Kampusch: Chefankläger verteidigen sich

Kampusch: Chefankläger verteidigen sich
Die Oberstaatsanwälte Pleischl und Mühlbacher versuchen, die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu entkräften.

Viele Fragen, keine Antworten. Zumindest keine Antworten vor Gericht. Die Oberstaatsanwälte Werner Pleischl und Thomas Mühlbacher machten von ihrem Recht als Beschuldigte Gebrauch und entschlugen sich neulich überraschend der Aussage. Pleischl und Mühlbacher werden (wie drei weitere ihrer Staatsanwaltskollegen) verdächtigt, sich im Zuge des Entführungsfalles Kampusch des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht zu haben - wesentliche Ermittlungsergebnisse sollen unberücksichtigt geblieben sein.

In Innsbruck wird von Richter Georg Putz deswegen ermittelt, die Zeugen haben umfassend ausgesagt. Von den Anklägern Pleischl und Mühlbacher hat jedoch der Richter nichts erfahren. Ein vereinbartes Gespräch mit dem KURIER ließen die Staatsanwälte kurzfristig platzen. Immerhin nahmen schriftlich Stellung und versuchten, die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu entkräften.

1.) Nach der Flucht von Natascha Kampusch (23. August 2006) wurde eine Tatrekonstruktion mit der Zeugin I. A. durchgeführt (ex existiert eine dem KURIER vorliegende Videoaufzeichnug) sowie eine Datenrückerfassung zum Mobiltelefon des Verdächtigen Ernst H. angeordnet. Warum erfolgte die (erste) Ermittlungseinstellung am 15. November 2006 ohne Prüfung der Rufdatenrückerfassung, und obwohl die Zeugin A. insgesamt sechs Mal angab, eindeutig zwei Täter im Entführungsauto gesehen zu haben?
Sämtliche Befragungen des Opfers Natascha Kampusch, die umfassende Aufarbeitung des Tatortes, die Auswertung sämtlicher am Tatort sichergestellter Spuren, die Sichtung der persönlichen Aufzeichnungen sowie des vorgefundenen Lichtbild- und Videomaterials von Natascha Kampusch ergaben keinen Hinweis, dass ein weiterer Täter an der Entführung bzw. der Gefangennahme tatbeteiligt war. Auch auf mehrfaches Nachfragen gab Natascha Kampusch an, dass es sich lediglich um Wolfgang Priklopil als (Einzel-)Täter handelte.

Einzig die Zeugin A. blieb bei ihren Angaben, dass sie zwei Leute im Auto gesehen habe:

Bericht 16.3.1998: Zweiter Mann - keine Beschreibung / Aktenvermerk 31.8.2006: "...Wolfgang PRIKLOPIL im Fahrzeug am Beifahrersitz saß und mit einem weiteren Mann, welchen Sie nur seitlich genauer gesehen habe, gesprochen hat. Dieser zweite Mann hätte ganz kurze bräunliche Haare (Bürstenhaarschnitt- keine Glatze oder Glatzenansatz) gehabt und trug keinen Bart") ( Beilagen 53 und 56 der Vollanzeige vom 22.9.2006 ). Näheres siehe zu 12.


Somit gab es zum damaligen Zeitpunkt keine fassbaren Gründe, die für einen bis dahin nicht ausgeforschten weiteren Täter gesprochen haben, weswegen keine weitere Prüfung der Ergebnisse der Rufdatenrückerfassung erfolgte.

2.) Die von der Evaluierungskommission veranlasste Auswertung der Rückdatenerfassung ergab auffällige Gesprächskontakte mit zwischen dem Verdächtigen Ernst H., einem hochrangigen sowie einer Pornoladenbesitzerin. Die Gespräche endeten nach dem 23. August 2006 (Flucht Natascha Kampusch) abrupt endeten. Oberstaatsanwalt Werner Pleischl kündigte auf Betreiben der Evaluierungskommission neue Ermittlungen an. Dennoch wurde seitens der Staatsanwaltschaft im Gegensatz zur Zusage vom 30. April 2008 an das Ministerium berichtet, dass es keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen gebe.Wie ist dies zu erklären? Und aus welchen Gründen dauerte es bis zum 7. November 2008, bis der staatsanwaltschaftliche "Widerstand" gegen eine Wiederaufnahme der Ermittlungen aufgegeben wurde?

Über Initiative der Evaluierungskommission des BMI kam es am 30.4.2008 im BMI zu einem Gespräch mit fünf Vertretern der Staatsanwaltschaft und der Oberstaatsanwaltschaft Wien, in dessen Verlauf von Seiten der Kommission insbesondere darauf verwiesen wurde, dass ihre Mitarbeiter aus den Daten einer Rufdatenrückerfassung ein Diagramm erstellt hätten, aus dem sich bestimmte Zusammenhänge ergeben würden, die weitere Ermittlungen erforderten, welche die Kommission mangels polizeilicher Befugnisse aber nicht durchführen könne. Dr. Pleischl wurde dadurch keineswegs veranlasst, "die Notwendigkeit einer formlosen Wiederaufnahme der Ermittlungen zu erkennen", sondern forderte Staatsanwalt Kronawetter auf, das übergebene Material und insbesondere das Diagramm zu bearbeiten und sich mit Oberst Kröll zu besprechen. In Folge kam Kronawetter in seinem umfangreichen Bericht vom 11.7.2008 an die Oberstaatsanwaltschaft Wien und das BMJ zu dem Schluss, dass (auch) auf Grund dessen keine neuen Ermittlungen in Auftrag zu geben wären. Das BMJ setzte daraufhin eine Dienstbesprechung für den 30.9.2008 an, in deren Folge es schließlich am 8.10.2008 zu einer interministeriellen Besprechung im BMI kam. Diese führte zu einem Bericht des BKA vom 22.10.2008 an die Staatsanwaltschaft Wien mit der Anregung, (bloß) bestimmte ("Umfeld"-)Ermittlungen in Form der Erkundigung in Auftrag zu geben. Dies erfolgte am 6.11.2008.

3.) Aus welchen Gründen wurden zwischen Jänner 2009 und Juli 2009 laufende kriminalpolizeiliche Berichte über den Ermittlungsfortgang beharrlich ignoriert?

Die kriminalpolizeilichen Berichte wurden eingehend geprüft. Allerdings boten sie weder neue Erkenntnisse noch verwertbare Ermittlungsansätze. Daher bildeten sie auch keine Grundlage für weitere Ermittlungsanordnungen. Weder die Evaluierungskommission noch die Sonderkommission haben jemals Ermittlungsansätze aufgezeigt, denen nicht nachgegangen worden wäre.

4.) Wie sind die folgenden, laut Evaluierungskommission krass wahrheitswidrigen Informationen der Öffentlichkeit Ende Juli/Anfang August 2009 seitens der Justiz zu erklären? Dr. Jarosch und Dr. Pleischl bekundeten (Presseerklärung bzw. Medieninformation) Ermittlungsversäumnisse seitens der Kommission; es sei nur ein Zeuge vernommen worden. Tatsächlich jedoch waren zum damaligen Zeitpunkt 102 Personen einvernommen worden. Wurde die Öffentlichkeit bewusst falsch informiert und wenn ja, warum?

Die Öffentlichkeit wurde richtig informiert: Die Sonderkommission hatte teilweise aus eigenem Antrieb - jedoch ohne Ergebnis - ermittelt, aber offene Aufträge der Staatsanwaltschaft nicht erfüllt. Dabei hatte sie nahezu ausschließlich sogenannte Erkundigungen durchgeführt und vor allem die aufgetragenen förmlichen Einvernahmen von H., B. und G. (Verdächtige, Anm.) unterlassen, weswegen sie in Folge auch urgiert wurde.

5.) Worin liegt der wahre Grund für die Einstellung der Ermittlungen gegen den hochrangigen Offizier B.? Warum wurde - wie u.a. ein Mailverkehr zwischen Dr. Mühlbacher und Oberst Kröll belegt - die Einvernahme B.`s für 8. Oktober festgelegt und da auch durchgeführt, das Verfahren gegen den hochrangigen Beamten jedoch schon am 10. September eingestellt?

Der "Verdacht" gegen B. gründete sich lediglich auf den Umstand, dass eine ihm zuordenbare - wie sich herausstellte aber tatsächlich von seiner Ehefrau benützte - Telefonnummer unter der Bezeichnung "BE KIND SLOW" auf dem Mobiltelefon des Beschuldigten H. gespeichert war. Die Bedeutung des Begriffes war zunächst unklar. Trotz intensiver Ermittlungen konnte aber kein Zusammenhang mit der Entführung der Natascha Kampusch oder mit der "Pornoszene" hergestellt werden.

Somit bestand kein Verdacht gegen B. Er wurde daher in voller Übereinstimmung mit der Kriminalpolizei als Zeuge in den einvernehmlich erstellten Vernehmungsplan aufgenommen und am 8. Oktober als solcher befragt. Hätten die Vernehmungen und Erhebungen im Umfeld einen Verdacht ergeben, hätte B. jederzeit wieder als Beschuldigter geführt werden können.

Festzuhalten ist auch, dass nur 4 Anrufe und 2 Anrufversuche (in einer Dauer zwischen 3 und 111 Sekunden) in der Zeit vom 23.4.2006 bis zum 2.5.2006 dokumentiert sind, womit auch widerlegt ist, dass die Kontakte abrupt nach dem 23.8.2006 endeten. Als Grund für diese Anrufe stellte sich das Interesse der Frau B. an einer von H. inserierten Wohnung heraus. Die Genannte bot am Rande einer Vernehmung auch eine mögliche Erklärung für die Buchstabenfolge an, indem sie es für möglich hielt, dass die Nummer für die Interessentin einer Wohnung in der BErgsteiggasse, die sie für ein KINDermädchen aus der SLOWakei suchte, abgespeichert wurde. Diese Version bekräftigt auch die Angaben des Beschuldigten H. bei seiner Vernehmung am 15.10.2009, der den Telefonbucheintrag nicht namentlich zuordnen konnte, aber auf einen Mietinteressenten dieser Wohnung schloss.

Somit bestand kein Verdacht gegen B. Er wurde daher in voller Übereinstimmung mit der Kriminalpolizei als Zeuge in den einvernehmlich erstellten Vernehmungsplan aufgenommen und am 8. Oktober als solcher befragt.

6.) Warum wurde seitens der Justiz im Fall Kampusch nur eine Person einvernommen, nämlich Natascha Kampusch?

Im Einvernehmen mit den Beamten der SOKO des Bundeskriminalamtes wurde bei der Erstellung des Vernehmungsplanes die kriminaltaktische Entscheidung getroffen, Natascha Kampusch und H. gleichzeitig zu vernehmen, um eine (nach der damaligen Verdachtslage nicht auszuschließende) Verabredung über die Vernehmungsergebnisse von vornherein unmöglich zu machen. Dies führte dazu, dass H. von Oberst Kröll und Natascha Kampusch von Dr. Mühlbacher unter Beiziehung des stv. Leiters der SOKO und einer Staatsanwältin vernommen wurde.

Bei den Beamten der SOKO handelte es sich um hervorragend geschulte, erfahrene Kriminalbeamte, die intensiv in die Akten eingearbeitet waren, sodass eine weitere Einvernahme durch Staatsanwaltschaft oder Gericht keine zusätzlichen Ergebnisse erwaten ließ.

7.) Wie ist es zu erklären, dass der Verdächtige H. trotz seiner zahlreichen Widersprüche seitens der Justiz (Abschlussbericht Mühlbacher) letztlich Glauben geschenkt wurde, obwohl H. sich höchst verdächtig verhielt und seine Versionen mehrfach veränderte? Seine Argumentation, jeder hätte gelogen, um nicht in U-Haft zu kommen (wie er uns in einem Gespräch erzählte), klingt für uns nicht sehr nachvollziehbar. Warum sollte jemand, der nichts zu verbergen hat, lügen?

Die ursprünglich unrichtige Darstellung der Ereignisse nach der Flucht der Natascha Kampusch und die Überweisung eines Geldbetrages an Wolfgang Priklopil bildeten den Grund, dass ein Ermittlungsverfahren gegen H. eingeleitet wurde. Bei einer weiteren Vernehmung revidierte H. seine Aussage. Aus welchen Gründen sich ein Verdächtiger unterschiedlich leugnend und lügend verantwortet, kann von dritter Seite nicht eindeutig nachvollzogen werden.

Die geänderte Verantwortung des Herrn H. wurde durch Kontrollbeweise eingehend auf Übereinstimmung mit den vorhandenen Beweismitteln überprüft. Nach Ausschöpfung sämtlicher Beweisquellen konnte seine im Ermittlungsverfahren letztlich abgegebene Verantwortung jedenfalls nicht widerlegt werden. Somit gab es keine Grundlage dafür, ihn der Mittäterschaft oder Mitwisserschaft zu bezichtigen.

Auch nach dem Abschlussbericht der Kriminalpolizei waren keine weiteren Ermittlungsansätze ersichtlich. Eine lapidare Behauptung wie jene des Zeugen Dr. Rzeszut, dass etwas "zum Himmel stinkt", ist schnell aufgestellt. Für eine Anklage vor Gericht sind hingegen konkrete Hinweise für eine Beteiligung an einer Straftat notwendig.

8.) Im Abschlussbericht von Dr. Mühlbacher wird nicht auf die grafologischen Untersuchungen zum angeblichen Abschiedsbrief des Wolfgang Priklopil (das Wort MAMA war nicht Priklopil zuzuordnen, teilweise jedoch Holzapfel) eingegangen, und auch nicht auf ein Zusatzgutachten? Von wem wurde das kurzfristig in Auftrag gegebene Zusatzgutachten veranlasst?

Der Beweiswert eines lediglich 4 Buchstaben enthaltenden Zettels, der in einer extremen Stresssituation auf unklarer Unterlage geschrieben worden sein soll, ist von Vornherein kaum relevant. Nach den Ergebnissen der Obduktion sowie aus den eindeutigen Angaben des Lokomotivführers muss der Selbstmord des Wolfgang Priklopil als gewiss angenommen werden. Die Schlussfolgerungen des Zeugen Dr. Rzeszut, dass der Beschuldigte H. diesen Selbstmord vortäuschen hätte wollen, ist rein spekulativ und mit diesen Tatsachen nicht in Einklang zu bringen.

Das ergänzende Schriftgutachten ["grafologische Untersuchung"], hätte dem Zeugen Dr. Rzeszut bei sorgfältiger Durchsicht der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen ebenso bekannt sein müssen wie die Umstände, denen zu Folge es zu dieser neuerlichen Untersuchung kam:

Oberst Kröll übersandte am 16.12.2009 per e-mail einen Entwurf des Abschlussberichtes an Dr. Mühlbacher und alle Kommissionsmitglieder. Darin wird zu dieser Frage ausgeführt:

Zettel mit dem darauf in lateinischer Schrift geschriebenen Wort "Mama"

... Ing. H. wurde bei seiner 3. Beschuldigtenvernehmung mit dem Untersuchungsbericht konfrontiert und blieb weiter dabei, dass das Wort "Mama" von Wolfgang Priklopil geschrieben worden wäre.

Bei dieser Beschuldigtenvernehmung brachte er zwei handschriftlich und seinen Angaben nach von Wolfgang Priklopil verfasste Schreiben bei, aus denen ersichtlich ist, dass sie auch in lateinischer Schrift geschrieben wurden. Diese beiden Schreiben wurden am 2.12.2009 wiederum im Bundeskriminalamt untersucht und ein Untersuchungsbericht, datiert mit 7.12.2009 verfasst, aus dem hervorgeht, dass die fragliche Schrift (Wort "Mama") noch immer etwas mehr graphische Übereinstimmungen zu den Vergleichsschriften H. als zu den Vergleichsschriften Priklopil aufweist. Eine hinweisliche Aussage dahingehend, ob das fragliche Wort "Mama" eher von H. oder eher vom Vergleichsschreiber Wolfgang Priklopil verfasst wurde, erscheint aber nunmehr kaum vertretbar.

9.) Wie ist die Nachricht Oberst Krölls an seinen Mitstreiter Semler zu erklären, wonach man ihm, Kröll, unmissverständlich zu verstehen gegeben habe, die Sache auf sich beruhen zu lassen? Hat die Justiz Kröll zum Schweigen bringen wollen bzw. dazu, die Einzeltäterthese zu stützen? Und warum hat man Kröll dazu veranlasst, die Sache auf sich beruhen zu lassen? Anknüpfend daran: Warum wurde am 20. November 2009 seitens Dr. Mühlbacher erklärt, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft eingestellt würden, obgleich das grafologische Gutachten vorlag und obgleich eine Gegenüberstellung zwischen Natascha Kampusch und der Tatzeugin I. A. noch nicht durchgeführt worden war?

Es handelt sich um eine subjektive Einschätzung in einer Kommunikation unter Kollegen, der im Übrigen nicht zu entnehmen ist, dass irgendjemand "zum Schweigen gebracht" werden sollte oder Oberst Kröll bei der Gegenüberstellung der Zeuginnen Kampusch und A. "keine freie Hand" gehabt hätte. Ihr sind jedenfalls folgende objektive Tatsachen entgegenzustellen:

Anders als Dr. Rzeszut behauptet stand am 20. November 2009 der Zeitpunkt des Abschlusses des Ermittlungsverfahrens mit Jahresende keineswegs fest. (Außerdem hatte der ursprüngliche Arbeitsplan sogar einen Abschluss der Ermittlungen im Spätherbst vorgesehen. Dieser Termin hatte aber ebenfalls nur eine Richtlinie gebildet. Er wurde mehrfach verschoben, solange erfolgversprechende Ermittlungsansätze existierten.) Im Übrigen wurde das Verfahren nicht vor der Gegenüberstellung eingestellt. Dr. Mühlbachers Bericht an das BMJ ist mit 18.12.2009 datiert, die Gegenüberstellung fand am 3.12.2009 statt. Der Bericht nimmt auch Bezug auf die Ergebnisse der Gegenüberstellung.

Tatsache ist, dass der Beschuldigte H. bei seiner Vernehmung am 13.November 2009 seine ursprüngliche Verantwortung, wonach er erst durch die Polizei von den strafbaren Handlungen des Wolfgang Priklopil erfahren habe, widerrief und - unwiderlegbar - erklärte, bisher aus Angst, in die Sache hineingezogen zu werden, verschwiegen zu haben, dass Priklopil ihm seine Tat am Nachmittag des Freikommens der Natascha Kampusch offenbart hätte.

Nachdem diese Aussage nicht widerlegt werden konnte, konnte der Verdacht der Mittäterschaft gegen H., der im Wesentlichen nur auf der Unschlüssigkeit seiner eigenen Darstellung beruht hatte, nicht aufrecht erhalten werden. Es war daher - soweit die gleichzeitig eingeleiteten Kontrollbeweise über die geänderte Darstellung keine wesentlichen Änderungen mehr erbringen sollten - zu diesem Zeitpunkt an einen Abschluss des Ermittlungsverfahrens zu denken.

Dr. Mühlbacher legte diese Beurteilung der Beweislage der "Evaluierungskommission" in ihrer Sitzung vom 20. November 2009 offen. Gleichzeitig bekundete er seine Bereitschaft, sinnvollen Ermittlungsansätzen noch vor einer Berichterstattung an das Bundesministerium für Justiz nachzugehen. In diesem Sinn wurde auch die in dieser Sitzung vorgetragene Anregung einer Gegenüberstellung der Zeuginnen Kampusch und A. übernommen und eine nochmalige Überprüfung des "Verlieses" auf DNA - Spuren veranlasst. (Natascha Kampusch hatte in ihrer Vernehmung angegeben, die Paneele in diesem Raum gemeinsam mit Wolfgang Priklopil verlegt zu haben. Tatsächlich fanden sich nach dem Abbau durch ein Spurensicherungsteam dort lediglich solche Spuren, die Kampusch und Prikopil zuzuorden waren).

Die "Idee" zur Gegenüberstellung der Zeuginnen Kampusch und A. entstand im Zuge einer Erörterung möglicherweise noch nicht gänzlich ausgeschöpfter Beweisquellen, an der sich - abgesehen von Dr. Rzeszut - sämtliche Kommissionsmitglieder konstruktiv beteiligten. Dieser zog sich hingegen darauf zurück, in außergewöhnlich emotioneller Weise seine "Theorie" zu wiederholen, die er zuvor am 19.11.2009 und am 20.11.2009 in zwei angeblich in den Nachtstunden verfassten E-Mails auch schriftlich dargelegt hatte. Augenscheinlich handelt es sich dabei um jene "Sitzungspapiere", die er nunmehr als Ersatz für den erbetenen "Anklageentwurf" verstanden wissen will, in denen aber nur - teils auf Grundlage überholter Ermittlungsergebnisse, teils sogar gegen Beweisergebnisse - haltlose Spekulationen angestellt werden.

Entgegen den Vorwürfen des Zeugen Dr. Rzeszut hat sich Dr. Mühlbacher sowohl im Laufe des Ermittlungsverfahrens als auch im Bericht an das Bundesministerium für Justiz mit den Aussagen der Zeugin A. ausführlich auseinander gesetzt. Zu diesem Zweck hat das Bundeskriminalamt, Abteilung 4, Büro 4.1.2 (Strategische Kriminalanalyse) auch eine GIS-Auswertung (Zeit-/ Weg-Historie - geografische Visualisierung) der mehrfachen, teils schlecht dokumentierten Angaben der Zeugin vor unterschiedlichen Polizeidienststellen angefertigt und zu den Akten genommen.

10.) Warum wurde bei der Gegenüberstellung von Kampusch mit der Tatzeugin Letztgenannter kein Vorhalt gemacht was ihre bisherigen Aussagen (eindeutig zwei Täter) betraf, zumal ein Vorhalt in diesem Fall zwingend erfolgen hätte müssen? Und warum wurden die Einwände der ebenfalls anwesenden Mutter der Zeugin nicht berücksichtigt, wonach ihre Tochter stets von zwei Tätern gesprochen hat?

Die Gegenüberstellung erfolgte am 3.12.2009 und wurde von Oberst Franz KRÖLL geleitet. Außer diesem waren CI Kurt L., Natascha Kampusch, deren Rechtsanwalt Dr. G. sowie ihr Betreuer Johannes S., die Zeugin A. und deren Mutter anwesend. Von keiner der beteiligten Personen und auch von keinem der Mitglieder der "Evaluierungskommission" wurde jemals Kritik an dieser Amtshandlung geäußert.

Unmittelbar nach dem Ende der Gegenüberstellung berichtete Oberst Kröll sichtlich erleichtert telefonisch an Dr. Mühlbacher, dass der scheinbare Widerspruch in den Aussagen nun geklärt sei, weil die zweite Beobachtung der Zeugin A. ein anderes Fahrzeug betroffen haben muss. Am 4.12.2009 übermittelte Oberst Kröll an Dr. Mühlbacher und alle Mitglieder der"Evaluierungskommission" den auch der Eingabe des Zeugen Dr. Rzeszut angeschlossenen Amtsvermerk per E-Mail mit nachstehender Übermittlungsnote:

"Sehr geehrter Herr EOStA Dr. MÜHLBACHER!
Geschätzte Kommissionsmitglieder!

In der Anlage übermitteln wir einen Amtsvermerk über den
mit Natascha KAMPUSCH und A. durchgeführten Augenschein.
Dem Ergebnis dieses Augenscheins nach, dürfte sich
A. am Tag der Entführung von Natascha KAMPUSCH
aufgrund des "Erlebten" in ihren Wahrnehmungen geirrt haben
und nunmehr angenommen werden kann, dass an der unmittelbaren
Entführung von Natascha KAMPUSCH am 2.3.1998 tatsächlich nur
Wolfgang PRIKLOPIL beteiligt war.

Mit besten Grüßen! KRÖLL, Oberst".


Da dieses E-Mail zeitgleich auch dem Zeugen Dr. Rzeszut zuging, ist der von
ihm erhobene Vorwurf, dass es sich bei der Amtshandlung um
eine "objektiv pflichtwidrige Gegenüberstellung" und "suggestive
Umpolung" der A. handle, an der Oberst KRÖLL gegen
seine Überzeugung mitgewirkt hätte, schon aus diesem Grund ebenso unverständlich
wie unbegründet.

Dazu kommt aber noch folgender Umstand:

Am 8.12.2009 übermittelte Oberst Kröll unaufgefordert und wiederum elektronisch an Dr. Mühlbacher sowie alle Kommissionsmitglieder eine korrigierte Ausfertigung des Aktenvermerkes vom 4.12.2009 und fügte erklärend bei:

Bedauerlicherweise wurde der besprochene Sachverhalt über den von A. am 2.3.1998 am weißen Kastenwagen wahrgenommenen "Buckel" nicht im Aktenvermerk dokumentiert. Auch wurde irrtümlich dokumentiert, dass auf der Kreuzung Rennbahnweg - Panethgasse, als A. ihren Angaben nach das zweite Mal das Tatfahrzeug sah, das Fahrzeug von links kam. Richtig ist, dass das Fahrzeug von rechts kam. Dieser Fehler wurde richtig gestellt. Der bereits übermittelte Amtsvermerk ist somit gegenstandslos. Entschuldigung für diese Fehler.

Mir besten Grüßen - Kröll, Oberst


Der Frage, ob das von A.I. beobachtete Fahrzeug einen "Buckel" hat, kommt bei der Beurteilung ihrer Aussage besondere Bedeutung zu. Die Zeugin hatte nämlich bereits bei ihren ersten Aussagen von einem schwarzen Buckel am Heck des Fahrzeuges gesprochen und davon auch eine Zeichnung hergestellt. Sämtliche dazu vernommenen Zeugen, wie etwa Nachbarn, gaben aber an, dass ihnen ein solcher Bauteil, der für den bei der Tat verwendeten Mercedes auch in der Zubehörindustrie nicht angeboten wird, nie aufgefallen war.
Das Beharren auf diesem "Buckel" stellt daher ein wesentliches Indiz dafür da, dass die zweite Beobachtung der Zeugin an anderes, ähnliches, Fahrzeug betraf. In diesem können durchaus zwei Männer gesessen sein.

Obwohl dem Zeugen Dr. Rzeszut auch die berichtigte Ausfertigung des Amtsvermerkes zur Verfügung stand, übermittelte er dem Parlament die nicht mehr aktuelle, veraltete und damit falsche Fassung, in der dieser - seiner "Theorie" entgegenstehende - Hinweis fehlt.

Das Problem bei der Bewertung der Aussage der Zeugin A. lag - abgesehen von einer gewissen Irrtumsanfälligkeit von Zeugenaussagen überhaupt, die stets eine Überprüfung durch Kontollbeweise indizieren - vor allem darin, dass A. über einen Abstand von mehreren Jahren vielfach von unterschiedlichen Beamten vernommen wurde und ihre Angaben meist nur unzureichend dokumentiert wurden.

In Wahrheit hat I.A. aber nie dezidiert ausgeschlossen, dass es sich nur um einen Täter gehandelt hätte, auch nicht in der mit ihr (8 Jahre nach der Tat, die sie als Kind beobachtete) aufgenommenen Niederschrift vom 27. August 2006:

"Auch wenn mir gesagt wird, dass Natascha KAMPUSCH aussagt, dass nur eine Person die Entführung gemacht hat, bin ich mir sicher, dass in dem Bus welchen ich gesehen habe 2 Personen gesessen sind. PRIKLOPIL habe ich eindeutig erkannt, zur zweiten Person habe ich bereits PersBeschreibung abgegeben (Anm.: die auf H. nicht passende Darstellung eines Mannes mit Stoppelglatze). Dezidiert schließe ich aus, dass Priklopil alleine in dem von mir gesehenen Bus war."

Entscheidend ist aber, dass die Zeugin bei dieser Vernehmung auch darlegt, dass sie bei der Entführung selbst nur eine Person wahrgenommen hat und dann fortfährt:

"Ich denke, dass ich das Fahrzeug dann kurz noch einmal gesehen habe, als es bei einem zweiten Kreisverkehr nochmals bei mir vorbeigefahren ist. Dabei habe ich jedoch PRIKLOPIL nicht erkannt, da hatte er Brillen auf, auch hatte er die Haare irgendwie anders. Ich habe das Fahrzeug ein kurzes Stück von vorne gesehen, da es aus der zum Kreisverkehr führenden Straße in meine Richtung gefahren ist. Dieses Fahrzeug hatte auch den "Buckel" und die verdunkelten Scheiben."

Die Darstellung der Zeugin A. am 27.6.2006 lässt widerspricht daher keineswegs den Ergebnissen der Gegenüberstellung vom 3.12.2009.

Dr. Rzeszut reiht in unkritischer Weise ihm genehmer Teile einzelner Aussagen aneinander, ignoriert gleichzeitig diesen widersprechende Beweisergebnisse und übergeht wesentliche Verfahrensergebnisse (etwa die über Wochen durchgeführte Observation, die Überwachung zweier Mobiltelefone, die Ergebnisse von Vernehmungen, die Ergebnisse der DNA-Analyse und weitere umfangreiche Ermittlungen) beharrlich mit Stillschweigen

Das lässt zusammengefasst nur den Schluss zu, dass er nicht willens oder nicht in der Lage ist, sich mit Verfahrensergebnissen abzufinden, die seiner - einer objektiven Prüfung nicht standhaltenden - "Theorie" widersprechenden.

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