18-jähriger Häftling nahm sich in Justizanstalt das Leben

Gerasdorf
Nächster Vorfall im Jugendstrafvollzug: Junger Insasse wurde erhängt in seiner Zelle in Gerasdorf aufgefunden.

Die heimische Justiz kommt nicht zur Ruhe. Ein 18-jähriger Wiener hat sich am Donnerstagabend in seiner Zelle in der Vollzugsanstalt Gerasdorf am Steinfeld (Niederösterreich) erhängt.

Er hatte laut Vollzugsdirektor Peter Prechtl eine sechsmonatige Haftstrafe wegen Einbruchsdiebstahls verbüßt. „Er wäre noch heuer entlassen worden“, sagte der stellvertretende Leiter, Christian Timm, dem KURIER.

Die Hintergründe der Tat sind noch Gegenstand der Ermittlungen, heißt es aus Justizkreisen. Eine Verbindung zu den jüngsten Übergriffen in der Jugendstrafanstalt Gerasdorf ist laut Timm auszuschließen.

Wie berichtet, soll dort Anfang Jänner ein 17-jähriger Insasse von einem um ein Jahr älteren Mithäftling mit einem Besenstiel malträtiert und von Zellengenossen vergewaltigt worden sein.

Wie Timm erläuterte, war jener junge Mann, der sich am Donnerstag umgebracht hat, „psychisch verhaltensauffällig“. Er war deswegen längere Zeit in jener Abteilung untergebracht, in der es auch entsprechende psychiatrische Betreuung gibt. Einen Teil seiner Strafe hatte er in der Wiener Justizanstalt Josefstadt verbracht.

Engmaschig

„Unsere Experten haben ihn zuletzt als nicht mehr Suizid-gefährdet eingestuft“, sagt Timm. Er sei daher in den „Normaltrakt“ verlegt worden. „Dort ist er psychologisch engmaschig weiterbetreut worden.“ Den Todesfall bedauere man sehr.

Die Kommentarfunktion unter diesem Artikel wurde aufgrund mehrerer unsachlicher Postings deaktiviert.

Nach der massiven Kritik an den Zuständen im Jugendstrafvollzug und an der Reaktion von ÖVP-Justizministerin Beatrix versucht die viel gescholtene Ressortchefin nun in die Gegenoffensive zu gehen. Mit einem 25-Punkte-Maßnahmen-Paket will sie Terrain gutmachen.

In den vergangenen Tagen hatte Karl ja ihre Beamten öffentlich vorgeschickt – und selbst Interview-Anfragen abgelehnt. Heute stellte sie sich den Fragen der Journalisten. Doch nicht nur die Öffentlichkeit soll informiert werden. Die Ministerin hat für Freitag auch alle Leiter der Justizanstalten, in denen jugendliche Häftlinge untergebracht sind, ins Justizministerium geladen, um über Verbesserungen zu beraten. Es sind ja heuer schon vier Missbrauchsfälle aktenkundig. Ab Dienstag soll sich auch die von Karl angekündigte „Task Force“ aktiv werden.

18-jähriger Häftling nahm sich in Justizanstalt das Leben
APA13669010-2 - 12072013 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT CI - (v.l.) Die Leiterin der Justizanstalt Josefstadt, Helene Pigl, BM Beatrix Karl und Vollzugsdirektor Peter Prechtl während einer PK zum Jugendstrafvollzug am Freitag, 12. Juli 2013, in Wien. APA-FOTO: ROBERT JAEGER

Die Justizministerin möchte den Jugendstrafvollzug jedenfalls "deutlich verbessern" und "ein echtes Vorbild für Europa sein. Wir müssen alles Mögliche tun, um Vorfälle, von denen wir in den letzten Wochen gehört haben, so weit als möglich zu verhindern", sagte sie am Freitag vor Journalisten.

Die wichtigsten Ziele von Karls Maßnahmenpaket sind:

U-Haft: Binnen drei Monaten sollen die Zustände für jugendliche U-Häftlinge verbessert, zwei Personen pro Zelle sollen die Regel werden (derzeit oft vier). Generell sollen weniger Junge in U-Haft kommen. Alternativen: Unterbringung mit Fußfessel in Wohngemeinschaften.

Mehr Beschäftigung: Das Arbeitsangebot für jugendliche Insassen soll erweitert werden. Die Freizeitbetreuung sollen Mitarbeiter der Wiener Jugendgerichtshilfe übernehmen.

Bessere Aufsicht: Sicherheitsvorkehrungen sollen verstärkt werden. In der Justizanstalt Josefstadt wird es laut Karl künftig einen eigenen Nachtdienstposten für die Jugendabteilung geben.

Personal schulen: Bedienstete von Justizanstalten sollen mittels Fortbildungen stärker sensibilisiert werden. Bekanntlich wurde auch kritisiert, dass die Beamten mitunter einen rauen Umgangston haben und zu spät auf Gewalt reagieren. Auch mehr Personal verspricht Karl, zahlen nennt sie aber nicht.

Neues Gefängnis: Im Großraum Wien soll bis 2017 eine neue Haftanstalt mit einem eigenen Jugend-Pavillon errichtet werden. Den Wiener Jugendgerichtshof will die Ministerin hingegen nicht wieder errichten.

Diversion: Der Grundsatz „gemeinnützige Arbeit“ soll verstärkt angewendet werden, damit auch weniger Jugendliche in Strafhaft kommen.

Heinz Patzelt, Chef von Amnesty International, hat im Ö1-Mittagsjournal nur Kritik für die Pläne der Ministerin parat: „Ist das 1960 oder 2013“, fragt er polemisch – "ich bin sprachlos, wenn ich dies in einem der reichsten Länder der Welt lese.“

Österreich sei rechtlich verpflichtet, alles für das Wohl von bis zu 18-Jährigen zu unternehmen; egal, ob sie straffällig geworden seien oder nicht. Dazu gehöre demnach auch, nur im allerschlimmsten Fall eine Haft zu verhängen: „Und wenn, dann nur unter besonders betreuten Bedingungen.“ Diese seien in Österreich jedenfalls nicht gegeben. Patzelt bezeichnet die Refomvorschläge Karls als „Fortschritte von einem Stand weg, der indiskutabel war.“

Übergriffe in Jugendstrafanstalten dürften nicht nur zwischen Häftlingen, sondern auch durch das Wachpersonal stattfinden. Wie das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte in Strafanstalten in Wien und Niederösterreich erhoben hat, berichteten Insassen von Bedrohungen durch Beamte. Aber auch von "Watschen" und Schlägen ist in der Studie die Rede, die in Zusammenarbeit mit dem Weißen Ring und dem Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie erstellt wurde.

Zwei Jahre lang untersuchte man die Erfahrungen von jungen Häftlingen in den Justizanstalten (JA) Gerasdorf und Wien-Josefstadt. Dabei wurde auch von Formen der Gewalterfahrung durch Justizwachebeamte berichtet. Es scheint kaum körperliche Übergriffe durch die Beamte gegenüber den Insassen zu geben, doch in diesem Zusammenhang wurde von den Häftlingen von "Watschen", Drohungen mit Bestrafungen, Provokationen, unfaire Beschuldigungen und Überreaktionen berichtet.

Drohungen wie "Ich mach Dir das Leben zur Hölle" sollen ebenso vorkommen wie Schläge gegen Insassen. Erzählt wurde außerdem von rassistischen Beschimpfungen. Die Insassen meinten, dass "niemand einem Häftling Glauben schenken würde", wenn sie sich über gewalttätiges Verhalten oder Misshandlungen durch Beamten beschweren würden. Die befragten Häftlinge sahen demnach "keine Möglichkeit, sich gegenüber schlechter und unfaire Behandlung der Beamten zur Wehr zu setzen", heißt es in dem Bericht.

Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte

Kommentare