Die Zerreißproben für die Geschmacksnerven

Nicht nur mit Käse und Schinken wird gemogelt. Der Ruf nach klarer Kennzeichnung wird immer lauter.

Die gute Nachricht vorweg: Bei unserem Lokalaugenschein in einer Eurospar-Filiale in der Wiener Innenstadt (wurde per Zufallsgenerator ermittelt) fand ein vom KURIER um Mithilfe gebetenes Expertenteam keinen einzigen Hinweis auf den zuletzt viel zitierten Schummelschinken. Und auch der ältere Bruder der sommerlichen Aufregung, der Analogkäse, verkrümelte sich im besten Wort-Sinne: In jenen grünen Pringles-Chips-Packungen mit Käse-Zwiebel-Geschmack.

Anderes beunruhigt den Chef-Konsumentenschützer der Wiener Arbeiterkammer, Harald Glatz, und die Ernährungswissenschafterin Eva Unterberger, die mit ihrer Agentur "essenziell" in erster Linie Firmen berät.

Das Kleingedruckte

90 Minuten nehmen sich Glatz und Unterberger für ihren Prüfgang durch den Supermarkt Zeit. Und doch haben sie bei Weitem nicht alles gesehen. Denn es gilt, fast bei jedem Produkt die oft reißerischen Verheißungen des Marketings feinsäuberlich mit den kleingedruckten Zutaten zu vergleichen. Und dazu benötigt man viel Zeit, Geduld - und eine Lesebrille.

Beide kennen die in der Vorwoche präsentierte Studie der Hamburger Verbraucherzentrale. Aus der geht hervor, dass speziell bei Fertigprodukten mit unliebsamen Überraschungen gerechnet werden muss. Einige Highlights: Schokokekse ohne Schokolade, falsche Garnelen aus rot gefärbten Fischabfällen, Schinken mit wenig Fleisch und Käse ohne Milch auf Pizzabelägen.

Weitaus öfter als im Lebensmittelhandel, betonen die Experten, wird der Endverbraucher in der Gastronomie abgespeist und vorgeführt. Beim Bäcker oder Pizzabäcker ums Eck, bei Wirten, die ihre billig eingekauften Analogkäse und Schummelschinken nicht einmal klein gedruckt auf ihre Speisekarten schreiben.

Was drinnen ist, muss draufstehen. Solange sich die Produzenten und der Lebensmittelhandel an diese gesetzliche Weisung halten, sehen sich auch die Lebensmittelprüfer von der staatlichen AGES, Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, nicht zum Einschreiten verpflichtet.

"Die Kennzeichnung der Lebensmittel muss für die Konsumenten verbessert werden."
Harald Glatz Konsumentenschützer

Halb so schlimm? "All diese Imitate gefährden aber nicht die Gesundheit", wiederholt die Ernährungswissenschafterin Birgit Beck vom Verein für Konsumenteninformation die Repliken aus der Vorwoche. "Ich gehe auch davon aus, dass der Analogkäse einen ähnlichen Nährwert hat wie normaler Käse, weil statt der Milch zur Härtung Pflanzenfette verwendet werden."

"Doch sie täuschen oft die Konsumenten, die sich mit einer eindeutigen Kauferwartung für ein Produkt entscheiden", führt Konsumentenschützer Glatz aus. Bei der Begutachtung eines Fruchtsaftes im Eurospar, der fast so viel Zucker wie Cola enthält, fordert er von europäischen und österreichischen Gesetzgebern: "Die Kennzeichnung der Lebensmittel muss für die Konsumenten verbessert werden." Sonst bliebe der Konsument auch weiterhin der Teschek.

Das Neue

Immerhin sucht man nun im Gesundheitsministerium nach korrekten Beschriftungen. Und damit nach neuen Wörtern: "Bei Margarine ist es heute dem Kunden klar, dass er keine Butter kauft", erklärt Thomas Geiblinger, Sprecher von Gesundheitsminister Alois Stöger, "Jetzt geht's um Kunst-Käse. Schön wäre es, eine neue Begriffsnorm über den Sommer zu finden." Ob es gelingt, diese wie vorgesehen auch EU-weit durchzusetzen, ist fraglich.

Die Konsumentenschützer sind gespannt. Es grenze ja fast an ein Wunder, dass noch kein Hersteller auf die Idee kam, seinen Schummel- als Diätschinken auszugeben. Bei dem vielen Wasser, das dafür verwendet wird. Birgit Beck vom VKI spricht auch von "Täuschung". Sie kündigt für die nächsten Tage "einen umfangreichen Test".

Das Gesundheitsministerium hat schon Tester losgeschickt. Nachdem im Frühjahr in der Schwerpunktaktion "Analogkäse" 71 Proben gezogen wurden (bei rund einem Viertel fand sich Fremdfett, das jedoch angegeben war - Endbericht nächste Woche), geht es jetzt dem Schummelschinken ans Eingemachte. Seit zehn Tagen werden Stichproben (fünf pro Bundesland) in der Gastronomie und in Supermarktregalen genommen. "Wir erwarten das Ergebnis im Herbst", so Ministeriumssprecher Geiblinger.

Einstweilen bleiben die Kunden auf sich alleine gestellt. Eilig ziehen sie an den Experten Glatz und Unterberger vorbei. Wer von uns hat schon Zeit, sich 90 Minuten lang zwischen den Regalen einen ungefähren Überblick zu verschaffen?

"Anstelle Convenience-Produkte zu verteufeln, ist ein bewussterer Umgang sinnvoll."
Eva Unterberger Essenz-Expertin

Immerhin können uns die Ernährungswissenschaftlerinnen ein paar Tipps mit auf den Weg geben. So sollte sich jeder ein Mal etwas genauer jene Produkte anschauen, zu denen er aus Gewohnheit immer wieder greift.

Als Faustregel gilt auch: Je mehr Zusatzstoffe auf der Verpackung angegeben sind, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Produkt nicht unbedingt jener einfachen Zusammensetzung entspricht, die sich der Käufer erwartet. Auch die Aneinanderreihung mehrerer E-Nummern sollte für Aufsehen sorgen.

INFO

Mehr Information bei der Ernährungshotline des Vereins für Konsumenteninformation unter Tel.: 0810 / 810 227 (Montag bis Freitag, 9 bis 15 Uhr, Ortstarif).

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