Leiche des Amokschützen lag in Geheimbunker
Die Verfolgung eines seit Jahren gesuchten Wilderers hat in der Nacht auf Dienstag mit einer Tragödie geendet. Alois Huber, ein 55 Jahre alter Transportunternehmer aus dem Bezirk Melk, NÖ, hatte zunächst bei einer nächtlichen Kontrolle in Annaberg (Bezirk Lilienfeld) zwei Polizeibeamte und einen Rot-Kreuz-Sanitäter erschossen. Dann raste er mit einem Polizisten als Geisel in seine Heimatgemeinde Großpriel (Bezirk Melk) und verschanzte sich in seinem Haus. Dort lieferte sich Huber einen wilden Schusswechsel mit dem Einsatzkommando Cobra. Auch die Geisel starb durch die Waffe des Amokschützen.
Am Mittwoch stand das Vorgehen der Polizei im Blickpunkt. Mehr dazu lesen Sie unter Amoklauf in Niederösterreich: Polizei verteidigt Vorgehen
Leiche lag in Bunker
Vor Ort entwickelte sich ein regelrechter Nervenkrieg. Die Cobra führte Dienstagabend gegen 18.20 Uhr einen heiklen Zugriff auf dem Gehöft durch, kurz nach Mitternacht um 0.15 Uhr wurde schließlich die verbrannte Leiche des mutmaßlichen Amokschützen in einem Keller des Anwesens gefunden. In dem bunkerartigen Geheimraum brannte es noch, als die Polizei eintraf.
Zuvor waren drei Panzerfahrzeuge zum Bauernhof vorgefahren. Die Cobra führe eine "gesicherte Durchsuchung" des weitverzweigten und verwinkelten Anwesens durch, erklärte die Polizei. Der 55-jährige Mann war schwer bewaffnet und hatte im Lauf des Tages immer wieder Schüsse aus dem Gehöft heraus abgefeuert.
Verstärkte Kontrollen
Die Bluttat hatte am Montag kurz vor Mitternacht in der Gemeinde Annaberg im Bezirk Lilienfeld ihren Lauf genommen. „Wir hatten in dem Gebiet in den vergangenen Jahren zur Hirschbrunft immer wieder einen Wilderer. Deshalb gab es eine verstärkte Überwachung“, schildert Bezirkshauptmann Ernst Anzeletti. Da man davon ausgehen musste, dass ein Wilderer auch bewaffnet ist, wurde wegen des erhöhten Risikos das Einsatzkommando Cobra hinzugezogen.
Die Beamten lagen Montagabend auf der Lauer und sichteten prompt ein verdächtiges Fahrzeug im Wald. Der Fahrer des Toyota Hilux raste jedoch davon und konnte entkommen. Kurz darauf hielt der Wagen an.
„Es kam danach zu einem ersten Schusswechsel, bei dem ein Cobra-Beamter getroffen wurde“, sagt Polizeisprecher Johann Baumschlager.
Bilder: Polizei rückte mit Panzern gegen Schützen vor
Ein Rettungswagen wurde zur Versorgung des Verletzten angefordert. Der 70-jährige Sanitäter und ehemalige Ortsstellenleiter von Annaberg, Johann Dorfwirth, war zusammen mit einer Kollegin als erster zur Stelle. Aus Sicherheitsgründen saß ein Polizeibeamter am Beifahrersitz des Rettungswagens. Bei der Anfahrt zum Tatort eröffnete der Wilderer sofort das Feuer und traf Dorfwirth, der am Steuer saß, tödlich. Der getroffene Cobra-Beamte starb später im Krankenhaus St. Pölten.
Kaltblütig
Dann flüchtete der Amokläufer mit seinem Jagdgewehr zu Fuß, bis er auf einen Streifenwagen traf. „Mit einer unvorstellbaren Kaltblütigkeit schoss er einem der Beamten in den Kopf“, schildert ein Kriminalist. Der Uniformierte aus dem Bezirk Scheibbs war auf der Stelle tot.
Dass rund um den Tatort in Annaberg nicht mehr Menschen zu Schaden gekommen sind, grenzt laut Polizei an ein Wunder. Im Kugelhagel schlugen mehrere Projektile in geparkte Autos und den Mauern von Wohnhäusern ein. „Es war überall Blaulicht. Meine Tochter hat gesagt, ich soll nicht aus dem Haus gehen“, schildert Augenzeugin Krimhilde Wais. Wirtin Gertraut Eberhardt befand sich vor Mitternacht auf dem Heimweg: „Nur kurze Zeit später fielen die Schüsse. Es ist ein Riesenglück, dass es mich nicht erwischt hat.“
Belagerung
Alois Huber flüchtete mit dem Streifenwagen – mit einem Polizisten als Geisel. Die Cobra heftete sich an seine Fersen. Der Amokschütze fuhr zu seinem Haus nach Großpriel im Bezirk Melk und verschanzte sich dort.
„Er hat weitere Todesopfer in Kauf genommen“, sagt Baumschlager. Denn bei der Zufahrt eines Cobra-Einsatzfahrzeuges schoss der Unternehmer mit seinem Jagdgewehr gezielt in Kopfhöhe auf die Windschutzscheibe des Fahrzeuges. Das Glas war zum Glück gepanzert. Da das Einsatzkommando Cobra davon ausgehen musste, dass sich der vermisste Polizist und vielleicht auch weitere Geiseln in der Gewalt von Alois Huber befinden könnten, wurde versucht, Verhandlungen mit dem Mann aufzunehmen.
Großeinsatz
In der kleinen Zehn-Häuser-Siedlung Kollapriel, wenige Kilometer von Melk entfernt, wurde ab den frühen Morgenstunden die ganze Brisanz rund um den Amokläufer spürbar. Dutzende Zivil- und Einsatzfahrzeuge aller in Österreich greifbaren Sondereinheiten der Polizei wurden in dem kleinen Bauerndorf zu einer gewaltigen Einsatzdrehscheibe zusammengezogen.
Eine Hundertschaft an vermummten und bewaffneten Spezialkräften, aber auch zahlreiche Sanitäter sowie Feuerwehrleute wurden in dem Ort versammelt. Die Ungewissheit, wann man gegen den Schützen vorgehen will, war auf Schritt und Tritt spürbar.
„Wir dachten zunächst an eine Großübung, als in der Früh die ersten Autos aufgefahren sind“, schildert eine Bäuerin aus Großpriel. Die Ansammlung von Einsatzkräften, auch mit schwerem Gerät zum Eigenschutz, wurde im Ort immer massiver. Der Verdächtige setze gefährliche Langwaffen ein und sei ein guter Schütze, hieß es immer wieder aus Polizeikreisen. Auch von Handgranaten und Sprengstoff war die Rede. Kurz nach Mittag wurde der von der Wiener Sondereinheit Wega herbeigeschaffte Schützenpanzer auch durch drei Panzerfahrzeuge des Bundesheeres verstärkt.
In einer eiligst einberufenen Pressekonferenz Dienstagnachmittag in Lilienfeld sprachen Polizei und Rotes Kreuz zunächst den Angehörigen der Opfer ihre Anteilnahme aus. Zu diesem Zeitpunkt war der Hof des Schützen von Cobra-Beamten immer noch umstellt. Da die ermordete Geisel im Funkstreifenwagen in einem Nebengebäude aufgefunden wurde, bereitete die Cobra einen Zugriff vor, der schließlich um 18.20 Uhr erfolgte. Mittwochfrüh um 0.15 Uhr fanden die Einsatzkräfte schließlich die Leiche des Mannes in einem Keller des Anwesens.
Die Opfer waren allesamt Familienväter: Auf Seite der Polizei starben ein 38-jähriger Revierinspektor (Roman Baumgartner), der für die Cobra im Einsatz stand, sowie zwei Polizisten, die als Gruppeninspektoren im Bezirk Scheibbs tätig waren (Manfred Daurer, 44 Jahre, und Johann Ecker, 51 Jahre). Rotkreuz-Rettungssanitäter Johann Dorfwirth, 70 Jahre alt und 32 Jahre im Dienst, verlor ebenfalls sein Leben.
Tiefe Betroffenheit
„Das Ganze ist unbegreiflich. Es hat einen unserer verdientesten Mitarbeiter erwischt", sagte der Sprecher des niederösterreichischen Roten Kreuzes, Andreas Zenker. Die grausame Bluttat macht ihn fassungslos: „Er hat ihn einfach hinter dem Steuer erschossen“.
„Es ist der schwärzeste Tag für die Einsatzorganisationen in Niederösterreich“, sagte Roland Scherscher vom Landesamt für Verfassungsschutz. Die Vorgangsweise des Täters sei äußerst skrupellos gewesen, er habe sofort ohne Vorwarnung das Feuer eröffnet. Auch internationale Medien wie Spiegel Online, BBC oder NBC berichten über den Fall.
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KURIER: Herr Huthansl, Sie wurden in der Früh vom Verdächtigen angerufen.
Herbert Huthansl: Ja, er hat mich kurz nach 7 Uhr Früh am Handy angerufen und eine Art Beichte abgelegt. Es ist ein Wahnsinn, er ist ein wirklich guter Freund. Zuerst dachte ich, dass er mich darüber informiert, dass er in Allentsteig einen Hirsch geschossen hat. Er ist ein begeisterter Jäger.
Was hat er Ihnen gesagt?
Er hat gesagt, „ich bin der Wilderer drinnen in Annaberg. Ich hab’ drei Leute erschossen. Das Haus ist von Polizei umzingelt.“ Außerdem hat er gesagt, „ich hab’ die Burgi schon erlöst“. Das war sein Hund, der hat bei ihm alles gegolten.
Hat er Ihnen gesagt, wie es jetzt weitergehen soll?
Nein, nicht direkt. Er hat so komische Andeutungen gemacht. Es ist eh nix mehr, und er habe selbst einen Streifschuss am Bauch.
Hätten Sie dem
Alois H. das alles zugetraut?
Nein, auf keinen Fall. Ich hätte niemals mit so etwas gerechnet. Ich glaube, dass er irgendwie dem Leben ein Ende setzen will. Es ist einfach furchtbar. Ich habe der Polizei auch angeboten, ihn mit einem Megafon oder mit dem Telefon zur Aufgabe zu bewegen.
Hat sich Ihr Freund
Alois Huber in der letzten Zeit irgendwie verändert?
Vor ein paar Wochen hat er erstmals angefangen, darüber zu reden, dass er irgendwelche Probleme hat. Dass er so etwas wie ein zweites „Ich“ habe. Ich glaubte, er hat irgendwie große persönliche Probleme, und dass er sich als schizophren fühlt. Dass er dabei seine angebliche Wilderei gemeint haben könnte, auf das wäre ich nie im Leben gekommen.
"Ruhig, nett und besonnen"
"Man kann in niemanden hineinschauen. Aber das hätte ich dem Alois niemals zugetraut.“ Die Meinung von Adelheid W. über den im Ort Kollapriel bestens bekannten Amokläufer aus dem Nachbarort Großpriel (Bezirk Melk) wird von vielen geteilt.
Fassungslos ist auch Alois Lagler. Er ist Jäger und ein benachbarter Jagdpächter des der Wilderei beschuldigten Verdächtigen. Lagler kann das Geschehen gar nicht glauben. „Er war immer eher introvertiert. Dass er zu so etwas fähig sein soll, kann ich nicht glauben“, meint er. Ärger über gewilderte Rehe gab es in den vergangenen Jahren auch in den umliegenden Revieren, erinnert sich Lagler. Er hat ein Schwarzweiß-Bild dabei, auf dem Alois Huber ganz scheu in einer Gruppe von Kollaprielern zu sehen ist. „Wenn man will, kann man da schon erkennen, dass er lieber etwas abseits war“, meint Lagler.
Kopfschüttelnd beobachtet Dagobert Steinbeck, wie schwere Einsatzfahrzeuge und sogar Panzer im Ort aufrollen. Den um den sich das ganze Geschehen dreht, kennt Steinbeck schon von klein auf. Der Bub ist immer am Schulweg an seinem Haus vorbeigekommen. Später hat der Vater ein kleines Fuhrwerksunternehmen begonnen, dass Alois übernommen hat. Vor gut einem Jahrzehnt ist seine Frau gestorben. Anzeichen, dass er einmal so eine Katastrophe auslösen könnte, hat Steinbeck aber nie gesehen.
Schießübungen
Alois Huber ist seit fünf Jahren Mitglied eines Schützenvereins. Seit fast zwanzig Jahren ist er Inhaber einer Jagdkarte des nö. Landesjagdverbandes. Von Kollegen wird Alois Huber als „guter Schütze und korrekter Weidmann“ bezeichnet. Er sei „sicher kein Trophäenjäger“ gewesen.
H. wird als „ruhig, nett und besonnen“ beschrieben. Der 55-Jährige sei unauffällig gewesen. Am Hießberg im Bezirk Melk habe er eine Jagdpacht betrieben, er habe keine finanziellen Sorgen gehabt.
Unter seinen Kollegen herrscht großes Entsetzen und Fassungslosigkeit über die Tat. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, was da passiert ist“, sagt ein Jagdkollege. Alois Huber habe immer wieder an Schießübungen teilgenommen. „Hie und da ist er hergekommen und hat geschossen“, sagt ein Jäger. „Der Hund war immer mit, ohne den ist nix gegangen.“
Huber habe auch an zahlreichen Kursen und Fachseminaren für Jäger teilgenommen. Unter anderem „Wildbewertung“ und „Übungsschießen“. Alois Huber sei ein „vorbildlicher Jäger gewesen: „So, wie man ihn sich wünscht“.
Dass der 55-Jährige zu so einer Tat fähig sei, könne man sich nicht vorstellen. In letzter Zeit sei er „ganz normal“ gewesen.
Noch ist nicht vollständig gesichert, ob es sich beim Amokschützen Alois Huber tatsächlich um den seit langem gesuchten Wilderer handelt. Das Deliktregister des mutmaßlichen Serientäters ist jedenfalls umfangreich. Seit mehreren Jahren soll er in Niederösterreich und der Steiermark sein Unwesen getrieben haben.
Begonnen hat die Wilderer-Serie bereits 2008 im steirischen Gesäuse. Seit 2009 konzentrierte sich das Vorgehen des Wilderers auf den Bezirk Lilienfeld, NÖ. Vor allem im Raum Annaberg soll der Mann zugeschlagen haben. Immer wieder wurde seitdem illegal geschossenes Wild gefunden, meist kapitale Hirsche.
Schon früh erkannten die Ermittler, dass es sich um ein und denselben Täter handeln musste, war doch das Vorgehen bei den Vorfällen fast identisch. Von den Hirschen wurden stets nur die enthaupteten Kadaver gefunden. Die Köpfe der Tiere waren mit einem scharfen Messer fachmännisch abgetrennt worden. Zudem deutete vieles darauf hin, dass das Wild aus einem Auto heraus erschossen wurden. „Die toten Hirsche lagen immer in Straßennähe, oft auf einer Wiese“, berichtete der Lilienfelder Bezirksjägermeister Martin Schacherl. Er selbst weiß von sechs gewilderten Tieren innerhalb von sechs Jahren in seinem eigenen Hegebereich. Jeweils ein weiterer starker Rothirsch wurde in einem südlich von Annaberg gelegenen steirischen Revier und bei Falkenstein im Bezirk Mistelbach erlegt.
Ob weitere Taten auf das Konto des gesuchten Wilderers gehen, ist noch nicht bekannt. Insgesamt wurden in der Region in den vergangenen Jahren aber mindestens acht Wildkadaver mit abgetrennten Häuptern gefunden.
„Wir sind alle schwer geschockt“, sagte Schacherl am Dienstag. Eigentlich sei vermutet worden, dass der erhöhte Druck durch die Polizeifahndung und die gesteigerte Aufmerksamkeit der Bevölkerung den Schützen vertrieben haben könnten. Schließlich war längst das Landeskriminalamt eingeschaltet und die Fahndungsmaßnahmen verschärft worden. Tatsächlich dürfte sich der mutmaßliche Täter zusehends verfolgt gefühlt haben.
Alois Huber stand entgegen erster Meldungen nie im Visier der Behörden – ermittelt wurde gegen Unbekannt. „Er wird vermutlich bemerkt haben, das die Kontrollen verstärkt wurden. Deshalb dürfte er das Gebiet gewechselt haben“, sagte der Bezirksjägermeister. Über die Motive kann bisher nur gerätselt werden.
Hunderte Anzeigen jährlich
Jedes Jahr kommen in Österreich Hunderte Fälle von Wilderei zur Anzeige. Das Strafrecht spricht dabei von einem "Eingriff in fremdes Jagd- oder Fischereirecht" und sieht einen Strafrahmen von bis zu sechs Monaten Haft bei gewöhnlicher, bis zu drei Jahren bei schwerer Wilderei vor.
Der Begriff der Wilderei umfasst schon den Versuch, ein Tier zu erlegen, sowie die Beschädigung anderen Besitzes bei der illegalen Pirsch. Als schwerwiegend wertet das Gesetz dabei, wenn es sich um Sachwerte von mehr als 3.000 Euro handelt, Tiere in der Schonzeit geschossen oder den Wildbestand gefährdende Fallen und Giftköder verwendet werden. Ein ausgewachsener Hirsch kann einen Wert von 6.000 Euro erreichen. Auch gewerbsmäßige Wilderei gilt als schwerer Gesetzesverstoß.
Im Vorjahr gab es 287 Anzeigen wegen einfachem und 34 wegen schwerem Eingriff in das Jagd- und Fischereirecht. In der Dekade davor pendelte die Zahl zwischen 300 und 500 Anzeigen. Laut Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durch das Innenministerium für das Jahr 2011 wurden im Zusammenhang mit Wilderei in 55 Fällen Haftstrafen verhängt. Für 2012 liegen noch keine Zahlen vor.
Obwohl manche Indizien einen Amoklauf vermuten lassen, ist die Tat in Niederösterreich nicht klar einzuordnen. Der Begriff Amok bedeutet „in blinder Wut angreifen und töten“. Der Notfallpsychologe Cornel Binder-Krieglstein erklärt, warum dieser Mann so handelt. "Er wurde bei einer kriminellen Handlung überrascht, fühlt sich in die Enge getrieben, der Aggressionslevel eskaliert und er greift zur Schusswaffe, weil sein Plan nicht funktioniert. In der Not lautet sein Vorgehen: Flüchten und alle Menschen, die ihm im Weg stehen töten."
Dennoch lässt sich der verdächtige Alois Huber nicht mit Amokläufern wie Anders Behring Breivik oder Schulamokläufern vergleichen. „Sie haben ihre Tat über einen längeren Zeitraum geplant, weil sie sich von bestimmten Personen oder Gruppen bedroht fühlen. Im Fall von Breivik war das der Islam. Diese Menschen spüren in ihrem Inneren eine langsam entstehende und immer enger werdende Bedrohung oder leiden unter Minderwertigkeitskomplexen. Sie ziehen dann los, um wild durch die Gegend zu schießen." Ob oder wie lange der Verdächtige im aktuellen Fall an einem Plan geschmiedet hat, ist unklar. Das wird darüber entscheiden, ob die Tat als Amoklauf einzustufen ist.
Untersuchungen zeigen, dass viele Täter unter narzisstischen Störungen leiden. Der Psychiater und Neurologe Reinhard Haller beschreibt in seinem Buch "Die Narzissmusfalle" die Psyche eines Amokläufers: "Beim modernen Amokläufer handelt es sich meist um äußerlich angepasste, innerlich verunsicherte, unter Selbstwertzweifeln leidende junge Männer." Wie Binder-Krieglstein ortet auch Haller Frustration, die sich über längere Zeit aufstaut. "In seinem Inneren ballen sich Emotionen der Frustration, des Neides und der Rache zusammen. Er will einmal nicht 'Nichts' sein, sich aus der Niedrigkeit herausheben und für einen Moment die Welt beherrschen."
Immer wieder haben Täter in der Vergangenheit in Österreich Geiseln genommen. Oft waren Banküberfälle die Auslöser, wenn die Räuber ihren Fluchtweg abgeschnitten sahen oder ihnen die Polizei zu dicht auf den Fersen war. Nachfolgend ein Überblick über spektakuläre Fälle:
14. Juni 1993: Eine Bank Austria in der Gatterburggasse in Wien-Döbling wird überfallen. Der Täter erschießt auf der Flucht einen Polizisten und verschanzt sich zunächst mit vier Geiseln in einem "Mary"-Kindermodengeschäft auf der Döblinger Hauptstraße. Nach stundenlangem Nervenkrieg feuert der Verbrecher auf den Unterhändler der Polizei, Oberst Friedrich Maringer. Dessen Handy in der Brusttasche verhindert das Schlimmste. Während des nachfolgenden Kugelhagels erschießt sich der Täter selbst.
5. Juli 1993: In der Videothek "Mondschein" in der Schwendergasse in Wien-Rudolfsheim-Fünfhaus nimmt ein 33-Jähriger die Mutter seiner ehemaligen Lebensgefährtin als Geisel und verschanzt sich in dem Geschäft. 26 Stunden harrt er aus, bis er kurz vor der Erstürmung durch die Exekutive aufgibt.
14. November 1996: Durch eine Geiselnahme wollen drei Schwerverbrecher ihre Freilassung aus der Justizanstalt Graz-Karlau erzwingen. Drei Frauen befinden sich in ihrer Gewalt. Nach stundenlangen Verhandlungen befreit die Polizei die Geiseln aus der Gewalt der Täter.
22. Mai 2002: Ein 39-Jähriger verschanzt sich mit seiner Frau und seiner achtjährigen Tochter in einem Haus in Schladming. Nach mehr als zehn Stunden wird er von der Exekutive überwältigt, die Geiseln sind wohlauf.
24. August 2002: Am Bahnhof Wien-Meidling hält ein 31-Jähriger einen ÖBB-Bediensteten mit einem Revolver in seiner Gefangenschaft und sorgt so für einen Großeinsatz der Polizei. Nach mehreren Stunden gibt er auf.
9. Mai 2003: 16 Geiseln nimmt ein Bankräuber in einer BAWAG-Filiale in Linz. Der Mann lässt seine Opfer sukzessive frei und gibt schließlich auf. Doch zuvor spielt sich ein Drama ab: Der Täter versucht, eine 15-jährige Geisel zu erschießen, doch seine Pistole hat einen Defekt.
27. Februar 2007: In einer BAWAG-Filiale in der Wiener Mariahilfer Straße nimmt ein 39-Jähriger mehrere Geiseln. Erst nach stundenlangen Verhandlungen gibt der Mann auf. Zunächst geht man von einem missglückten Banküberfall aus, doch später stellt sich heraus: Dem Täter geht es darum, auf seine Situation aufmerksam zu machen. Er habe in der Bank "Hilfe gesucht" und "mit jemandem reden wollen", sagt er später vor Gericht.
30. Oktober 2008: Ein 43-jähriger Bosnier überfällt ein Geldinstitut in Feldkirch-Tosters, nimmt eine 37-jährige Angestellte als Geisel und zwingt die Frau, ihn mit ihrem Auto fünf Stunden quer durchs Land bis nach Oberösterreich zu fahren.
20. Jänner 2011: Im Kleinwalsertal überfällt ein 36-jähriger Deutscher die Dornbirner Sparkasse in Riezlern und nimmt zwei Angestellte als Geiseln. Als eine Stunde später die Polizei anrückt, gerät der Täter in Panik und schießt sich in den Kopf.
3. Dezember 2012: Zwei mit Maschinenpistolen bewaffnete Bankräuber nehmen in Laakirchen (Bezirk Gmunden) in Oberösterreich drei Geiseln und fesseln diese. Die Täter entkommen mit Bargeld.
17. September 2013: Ein mutmaßlicher Wilderer erchießt in Annaberg (Bezirk Lilienfeld) zwei Polizisten und einen Rettungsfahrer, ein weiterer Beamter wird als Geisel genommen und später ebenfalls tot aufgefunden. Der Mann verschanzte sich in seinem Bauernhof in einem Ort im Bezirk Melk.
Für Einsätze wie eine Geiselnahme ist die heimische Cobra gerüstet und ausgebildet. Laut Einsatzkonzept müssen Cobra-Kräfte spätestens nach 70 Minuten jeden "Fleck" in Österreich erreicht haben. "Je nach Geografie geht das natürlich auch viel schneller", so Detlef Polay, Sprecher der österreichischen polizeilichen Sondereinheit, in einem früheren KURIER-Interview.
Um die zeitlichen Vorgaben erfüllen zu können, sind die rund 450 Cobra-Männer (und zwei Frauen) bundesweit auf insgesamt acht Standorte verteilt: Den Hauptstandorten Wr. Neustadt, Wien, Graz, Linz, Innsbruck sowie den operativen Außenstellen Salzburg, Klagenfurt, Feldkirch. Ausgerückt wird nach der Alarmierung meistens mit Fahrzeugen, notfalls wird auch ein Hubschrauber des Innenministeriums geordert. Je nach "Einsatzlage" (Amoklauf, Geiselnahme, Terroranschläge) sind natürlich die jeweils regionalen Polizeieinsatzkräfte noch rascher vor Ort.
Insgesamt wurden 2012 von den Einsatzkräften der Cobra mehrere Tausend Anforderungen und Routinedienste bearbeitet und durchgeführt.
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