"Sie wollte Kinder vom Vater fernhalten"

Tiefe Betroffenheit im Heimatort.
Der Opa der drei toten Kinder über seinen Sohn und das Verhältnis zur Ex-Schwiegertochter.

"Fakt ist, dass Martina alles unternommen hat, um keinen Kontakt mit meinem Sohn zu haben. Und sie wollte auch die Kinder unbedingt von ihrem Vater fernhalten", erzählt der Großvater der drei Kinder, die in Schildberg bei Böheimkirchen in Niederösterreich von ihrer eigenen Mutter getötet wurden, im KURIER-Interview. Und er stellt in Bezug auf Medienberichte am Samstag fest: "Prozessiert wurde um das Besuchsrecht, nicht um das Sorgerecht. Und es war auch kein erbitterter Streit. Mein Sohn wollte im Interesse der Kinder Ruhe hineinbringen."

Schon seit drei Jahren soll laut dem Vater des in Wien wohnenden Kindesvaters um das Besuchsrecht prozessiert worden sein: "Das wurde ihm auch zugesprochen", meint er. Trotzdem habe sein Sohn die Kinder im Frühjahr das letzte Mal gesehen. "Es gab keinen Kontakt mit ihr. Sie hat nicht abgehoben und nie zurückgerufen." Und das, obwohl die Scheidung einvernehmlich gewesen und sein Sohn immer seinen Zahlungen nachgekommen sei. "Er ist ihr keinen Euro schuldig geblieben." Es könne zuletzt auch gar keine heftige verbale Auseinandersetzung vor dem Haus in Schildberg gegeben haben: "Mein Sohn hatte einen komplizierten Bruch, er konnte gar nicht mit ihr streiten."

Mit den Nerven fertig

Mit Drogen, wie in Medienberichten verlautet, habe sein Sohn "nie etwas zu tun gehabt. Ich frage mich, wo das herkommt. Er ist mit den Nerven völlig fertig, er hat seine drei Kinder verloren." Was die ehemalige Schwiegertochter zu der Tat getrieben haben könnte, kann sich der Niederösterreicher nicht vorstellen: "Ich habe keine Ahnung. Vielleicht war es die Krankheit ihrer Mutter, vielleicht finanzielle Probleme."

Nächste Woche wollen die Gerichtsmediziner die Obduktionen der Leichen fortsetzen. "Es gibt keinen Zweifel daran, dass die 35-Jährige ihre gesamte Familie ausgelöscht hat", sagt ein Kriminalist. Bestätigt wurde das auch durch die sogenannte "Schusshandanalyse". Dabei werden die Hände von Verdächtigen auf Schmauchspuren der Waffe untersucht. Nur bei Martina R. verlief dieser Test positiv.

Sie hat mit der "Walther 7.65" ihrer Mutter ihre drei Kinder Michelle, 7, Fabian, 9, und Sebastian, 10, ihren Bruder Peter, 41, und ihre Mutter Mathilde R., 59, in ihren Betten erschossen. Danach richtete sie sich selbst. Die Tatwaffe lag neben der 35-Jährigen. "Eine vergleichbar schlimme Tat sucht man in der Kriminalgeschichte unseres Landes vergeblich", erklärt nö. Landespolizeidirektor, Franz Prucher.

Sonntagsmesse

Heute Vormittag wird die Pfarrgemeinde in Böheimkirchen der Opfer in der Sonntagsmesse gedenken. "Wir alle sind sehr betroffen. Es kamen jetzt Leute zu mir, die der Familie helfen wollten. Leider gibt es verzweifelte Menschen, die verletzt und enttäuscht sind und abblocken", sagt Pfarrer Emmerich Pfeiffer. Er vergleicht dieses Verhalten mit einer Muschel im Bach, die zumacht, sobald eine Hand in die Nähe des Wassers kommt. In seiner Predigt will er seinen Mitbürgern wieder Mut machen: "Man sollte nicht aufgeben, wenn man abgewiesen wird, und Augen und Ohren offen halten. Nur mit dem Herzen sieht man gut", sagt Pfeiffer.

Eine Mutter tötet ihre drei Kinder. Dazu die schwer kranke Mutter und den Bruder, der ebenfalls im Haus lebt. Im Hintergrund tobt ein Besuchsrechtsstreit. Der Kindesvater will seine beiden Söhne und die Tochter sehen, die 35-jährige Martina R. weist ihn ab. Wenig später greift sie in dem Haus im kleinen Ort Schildberg, NÖ, zur Waffe und löscht ihre gesamte Familie aus, ehe sie sich selbst erschießt.

"Eigentlich ein typisch männliches Verbrechen", sagt Psychiaterin Sigrun Roßmanith. Es wäre vermutlich auch dann passiert, wenn die Mutter der Täterin keine Schusswaffe im Haus gehabt hätte. Dann hätte die Frau andere Wege gefunden – durch Vergiftung oder Erschlagen. "Der Druck, etwas auslöschen zu müssen, hätte sich nur einen anderen Weg gebahnt", sagt Roßmanith.

Ob es sich tatsächlich um einen erweiterten Suizid gehandelt hat, bezweifelt sie. "Es kann auch eine Medea-Tötung, also eine Tötung aus Rache gewesen sein. Lieber tot zusammen sein als lebendig getrennt." Die Frau ist am Ende ihrer Kräfte. Ihre Kinder will sie auf keinen Fall verlieren. Dazu kommt der Bruder, der mit den Folgen dieser Tat nicht leben müssen soll. Und dann auch noch die schwere Erkrankung der Mutter, die sie nicht zurück lassen kann. "Das ist eine ,Alles-oder-Nichts’-Lösung gewesen."

Alternativen gab es für die 35-Jährige zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht mehr. "Bewältigungsstrategien sind nicht mehr vorhanden. Konsequent wird das ganze Feld ausgeräumt", beschreibt die Psychiaterin.

Nicht geisteskrank

Es sei eher unwahrscheinlich, dass eine schwere Geisteskrankheit die Frau zur Tat getrieben hat. Auch wenn das ein erster Reflex der Gesellschaft sei. "Nur fünf bis zehn Prozent der Mörder leiden daran."

Das "Vorurteil", dass Frauen eher als schützend und nährend beschrieben werden, sei falsch. "Frauen sind nicht weniger brutal. Sie sind nur kreativer und raffinierter, wenn sie töten. Auch wegen der fehlenden Körperkraft." Bei Frauen sei der Tatort meist die eigenen vier Wände. "Wenn sie töten, dann sind es ihre Kinder, Partner oder Freunde. Nur sehr selten sind es Fremde." Und fast nie geht es bei Frauen um Geld.

Roßmanith hat ähnliche Fälle bereits in ihrer Laufbahn als Psychiaterin erlebt. Ein derartiger Fall hat sogar dazu geführt, dass sie Gerichtspsychiaterin wurde. Im Jahr 1995 warf eine Frau erst ihre zwei Kinder aus dem Fenster im vierten Stock, dann sprang sie nach. Die Kinder starben. Die Frau landete auf dem Dach eines vorbeifahrenden Autos und überlebte, erinnerte sich aber nicht mehr an die Tat. "Es war meine schwierigste Lebenserfahrung, der Frau zu vermitteln, dass sie ihre Kinder getötet hatte."

Die Psychiaterin hat sich intensiv mit tötenden Frauen beschäftigt. Aus ihren Erfahrungen ist ein Buch entstanden: "Sind Frauen die besseren Mörder?" Die Antwort Roßmaniths kommt gleich zu Beginn: Ja.

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