Kinder über Gleise geführt: Verfahren vor dem Bahnübergang

Der Richter machte sich an Ort und Stelle ein Bild
Lehrerin klagte Wiener Stadtschulrat wegen Entlassung. Richter wollte Lokalaugenschein.

Kurz vor 12.20 Uhr traf sich am Dienstag ein ungewöhnliches Grüppchen am Bahnübergang Leobendorf (Bezirk Korneuburg): Im arbeitsrechtlichen Verfahren einer jener Lehrerinnen, die Ende Juni des Vorjahres 83 Schüler unter einem geschlossenen Bahnschranken durchgelotst haben sollen und daraufhin entlassen wurden, hat der Richter einen Lokalaugenschein anberaumt. Die Frau hatte gegen ihre Entlassung geklagt. Vor Ort ging es etwa um die Frage, wie lange nach Schließen des Schrankens der Gegenzug durchgefahren ist und wo im Tross sich die Lehrerin befunden hatte.

"Ich war im hinteren Drittel und habe gesehen, dass sich der Schranken schloss", erklärte die Klägerin. Als sie am – falschen – Bahnsteig nach einer Unterführung Ausschau hielt, seien Kinder und Erwachsene schon auf den Gleisen gewesen, um den Zug nach Wien zu erreichen. Die Schüler einer Wiener Volksschule hatten mit vier Lehrerinnen und sieben Eltern die Burg Kreuzenstein besucht und waren am Rückweg. Die Frau demonstrierte, wie sie auf die Gleise sprang, um die Kinder zu sichern. Einige seien zu dem Zeitpunkt bereits eingestiegen gewesen. Ein Verbots-Schild am Bahnsteig habe sie nicht gesehen. "Wenn ich das nun sehe, kriege ich die Krise", erklärte die Frau.

Kinder über Gleise geführt: Verfahren vor dem Bahnübergang
Lokalaugenschein, Arbeitsgericht Wien, Prozess, Lehrerinnen klagten gegen Entlassung durch Wiener Stadtschulrat, Lehrerinnen führten Kinder unter geschlossenen Schranken durch

Zeit gestoppt

Es wurde Wert auf Details gelegt. Bahnsteighöhen wurden vermessen und die Zeit gestoppt, wie lange ein durchfahrender Zug vom Zeitpunkt des Sichtkontakt bis zum Bahnsteig benötigt. Eine Zeugin – eine der Pädagoginnen – berichtete, sie habe die Weisung gegeben, den nächsten Zug zu nehmen, dennoch habe sie "fassungslos" gesehen, dass die erste Lehrerin im Tross die Kinder durchwinkte. "Es hat gewirkt, als ob die Klägerin zu Hilfe eilt – mit fassungslosem Gesichtsausdruck." Die erste Lehrerin sei in den Zug eingestiegen. "Ich habe nur noch geschrien, lauft, lauft, lauft." Ein Vater sagte aus, dass seine Tochter als eine der letzten eingestiegen sei und dann den Lärm vom durchfahrenden Zug gehört habe.

Die Verhandlung ist geschlossen, das Urteil ergeht schriftlich – ist also noch nicht bekannt. Es könnte Auswirkung auf ein weiteres Verfahren haben. Bei einem dritten hat sich die Pädagogin mit dem Stadtschulrat verglichen. Einer Lehrerin droht ein Disziplinarverfahren. Das Strafverfahren wurde bereits eingestellt.

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