutlich traumatisiert, sagte die Kinderpsychologin am Donnerstag zur APA.

Die Mitschüler informieren

Wenn der Elfjährige wie kolportiert Botengänge erledigt und gedolmetscht hat, stellte das eine Überforderung dar. "Kinder müssen Kinder sein dürfen. Wir haben als Gesellschaft die Verantwortung, uns um die Schwächsten zu kümmern", sagte Brauner. " Und in diesem Zusammenhang ortet die Psychologin ein weiteres Problem: Wie erklären Eltern Mitschülern des Elfjährigen ihren Kindern den Suizid des Buben? Denn nicht nur Geschwister und die Mitarbeiter der Flüchtlingseinrichtung, die sich um die Familie gekümmert haben, sind vom Suizid des Buben betroffen, sondern auch die Mitschüler.

"Es gibt ausreichend Expertise, was Kinder benötigen", erklärte Brauner. Allein an der Umsetzung mangle es. "Nehmen wir Hemayat: Der Verein ist fast seit einem Vierteljahrhundert tätig und höchst angesehen, bekommt aber keine Basisförderung", erläuterte Brauner. Hemayat bietet muttersprachliche Psychotherapie für Kriegsflüchtlinge. Aktuell stehen 439 Menschen auf der Warteliste. Die Expertin kritisiert auch den von Fachleuten schon seit Jahren beklagten Mangel im Angebot an Psychotherapie für Kinder in Österreich. "Es sollte eigentlich so sein wie bei Zahnschmerzen: Wenn man welche hat, geht man gleich zum Zahnarzt."

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