Drogen-Stigma: Pulkau ist überall

Drogen-Stigma: Pulkau ist überall
Mit dem Kührer-Prozess rückt die Suchtgiftszene am Land wieder ins Blickfeld.

Es sind tiefe Wunden, die gerade wieder neu aufgerissen werden. Es sind nicht nur das Verschwinden von Julia Kührer und der aktuell laufende Mordprozess, der in der kleinen Stadt im Weinviertel längst Verdrängtes wieder hochbringt. Es sind auch die Anschuldigungen rund um den Drogenkonsum der Jugendlichen, der schon einmal sehr viel Staub aufgewirbelt hat.

Im Prozess beschrieb das ein Freund Julias so: „Die ganze Jugend hat gekifft. Es ist ausgeartet.“

Doch aufgefallen war das in der Kleinstadt kaum. Julias Eltern machten die Pubertät ihrer Tochter für ihre Antriebslosigkeit verantwortlich. Nur ihr Bruder schöpfte Verdacht. Aber auch andere Eltern waren ahnungslos – selbst ein Vater, der Polizist war, sah die Ursache nicht.

Erst im Rahmen der Ermittlungen wurde das Ausmaß des damaligen Drogenkonsum bekannt. Julias Ex-Freund versuchte sich sogar als Hanfbauer im Garten des Angeklagten Michael Kollitsch. Andere kauften Cannabis und Gras bei asiatischen Händlern an der Grenze von Kleinhaugsdorf und versorgten so ihre Abnehmer gewinnbringend. Gerichtliche Verurteilungen folgten.

Prozess-Thema

Drogen-Stigma: Pulkau ist überall
Katharina Svoboda, Pulkau
Im aktuellen Prozess spielt das eine tragende Rolle. Denn laut Staatsanwalt soll auch der Angeklagte Michael Kollitsch den Jungen in seiner Videothek Drogen verkauft haben. Darunter auch die gefährliche Droge Crystal Meth, die im Jahr 2006 noch kaum bekannt war. Auch Julia soll Abnehmerin gewesen sein. Als sie bei Kollitsch Drogen kaufen wollte, so der Staatsanwalt, wäre der zudringlich geworden. Julia hätte sich gewehrt und musste sterben.

Bestätigt wird der angebliche Drogenhandel bisher aber nur von einer Zeugin. Ein anderes Mädchen will das kristalline Pulver zumindest einmal im Bekanntenkreis gesehen haben. Kriminaltechniker fanden auf DVD-Hüllen der ehemaligen Videothek Bestandteile von Metaamphetaminen. Die sind auch Teil von Crystal Meth.

Jahre später schmerzt die Thematik in Pulkau noch immer. „Das war der zweite Schock nach der Todesnachricht“, sagt Pfarrer Jerome Ciceu. Ein Jugendtreff befand sich damals auch in der Pfarre. Heute ist hier ein Caritas-Lager untergebracht. „Alkohol und zu laute Musik waren untersagt“, erinnert er sich. „Und hier waren eben zu viele Augen, die etwas hätten sehen können.“ Daraufhin hätten sich die Jugendliche neue Treffpunkte gesucht – und gefunden. Der ehemalige Zuständige der Jugend erinnert sich im Prozess: „Drei Leute haben gekifft. Gegen die gab es ein striktes Jugendheim-Verbot.“

Drogen-Stigma: Pulkau ist überall
Christoph Gruber, Deinzendorf
Aber auch vielen Jungen war der Drogenkonsum nicht bekannt. Katharina Svoboda etwa zog damals nach Pulkau. „Da hab’ ich gar nichts von Drogen bemerkt“, sagt sie. Christoph Gruber aus dem nahen Deinzendorf relativiert. „Ein paar haben halt gekifft. Aber mich hat das nie interessiert.“

Wachsam

Heute geht man mit dem Thema in der Weinviertler Stadt sehr sensibel um. „Vorher haben wir den Jugendlichen blind vertraut. Jetzt sind wir sehr wachsam“, beschreibt der Pfarrer. Auch Eltern und andere Verantwortliche wären aufmerksamer geworden. „Sie trauen sich jetzt auch, solche Fragen zu stellen und zu warnen.“ Aber auch die Jugendlichen selbst würden vorsichtiger mit dem Thema umgehen.

Bei der Polizei ist die Gegend nicht als Drogen-Hotspot verschrien. „In Pulkau gibt es nicht mehr oder weniger Drogen als überall anders auch.“ Mit der Zeit hätten sich aber die Bezugsquellen geändert. Früher wurde in Wien gekauft, heute ist die Quelle näher – in Tschechien. Auch Crystal-Meth-Aufgriffe gab’s bereits.

Ob in der Großstadt oder am Land, ob in Wien oder im Waldviertel: Junge Menschen können, wenn sie wollen, überall an Drogen kommen.

Ermittler des Landeskriminalamtes NÖ beobachten aber in den vergangenen Jahren ein verändertes Konsumverhalten bei den Jugendlichen. „Der Trend geht in Richtung Amphetaminen (Speed, Anm.) oder eben auch Crystal Meth. LSD-Trips werden eher weniger eingeworfen“, berichtet ein Fahnder. Die Substanzen werden zumeist in Klein-Labors in den östlichen Nachbarländern hergestellt und ins Land geschmuggelt.

Intensiv mit dem Thema Sucht beschäftigt sich auch Alfred Uhl vom Anton-Proksch-Institut in Wien. Gemeinsam mit Kollegen führte er eine Studie zur Vorbereitung einer „nationalen Suchtpräventionsstrategie mit besonderem Augenmerk auf die Gefährdung von Kindern und Jugendlichen“ durch. In einer Repräsentativerhebung 2008 gaben etwas mehr als ein Viertel der 20- bis 24-Jährigen an, bereits Erfahrungen mit Cannabis gemacht zu haben. Rund fünf Prozent der 20- bis 24-Jährigen gaben Erfahrungen mit Ecstasy, Amphetaminen, Kokain, biogenen Drogen oder Schnüffelstoffen an.

Uhl: „Über die Verbreitung von neuen psychoaktiven Substanzen, kann man trotz der großen Aufmerksamkeit in den Massenmedien nur wenig Konkretes sagen, weil dazu kaum epidemiologische Daten vorliegen.“

Eltern rät er beim Thema Drogen „nicht in Hysterie zu verfallen“. „Wenn eine gute Gesprächsbasis vorhanden ist, dann kann man mit seinen Kindern über die Gefahren auch vernünftig reden.“

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