Kampusch: Brisante Justiz-Korrespondenz

Kampusch: Brisante Justiz-Korrespondenz
Im Verfahren gegen fünf hochrangige Staatsanwälte wurde offenbar versucht, Einfluss auf die Ermittlungen zu nehmen.

Im Sommer 2011 beginnt die heiße Phase im Ermittlungsverfahren gegen fünf hochrangige Staatsanwälte. Ermittelt wird unter der Leitung der Oberstaatsanwaltschaft in Innsbruck. Die entscheidende Frage lautet: Haben die fünf Staatsanwälte im Entführungsfall Kampusch wesentliche Ermittlungsergebnisse ignoriert und sich also des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht? Die Ankläger haben dies stets heftig dementiert und einem Verfahren gegenüber Gelassenheit demonstriert. Bemerkenswert ist dennoch, dass im Zuge des Verfahrens offenbar versucht wurde, Einfluss auf die Ermittlungen zu nehmen, unter besonderer Beobachtung stand der Ermittlungsrichter. Dies geht aus Justiz-Korrespondenz hervor, die dem KURIER vorliegt.

 

"Lieber Kurt"

Eine Mailnachricht vom 4. Juli 2011. Absender ist Christian Pilnacek, Sektionschef und also mächtiger Mann im Justiz­ministerium, dem die Staatsanwälte weisungsgebunden unterstellt sind. Adressat ist Kurt Spitzer, Oberstaatsanwalt in Innsbruck und betraut mit der delikaten Causa, in der seine fünf Kollegen die Beschuldigten sind. In der Nachricht vom 4. Juli 2011 heißt es:

"Lieber Kurt. Der Richter darf die Verfolgung nicht an sich reißen. Meint er, in weiterer Richtung ermitteln zu müssen, bedarf es der Information der Staatsanwaltschaft, die darüber zu entscheiden hat. Herzlichen Gruß."

Sektionschef Pilnacek sorgt sich offenbar, der unabhängige Richter, der die Zeugen und die Beschuldigten befragt, könnte mehr ermitteln, als der unter Kritik geratenen Staatsanwaltschaft lieb ist und hat dies seinem "lieben Kurt" auch kundgetan. Heute sagt Pilnacek: "Das war lediglich ein interner Austausch von Rechtsmeinungen. Ich habe die meine erläutert."

 

"Liebe Gitti"

Eine Mailnachricht vom 13. Juli 2011. Absender ist diesmal Oberstaatsanwalt Kurt Spitzer, Adressatin Brigitte Loderbauer, die leitende Staatsanwältin in Innsbruck. Sie hat die Erkenntnisse aus den Befragungen durch den Ermittlungsrichter vorab zu bewerten. Spitzer zeigt sich nach der Pilnacek-Nachricht recht aufgeregt – in der Mail an die "Sehr geehrte Frau Staatsanwältin, liebe Gitti!", meint der Oberstaatsanwalt, die Angelegenheit sei "äußerst dringend", der Richter habe nicht "die Aufgabe, Verdachtsgründe aufzubereiten und die Beschuldigten darüber zu verständigen. Ich brauche laufend Informa­tion zu den weiteren Beweisaufnahmen des Richters, sowie aus welchen konkreten Gründen diese weiterhin für notwendig erachtet werden."

Sinngemäß heißt das also: Der aus optischen Gründen eingesetzte Richter – im Gegensatz zu den Staatsanwälten vom Gesetz her unabhängig – sollte in seinem Erhebungsdrang gebremst werden. Kurt Spitzer zum KURIER: "Ich weiß nicht, wo da das Problem ist . . ."

Ein Schreiben vom 7. Juli 2011. Absender ist wieder Oberstaatsanwalt Kurt Spitzer, Adressatin die Staatsanwaltschaft Innsbruck. Diesmal nimmt Spitzer den Ermittlungsrichter und den Schlüsselzeugen, Ex-Höchstrichter Johann Rzeszut, ins Visier. Rzeszut war Mitglied einer Kampusch-Evaluierungskommission und hat in einem Schreiben an die Parlamentsparteien "sachlich nicht nachvollziehbare Vorgangsweisen" der Staatsanwaltschaft dokumentiert und das Verfahren gegen die Ankläger erst ins Rollen gebracht.

 

"Werter Kollege"

Spitzer fragt in dem Schreiben , ob die Ermittlungen des Richters "noch unbefangen geführt werden und nicht bloß den Zweck verfolgen, vom ehemaligen Höchstrichter Anerkennung zu erhalten." Spitzers Begründung: Rzeszut habe in einem Schreiben Putz mit "Werter Kollege" angesprochen. Heute sagt Spitzer: "Es ist eigenartig, dass Rzeszut den Kontakt zum Richter gesucht hat." Kopfzerbrechen bereitete dem Oberstaatsanwalt offenbar auch die geplante Einvernahmen der einzigen Zeugin der Entführung und deren Mutter, die "nicht nachvollzogen werden können."Kurt Spitzer verteidigt seine Vorgehensweise: "Im Fall des Amtsmissbrauchsverdachts konnten die Zeugin und ihre Mutter nichts beitragen."

Die beiden Damen wurden dennoch in Innsbruck einvernommen. Fazit: Die Zeugin hat zum insgesamt siebenten Mal vor Behörden angegeben, dass sie ein­deutig zwei Entführer gesehen und immer nur von zwei Entführern gesprochen habe. Die Staatsanwaltschaft hat ihr dennoch nie glauben wollen. Warum auch immer.

Komplexe Causa: Ankläger im Fokus

Auf Betreiben von Ex-Höchstrichter Johann Rzeszut wurde Ende 2010 ein Verfahren gegen fünf in den Fall Kampusch involvierte Staatsanwälte eingeleitet. In Österreich gehört alle Ermittlungsgewalt der Staatsanwaltschaft, in diesem Fall jedoch wurde ein unabhängiger Richter mit den Befragungen betraut.

Wenn Staatsanwälte über Anklage oder Nicht-Anklage von Staatsanwälten zu befinden haben, könnte der Eindruck entstehen, es sei von vornherein klar, dass keine Anklage erhoben wird. Entscheiden freilich durfte Richter Georg Putz nichts. Seine Erkenntnisse wurden von der Staatsanwaltschaft Innsbruck bewertet.

Ein Vorhabensbericht erging an das Justizministerium. Dort wurde im November 2011 bestätigt: Keine Anklage gegen die Ankläger. Dann beschäftigte sich ein Unterausschuss im Parlament mit der Causa. Fazit: Der Fall Kampusch wird neu aufgerollt.

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