"In Kärnten gedeihen Parallelwelten"

KURIER.at sprach mit Alexander Sattmann, Autor des Buches "Kärnten verstehen", über die "lei losn"-Mentalität und den Kärntner Charme.

KURIER.at: Warum sollte man als Tourist Kärnten besuchen, beziehungsweise was sollte man sich unbedingt ansehen?

Alexander Sattmann:
Kärnten ist ohne Zweifel eine der schönsten Regionen Österreichs. Ein Grenzland mit warmen Badeseen, rauen Bergen und einer Prise, die schon den mediterranen Süden ahnen lässt. Wörther See, Minimundus und Burg Hochosterwitz stehen natürlich in jedem Reiseführer. Wer Kärnten neu erleben möchte, sollte sich freilich abseits der touristischen Trampelpfade ins romantische Lesachtal, an den fast unberührten Weißensee oder in eines der Bergdörfer in den Karawanken begeben. Dörfer, geprägt vom nebeneinander und meist auch miteinander von deutsch- und slowenischsprachigen Kärntnern, die sich ja auch diese Berge seit vielen Jahrhunderten teilen. Genauso wie die Liebe zur Landschaft, die Lust am Singen, sogar die Speisen, nur eine andere Sprache haben sie.

Was macht Kärnten so besonders?

In Kärnten gedeihen Parallelwelten, die die Vielschichtigkeit und die Unverstehbarkeit dieses Landes und seiner Menschen für nicht Kärntner verursachen. Da gibt es die Welt der südlichen Nächte und des leichten Lebens. Gestört wird dieses durchaus sympathische Bild der heilen Freizeitoase von der 10.-Oktober-Perspektive. Diese völlig andere Parallelwelt wird von heimatschweren Kärntnern bevölkert. Von der Last der Geschichte gedrückte Kärntner im steten Ringen mit der slowenischen Minderheit und gegen zweisprachige Ortstafeln.
Dann gibt es jene Kärntner, welche sich dem Zeitgeist, der Weltläufigkeit und der Modernität verschrieben haben. Die Freunde des trockenen Chianti und Träger italienischer Designeranzüge gehören da ebenso dazu wie die typischen Kärntner-Exilanten, Künstler und Journalisten. Und schließlich sind da die sozialen Randlagen in einem seit Jahrhunderten armen Land: Arbeiterinnen mit Mindesteinkommen, Kleinrentner, Kellnerinnen, Pendler, Arbeitslose und Nebenerwerbsbauern. In diesen und um diese spezifisch Parallelwelten tummeln sich die Grenzgänger, etwa jene Kärntner Politiker die in Pörtschach die lauen Sommerabende mit dem Jetset verbringen, die nebeligen Oktobertage mit den Heimatverbänden, die Vernissagen mit den Weltläufigen, und all das in ständiger Solidarität mit den kleinen Leuten. Jörg Haider war ein Paradebeispiel dafür. Ein Getriebener quer durch alle Kärntner Parallelwelten. Die Verwerfungen zwischen diesen Parallelwelten machen es für den außenstehenden Beobachter so schwer Kärnten zu verstehen.

Glauben Sie, dass die aktuelle politische Lage potentielle Urlauber von einem Besuch abschreckt?

Nein, das glaube ich nicht. In Kärnten hat sich ja politisch nicht wirklich viel verändert.

Hat die Verschuldung Kärntens Auswirkungen auf den Tourismus?

Der Schuldenstand des Landes Kärnten hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Tourismus. Klar ist aber auch, dass die Verschuldung im Tourismus ein Problem ist. Für viel zu viele Kärntner Hoteliers ist Geld nur eine Materie, die auf dem Weg zur Bank und zum Finanzamt flüchtig ihre Finger streift. Von etwas mehr als zwei Sommermonaten kann ein Hotel nur schwer überleben. Früher war das Produkt die schöne Landschaft. Heute reicht das nicht mehr. Die Berge, die Seen sind nur noch die Kulisse. Hoteliers müssen sich mehr einfallen lassen um Gäste anzulocken.

Wie sind sie auf die Idee gekommen, die Rätsel Kärntens zu erkunden? Warum war es Ihnen ein Bedürfnis, darüber ein Buch zu schreiben?

Jeder Kärntner, der einige Zeit außerhalb Kärntens verbringt kennt das Phänomen: Sobald man sich als Kärntner zu erkennen gibt, und das ist ja meist schon nach den ersten Worten der Fall, wird man mit Fragen gelöchert: Warum wählt Kärnten orange? Warum werden bei Euch die Ortstafeln verrückt? Warum esst ihr Reindling mit Schinken und Eierkren? Ich habe mir den Mund fusselig geredet. Ich habe von den Kärntner Besonderheiten und Widersprüchen berichtet. Von nebeligen Urängsten und sonnigen Urlaubsträumen. Irgendwann war es mir zu blöd und habe beschlossen dieses Buch zu schreiben.

Welche mundartlichen Fremdwörter sollte man für eine Reise nach Kärnten unbedingt kennen?

Das berühmteste Kärntner Wort ist natürlich das "Lei", also nur. Zusammen mit "losn" ergibt es die typisch kärntnerische Redewendung "lei losn", nur lassen: was soviel bedeutet wie sich nur nicht anstrengen beziehungsweise nur nicht aufregen. Der Kärntner Wahlspruch ist mentalitätsmäßig ein Mittelding zwischen dem italienischen "dolce far niente", dem französischen "laisser-faire", dem englischen "easy going" und dem Wiener "nur net hudeln". Das ist typisch Kärntnerisch. Wahrscheinlich sind die Kärntner manchmal ganz gut damit gefahren. Und vielleicht ist es auch ein wenig eine Beschreibung ihrer Mentalität.
Ausdrücke die man, vor allem beim Besuch einer Kärntner Gaststätte verstehen sollte sind: "Wos weastn?" (Frage des Wirts, was man zu trinken bestellen möchte), "potscha:sn" (langsam, gemächlich), "Frakale" (Schnapsglas in Flaschenform), Netsch (pl. für Geld), Jessasmarandjosef - (typ. Kärntner Stoßgebet - Jesus, Maria und Josef) und "Potúk(h)l" (Hinterwäldler).

Warum hat ausgerechnet Kärnten innerhalb Österreichs so einen "Sonderstatus" erlangt?


Natürlich hat Jörg Haider das Image Kärntens in den letzten Jahrzehnten geprägt wie kein anderer. Er hat das Bild von Kärnten bestimmt und bestimmt es auch noch nach seinem Tod. Aber Kärnten war aufgrund seiner geografischen Lage, seiner geschichtlichen und sozialen Entwicklung, schon immer anders als die anderen österreichischen Bundesländer. Schon bevor es den Oberösterreicher Jörg Haider nach Kärnten zog waren Sozial- und Christdemokraten im Land an der Drau nationaler, heimat- und volksbewusster als anderswo.

Wie ist der Kärntner?

Den Durchschnittskärntner gibt es natürlich nicht. Aber viele Kärntner litten lange an einem Minderwertigkeitskomplex. Manche tun es immer noch. Starkes Heimatbewusstsein kompensiert oft schwaches Selbstbewusstsein. So wird mehr gefeiert und mehr gesungen. Die Kärntner sind stolz auf ihr Land und darauf, Kärntner zu sein. Aufgrund der geopolitischen Lage des Landes hat sich eine typische "Mir san mir"-Mentalität entwickelt. Dabei sind die Kärntner harmoniesüchtig, begeben sich gerne in Gesellschaft und sind zuvorkommende Gastgeber. Sie sind aber auch ärgerlich und widersprüchlich, sogar zerrissen. Ihre Gemütslage neigt zu Extremen. Die Heiterkeit kann schnell in Schwermut kippen. Die Kärntner haben viel Gefühl. Das birgt die Gefahr, dass es in Abwehr umschlägt. Das vergangene Jahrhundert hat tiefe Spuren in den Seelen der Kärntner hinterlassen. Spuren, die sich nicht wegdiskutieren lassen und die weder durch Kopfschütteln noch durch erhobene Zeigefinger verschwinden.

Wo sind Sie zu Hause - in Kärnten, oder Wien?

In Kärnten fühle ich mich daheim. Es ist ein Land mit viel Licht, aber halt auch mit Schatten. Dann ist es gut wieder nach Wien oder in eine andere Stadt zu kommen. Und doch: Kärnten holt die Ausreißer immer wieder ein.

Zur Person

Alexander Sattmann wurde 1972 in Klagenfurt geboren. Nach der Matura studierte er in Wien Publizistik und Politikwissenschaften. Heute arbeitet Sattmann als Journalist für den Österreichischen Rundfunk. Er ist Redakteur des ORF-Politikmagazins "Report" und lebt in Wien und in Kärnten (St. Kanzian am Klopeiner See).

2006 erschien die erste Ausgabe seines Buches "Kärnten verstehen", das jetzt in einer völlig überarbeiteten Neuauflage im Grazer Leykam-Verlag erschienen ist. Das Buch will "Kärnten begreifbar und einen scheinbar undurchschaubaren Menschenschlag endlich verständlich machen" - so die Angaben des Verlags.

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