Niederösterreich: Kein alltäglicher Rassismus

Niederösterreich: Kein alltäglicher Rassismus
Zeiselmauer: Autohändler beschimpft Familienvater aus Ghana – und bringt ihn vor Gericht.

"Ich wollte nicht, dass der Bub das sieht. Und ich wollte es auch nicht sehen." Als der in Ghana geborene 39-jährige Prince Boateng-Agyenim mit seinem vierjährigen Sohn auf dem Arm in Zeiselmauer, NÖ, zum Bahnhof ging, um Brot zu besorgen, zeigte ihm ein Einheimischer den Mittelfinger aus dem Autofenster und brüllte mehrmals: "Fuck you!"

Boateng ist seit 2005 in Österreich und hatte bisher keine solchen Anfeindungen erlebt. Er drückte den Buben an sich, wich dem Wagen aus, merkte sich aber vier Stellen auf dem auffälligen blauen Kennzeichen (wie es Autohändler verwenden). Eine Woche danach erfuhr der Vorfall in der Tullnerfeld-Gemeinde mit 2000-jähriger Geschichte eine Wende, die ihn aus den alltäglichen rassistischen Übergriffen heraushebt. Der Ghanaer war wieder am Bahnhof unterwegs, diesmal allein mit seinem Wagen, und erkannte das Auto sowie den Fahrer wieder. Er parkte daneben und stellte den Mann zur Rede: "Was war das vorige Woche? Ich war mit meinem Kind unterwegs, Sie waren sehr unhöflich. Haben Sie keine Kinder zu Hause?", habe er gesagt. Der andere habe ihn sofort angebrüllt, er solle weggehen und angekündigt, die Polizei zu holen. Boateng hatte nichts dagegen: "Ich habe nichts Illegales getan."

Freundlicher Eindruck

Als die Funkstreife kam, sei Boateng auf die Inspektoren zugekommen "und machte einen sehr freundlichen Eindruck", wie im Einsatzprotokoll festgehalten wurde.

Der andere Mann, ein Fahrzeughändler, erstattete gegen Boateng Anzeige: Dieser habe mit seinem Auto "aggressiv gewendet", sei mit erhobenen Fäusten auf ihn zugegangen, habe ihn im Kopf-, Hals- und Brustbereich geschlagen, ihm ins Gesicht gespuckt, ihn mit den Worten: "I bring di um, du Hund!" bedroht und ihm einen Fußtritt versetzt. Als er sich in seinem Wagen verbarrikadierte, habe Boateng noch mit dem Knie – offenbar in Ausübung einer speziellen akrobatischen Kunst – Dellen in seinen Wagen knapp unterhalb des Seitenfensters getreten.

Der Ghanaer (und nur er) musste einen Alkotest absolvieren (0,0 Promille) – und wurde wegen Körperverletzung, gefährlicher Drohung sowie Sachbeschädigung vor Gericht gestellt. Das angebliche Opfer hatte angegeben, wegen Zerrung der Halswirbelsäule, Prellungen und einer Nervenwurzelreizung im linken Arm acht Tage bettlägrig gewesen zu sein.

Bei seiner Einvernahme auf der Polizeiinspektion zwei Tage nach dem Vorfall war davon nichts zu bemerken. Und die Anfertigung eines Selfies für eine Geschichte in einer Gratiszeitung – in der es um von dunkelhäutigen Personen verübte Überfälle auf Bahnhöfen ging – war offenbar trotz Bettlägrigkeit möglich.

Recherchen zum Prozess (der demnächst fortgesetzt wird) gegen Boateng im Landesgericht St. Pölten ergaben, dass der Autohändler mit diversen ähnlichen Anschuldigungen bereits amtsbekannt ist. Bei der Polizei liegt ein ganzer Berg von im Sand verlaufenen Anzeigen auf.

Nachbar als Zeuge

Niederösterreich: Kein alltäglicher Rassismus
Der Verteidiger von Boateng, der Wiener Anwalt Ingo Riß, hat die Ladung des früheren Vizebürgermeisters von Zeiselmauer beantragt. Der ist Nachbar des Autohändlers und kann von Erlebnissen mit diesem berichten: Einmal hat er die Tochter des Alt-Vizebürgermeisters angezeigt, weil sie ihn attackiert und sein Auto beschädigt haben soll. Ein anderes Mal beschuldigte er direkt den Vater, ihn beim Besprühen seiner Thujenhecke an den Augen verletzt zu haben. Beide Verfahren wurden eingestellt.

Auch Kofi (wie er von Freunden genannt wird) Boateng, der seit drei Jahren mit Freundin Lena und zwei Kindern in Zeiselmauer lebt, hat noch über ein Erlebnis zu berichten: Vier Tage nach der Anzeige gegen ihn wollte er im Supermarkt einen Becher Sauerrahm einkaufen. Der Autohändler stand breitbeinig davor und habe provokant gegrinst. Boateng kam ohne Sauerrahm heim.

Kommentare