Experte gibt Beben-Entwarnung

Seismologe Wolfgang Lenhardt: "Beben dieser Art gibt es alle 20 Jahre. Aktuell sollte es das dann auch gewesen sein.“
Grund: Messgeräte werden sensibler. Versicherungen haften bei Schäden nicht.

Mehrere Tausend Mal pro Jahr bebt in Österreich die Erde. Doch nur rund 40 Beben sind auch tatsächlich spürbar. Dass im nö. Ebreichsdorf die Glasscheiben innerhalb von zwei Wochen gleich zwei Mal ordentlich schepperten (am Mittwoch erreichte das Beben einen Wert von 4,2), ist dennoch ein wenig ungewöhnlich. „Beben dieser Art gibt es im Durchschnitt alle 20 Jahre“, sagt Wolfgang Lenhardt, Seismologe der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). Mehrere kleine Nachbeben gab es bereits, in den nächsten Tagen werden weitere folgen. „Aber das sollte es dann auch gewesen sein“, glaubt Lenhardt. Der Druck habe sich abbauen können.

Schadensfälle

Die Telefone liefen jedenfalls heiß. Mehrere Tausend Schadensmeldungen trudelten im Lauf des Donnerstags bei der ZAMG ein – speziell aus Niederösterreich, Wien und dem Burgenland. „Die Schäden sind allerdings minimal. Es geht etwa um Haarrisse in den Wänden.“

Experte gibt Beben-Entwarnung

Bei Schäden durch Erdbeben bleiben die Bewohner im Normalfall auf den Kosten sitzen. „Dieses Risiko ist im Regelfall nicht abgedeckt“, erklärt Dagmar Hauser vom österreichischen Versicherungsverband. Einige Versicherungen würden aber eine Zusatz-Deckung anbieten. Auch von öffentlicher Hand gibt es bei derartigen Fällen keine finanzielle Unterstützung.

Wer im Wiener Becken baut, muss von Anfang an ein gewisses Risiko einberechnen. Denn die Region zählt zu den Erdbeben-gefährdeten in Österreich. Daneben kommt es auch im Mur- und Mürztal sowie im Inn- und Lavanttal verhältnismäßig oft zu Beben. Zur Zone 4 (siehe Grafik) zählt der Raum Wiener Neustadt, Scheibbs, Kindberg, der Katschberg, das Nassfeld und Innsbruck. Aus geologischen Gründen. Im Wiener Becken etwa driften die Flanken auseinander. Dadurch kommt es zu Brüchen in der Erdkruste.

Aktive Region

Im Europa-Vergleich ist Österreich eine durchaus aktive Erdbeben-Region. Die Alpen sind eine Folge dieser Beben. Laut Statistik ereignet sich alle zwei bis drei Jahre ein Erdbeben mit einer Stärke von mindestens sechs auf der Richter-Skala, alle 15 Jahre kommt es zu einem Beben der Stärke 7 und alle 75 Jahre zu einem der Stärke 8 – zuletzt war das im Jahr 1927 in Schwadorf der Fall (siehe Zusatzgeschichte).

Überwacht werden die seismischen Aktivitäten in Österreich von 16 Stationen des österreichischen Erdbebendienstes, die Daten in Echtzeit liefern. Die Zahl der registrierten Beben ist übrigens gestiegen – was allerdings an der technischen Weiterentwicklung der eingesetzten Geräte liegt. kurier.at/niederoesterreichAuch in den sozialen Medien sorgte das Beben für Aufsehen – die Reaktionen finden Sie online.

Beim Lokalaugenschein in Ebreichsdorf am Donnerstag nahmen die Bewohner das jüngste Erdbeben großteils gelassen. „Die Thermenregion ist dafür bekannt, dass es zu Plattenverschiebungen kommt. Im Jahr 2000 hat es auch ein starkes Erdbeben gegeben. Ich mache mir nichts daraus. Es sind keine Menschen zu Schaden gekommen. Das ist doch die Hauptsache“, sagt eine Ebreichsdorferin. „Die meiste Hysterie hat es im Internet gegeben“, glaubt sie.

Tatsächlich herrschte in den sozialen Netzwerken ab 19.17 Uhr Hochkonjunktur. „Das war schon wieder ein Erdbeben...ned schwach!!!!“ oder „war das grad eine Einbildung oder war das ein Erdbeben?!?“, hieß es am Mittwochabend dutzendfach bei Facebook und Twitter.

Kinder besorgt

„Wir sind beim Abendessen gesessen, als wir plötzlich das Vibrieren gespürt haben und die Gläser in den Schränken geklirrt haben. Die Kinder waren stark verunsichert“, berichtet hingegen Petra Gerische aus Ebreichsdorf. „Das Beben haben wir sehr deutlich bemerkt, eine Mineralwasserflasche ist umgefallen und vom Esstisch gerollt“, schilderte die Angestellte. Leichte Risse und Sprünge in der Wand hat das Beben hinterlassen. Gröbere Schäden gab es nicht.

Fabian Szekely (20) nahm den Erdstoß ebenfalls wahr. „Ich habe gedacht, ein Lkw fährt vorbei. Sorgen mache ich mir keine“, sagte er am Donnerstag. Freundin Nina Karl war in Wien-Liesing unterwegs. „Ich habe die Erschütterungen gespürt. Angst hatte ich keine“, hält sie fest. „Aber unheimlich war es schon“, so das junge Pärchen.

Vor 41 Jahren bebte in Ostösterreich die Erde heftig. Die Erdstöße erreichten damals eine für unsere Breiten beeindruckende Stärke von 5,3 auf der Richterskala. Verletzt wurde zwar niemand, aber die Schäden waren beträchtlich. Das stärkste Erdbeben in der Alpenrepublik war laut Rekonstruktion der ZAMG im Jahr 1201 mit einer Magnitude von 6,1 (nach Richter) und mit dem Epizentrum Katschberg in Kärnten.

Das Epizentrum am 16. April 1972 lag in der Buckligen Welt, in Seebenstein, doch die Erschütterungen waren bis Wien zu spüren, wo es als stärkstes Beben des 20. Jahrhunderts galt. In Guntramsdorf und in Schwarzau stürzten zwei ältere Gebäude ein, zwei Eisenkreuze fielen von den Türmen der Kirche. In Katzelsdorf brach eine Statue vom Kirchturm ab, auch die Kirche in Seebenstein erlitt beträchtlichen Sachschaden. In Wiener Neustadt musste die Bundesstraße stundenlang gesperrt werden, weil man mit der Beseitigung von Gebäudetrümmern beschäftigt war. Im Dom fielen während des Gottesdienstes Mauerteile herab, parkende Autos wurden durch Bauteile beschädigt.

In Wien dauerten die stärksten Bodenbewegungen fünf Sekunden. Leonard Bernstein, der gerade ansetzte, Mahlers Fünfte im Musikvereinssaal zu dirigieren, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Dennoch musste die Feuerwehr hunderte Male ausrücken, um eingestürzte Rauchfänge und herabgefallene Dachziegel zu beseitigen. Zwanzig Meter der Balustrade an der Universität Wien stürzten ebenfalls in die Tiefe.

Weitere schwere Erdbeben in Österreich (eine Auswahl):

1267 Steiermark, Epizentrum Kindberg, Magnitude 8,1: dürftige Berichte über Schäden

1590 Niederösterreich, Epizentrum Riederberg, Magnitude 5,8: schwere Zerstörungen auch in Wien, zeitgenössische Berichte über mehrere Todesopfer

1670 Tirol, Epizentrum Hall, Magnitude 5,2: Berichte über viele Obdachlose

1689 Tirol, Epizentrum Innsbruck, Magnitude 5,2: beim Einsturz eines Wirtshauses sterben in Innsbruck zehn Personen

1927 Niederösterreich, Epizentrum Schwadorf, Magnitude 5,2: in Schwadorf sämtliche Gebäude beschädigt, auch Nachbarorte betroffen

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