Fall Kührer: Angeklagter ortet Verschwörung

Prozess, Julia Kührer
Auftakt im Kührer-Mordprozess. Der 51-jährige Angeklagte ist um keine Erklärung verlegen.

Michael Kollitsch hat abgenommen. Der ehemals 143-Kilo-Mann hat jetzt Probleme, dass die Hose sitzt. Im schwarzen Anzug erscheint der Ex-Wrestler mit dem Künstlernamen „Pitbull“ im Gerichtssaal in Korneuburg. „Wie geht’s?“, fragt Richter Helmut Neumar. „Den Umständen entsprechend“, sagt der 51-jährige Kollitsch.

Seit Dienstag 9 Uhr Früh muss sich der ehemalige Videotheken-Besitzer als Angeklagter im Mordprozess rund um die 16-jährige Julia Kührer verantworten. Die Fronten sind klar – sie wurden bereits breit medial verkündet. Staatsanwalt Christian Pawle ist davon überzeugt, dass Kollitsch das Mädchen im Juni 2006 in Pulkau getötet und dann in seinem Erdkeller in Dietmannsdorf versteckt hat. Kollitsch selbst beteuert seit jeher seine Unschuld. Und sein Verteidiger Farid Rifaat schürt Zweifel an der Anklage. „Wir wissen nicht, wie Julia gestorben ist.“ Und er will einen Lokalaugenschein.

Staatsanwalt Pawle holt aus: „Julia hatte Depressionen, Stimmungsschwankungen und Schlafstörungen. Sie hat Alkohol und Drogen konsumiert. Ihr Lieferant war Kollitsch, der Crystal Meth in Kleinhaugsdorf besorgt und das Gramm um 100 Euro verkauft hat.“ Die Übergaben sollen in der Videothek in Pulkau stattgefunden haben. „In Briefchen oder CD-Hüllen. In den CD-Hüllen fanden sich auch Hinweise auf Crystal Meth.“

Julia sei genau ins Beuteschema des Angeklagten gefallen. „Jung, zierlich, dunkel.“ – „Er hat ihre emotionale Lage ausgenutzt, als sie in seine Videothek kam“, sagt Pawle. Die Beziehung Julias zu ihrem ersten Freund war gerade in die Brüche gegangen. Mit der Mutter gab es Streit über einen Besuch beim Psychologen. Pawles Sicht der Dinge: Kollitsch näherte sich Julia, sie wies in ab. Daraufhin verpasste er ihr einen heftigen Schlag ins Gesicht, tötete sie. Erst im Juni 2011 wurden ihre sterblichen Überreste gefunden.

Hetzkampagne

All das bestreitet Kollitsch. „Die Julia war vielleicht vier Mal bei mir im Geschäft.“ Und mit Drogen will er auch nichts zu tun gehabt haben – auch wenn er dem Ex-Freund Julias erlaubte, auf seinem Grundstück Cannabis anzubauen. Und es Zeugen gibt, die von ihm Drogen gekauft haben wollen. „Woher kommen diese Anschuldigungen dann?“, fragt der Richter. „Ist das eine Hetzkampagne gegen Sie?“ „Das ist eine Verschwörung. Die Aussagen kommen alle aus einem Freundeskreis“, so Kollitsch.

Dieser Freundeskreis gehörte einst zur Stamm-Klientel der Videothek. Das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und den Jugendlichen der kleinen Stadt war eng. Doch nachdem Kührer verschwunden war, hatte der Angeklagte ein paar heiße Tipps für die Polizei: Der Ex-Freund sei ein Unhold gewesen. Ein weiterer Freund eine „Ratte“.

Zum Tag des Verschwindens: Das bisherige Alibi des Angeklagten für den 27. Juni 2006 löste sich in Luft auf. Kollitsch hatte immer behauptet, am Nachmittag über Kleinhaugsdorf nach Tschechien eingereist zu sein. Das ist er auch, allerdings am Tag nach Julias Verschwinden.

Tatortbilder

Wie die Leiche des Mädchens in seinen Keller gekommen ist, kann sich Kollitsch nur so erklären, dass sie jemand dort abgelegt habe. „Obwohl Sie fast täglich ins Haus gekommen sind, ist Ihnen kein merkwürdiger Geruch aufgefallen?", will der Richter wissen. Er spielt dabei auf die Verbrennung der Leiche mit einem Molotowcocktail im Erdkeller an. Nachbarn berichten von einem bestialischen Gestank. Erstmals werden der Öffentlichkeit im Gerichtssaal die Bilder des Tatortes gezeigt. Auf den Fotos ist Julias Schädelknochen teils von einem Ziegel bedeckt zu sehen. Die Überreste liegen im hintersten Teil des modrigen Kellers. Kollitsch will davon nichts wissen. Er habe lange vorher den Keller mit einem Brett versperrt, damit seine Hunde nicht hineinkommen.

„Sie haben wohl für alles eine Erklärung“, stellt Neumar fest. Fortsetzung heute, Mittwoch, mit den ersten Zeugeneinvernahmen – darunter Julias Eltern.

Zwanzig Minuten vor neun im Justizzentrum Korneuburg. Es ist der Morgen des ersten Prozesstages im Fall Julia Kührer. Man merkt noch vor dem Eingang: hier findet keine alltägliche Verhandlung statt. Ein Aufgebot an ORF-Wagen parkt Seite an Seite mit denen der örtlichen Polizei. Eine bunte Mischung aus neugierigem Gerichtspersonal, pensionierten Polizisten, Rechtspraktikanten, Journalisten und Fotografen aller Medienhäuser säumt den Weg vom Eingang zum Gerichtssaal. Auch Rainer König-Hollerwöger, Autor des Buchs „Julia K. – Gewissheit der Ungewissheit“, ist unter den Anwesenden. Auch in den hinteren Reihen des Saals Nummer 16 scharren sich bereits die Schaulustigen. Darunter Franz Haitzer, selbst ernannter Kiebitz. „Ich bin öfters bei Gerichtsverhandlungen, dieser Prozess wird besonders spannend – ist ja schließlich ein richtiger Indizienfall.“

Wobei nicht die Schaulustigen, sondern die Presse an diesem Morgen augenscheinlich den Großteil der Anwesenden ausmacht. Rund zwanzig Kameramänner drängen sich um die Pulte von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Sie alle warten auf das Erscheinen des Angeklagten Michael Kollitsch. Als er fünf vor neun von einer Polizeieskorte vorgeführt wird, empfängt ihn ein Blitzlichtgewitter. Dieses Treiben rundherum ist für Reinhold Burik wie für viele andere an diesem Tag einer der Hauptgründe, einen Platz im Saal zu ergattern. Das erste Mal sei er bei so etwas dabei, sagt der ältere Herr. „Es gibt ja nicht viele Beweise. Das macht die ganze Sache spannend. Ich glaub’ jedenfalls, dass er’s war.“

Auch Jacqueline Knabl, Jusstudentin an der Uni Wien und kurz vor ihrer Strafrechtsprüfung stehend, wollte die Chance ergreifen, „einmal einen Mordprozess live zu beobachten, auch weil’s gerade so gut in den Studienplan passt.“ Sie sei aus der Gegend, da kam ihr die Idee: „Fahr ma’ einfach her.“ Sie habe sich noch keine Meinung zum Prozess bilden wollen. „Ich bin einfach gespannt, ob er’s ist.“ Diese Frage stellen sich wohl fast alle im Saal. Insgesamt sieben Verhandlungstage sollen für Antworten sorgen.

Fliegen können einiges. Zum Beispiel besonders gut riechen. Vor allem die metallisch glänzenden Schmeißfliegen sind wahre Spürhunde, wenn es darum geht, verwesende Lebewesen aufzuspüren. Dort legen sie ihre Eier ab. Sie verraten damit auch den Menschen einige Geheimnisse. Und zwar so zuverlässig, dass sie bei Gerichtsprozessen als Indizien herhalten. Auch im Fall der 2006 ermordeten Schülerin Julia Kührer aus Pulkau wird das eine Rolle spielen.

Das Mädchen war fünf Jahre lang verschwunden. Im Sommer 2011 wurden seine sterblichen Überreste in einem Erdkeller im nahen Dietmannsdorf entdeckt. Der Prozess gegen den Verdächtigen Michael Kollitsch, der jeden Zusammenhang mit dem Tod des Mädchens leugnet, startet am Dienstag.

Fliegenreste

Dutzende Zeugen und sechs Gutachter werden zu Wort kommen. Darunter Gerichtsgutachter und Forensiker Christian Reiter, der seine Schlüsse aus den gefundenen Fliegenresten ziehen wird. Denn mit Fliegen hat er Erfahrung. „Ich züchte sie seit 35 Jahren“, erklärt er.

Ein wesentlicher Punkt: „Fliegen mögen keine Rauchprodukte“, sagt Reiter. Sprich: Stirbt etwa ein Reh bei einem Waldbrand, wird sein Körper nicht oder nur sehr zögerlich von Fliegen befallen. Im Fall von Kührer allerdings wurden Fliegenpuppen gefunden. Das könnte bedeuten, dass die Leiche des Mädchens etliche Tage lag, ehe sie mit einem Molotow-Cocktail im vorderen Teil des Kellers angezündet wurde. Die sterblichen Überreste der Schülerin befanden sich im hintersten Teil des Kellers. Sie müssen also bewegt worden sein.

Auch diesen Zeitraum kann man relativ genau eingrenzen. Es dauert ein bis zwei Tage, bis aus den Fliegeneiern Maden schlüpfen, die sich dann verpuppen. Und dazu suchen sie sich – nach Art unterschiedlich – einen sicheren Platz. Das Puppen-Stadium dauert zwei bis drei Wochen. So lange sind die Puppen ungeschützt. Manche Fliegenarten suchen sich knöcherne, geschützte Stellen im Leichnam – im Fall von Julia Kührer wurden Puppen in einem Zahnfach (Vertiefung in den Kieferknochen, Anm.) gefunden – andere suchen Schutz in der Erde.

Hierarchie

Unter den Insekten gibt es eine klare Hierarchie, erzählt Reiter: „Erst kommen die Schmeißfliegen, dann die Stubenfliegenartigen, danach die Käfer“, erklärt Reiter. Bei Kührer wurden nur Überreste von Fliegen gefunden – ein möglicher Hinweis auf die Liegedauer und Lagerbedingungen ihres Leichnams.

Übrigens: Ein feuchter Keller ist nicht unbedingt der bevorzugte Bereich für Fliegen. Sie halten sich lieber in der Sonne auf.

Reiter bleibt aber Realist: „Insekten können nicht alles klären. Aber sie können einen wichtigen kriminalistischen Puzzlestein darstellen.“

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