Fall Kampusch: Selbstmord mit Fragezeichen

Fall Kampusch: Selbstmord mit Fragezeichen
Abschiedsbrief und Testament werfen ein seltsames Licht auf die offizielle Version zum Tod des Chefermittlers Franz Kröll.

Selbstmord. Die offizielle Version zum Tod des Franz Kröll, Chefermittler im Fall Natascha Kampusch. Das Motiv konnte nie ermittelt werden. Doch ist der hochdekorierte Kriminalbeamte, der bis zuletzt von der Mehrtätertheorie überzeugt war, tatsächlich freiwillig aus dem Leben geschieden? Eine Analyse von Unterlagen, die dem KURIER vorliegen, lässt die Selbstmordversion zumindest hinterfragenswert erscheinen.

27. Juni 2010, kein halbes Jahr nach dem offiziellen Ende im rätselhaften Entführungsfall Kampusch. Polizeioberst Kröll wird tot auf seinem Balkon in seiner Grazer Wohnung aufgefunden. Suizid durch Erschießen. So steht es im Bericht über die „Leichenkommissionierung“, die am 27. Juni von 12.30 bis 14.00 Uhr stattfand.

Keine Obduktion

Die Experten durchsuchen also eineinhalb Stunden lang die kleine Wohnung im großen Wohnbau – vor allem auch nach möglichen Abschiedsbriefen. Der Tote liegt auf dem Balkon, daneben die Waffe, eine Walther PKK, Kaliber 7,65 mm. Im Bericht werden Details schriftlich und bildlich festgehalten, von Zigarettenstummeln bis zur Kleidung und Zustand der Leiche. Conclusio: Nichts gestohlen, nichts durchwühlt. Und: „Ein Abschiedsbrief oder Testament wurden in der Wohnung nicht aufgefunden.“

Viele Fragen

Eine Obduktion wird dennoch nicht angeordnet. Die Leiche wird in Windeseile freigegeben. Dabei hätte eine Obduktion gerade in diesem Fall durchaus Sinn ergeben, wie folgende Punkte verdeutlichen.

Am Tag nach der ersten Kommissionierung erfolgt eine weitere. Und siehe da – plötzlich offenbart sich den Beamten ein ungeöffneter Wandtresor im Schlafzimmer. Darin enthalten – ein Abschiedsbrief und ein Testament. Doch wie konnte dies beim ersten Mal übersehen werden, zumal es sich beim Toten um den Chefermittler in einem der brisantesten Fälle der österreichischen Kriminalgeschichte handelte?

Oder waren die Dokumente am ersten Tag vielleicht noch gar nicht in der Wohnung, hat sie also jemand nachträglich dort platziert, um genauere Fragen nach den Umständen des Todes zu verhindern?

Seltsame Dokumente

Fall Kampusch: Selbstmord mit Fragezeichen

Es kommt noch besser: Auf den Papieren, die urplötzlich im (wohlgemerkt) unverschlossenen Tresor gefunden wurden, ist der Code 0610 dokumentiert – jener Code, mit dem man den Tresor öffnen kann (siehe Faksimile). Warum sollte ein Mann einen Code für einen Tresor hinterlassen, wenn dieser Code auf einem Zettel im nicht verschlossenen Tresor liegt?

Akribisch

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Überdies hat der sonst so akribisch notierende Kröll nicht nur einen Freund, den er in seinem Nachlass mit einem Weingarten bedachte, falsch geschrieben, sondern es weist auch die Unterschrift des Toten auf dem Abschiedsbrief kaum Ähnlichkeit mit jener Signatur auf, wie sie Oberst Kröll noch wenige Monate vor seinem Tod setzte (siehe Faksimile).

Das heißt also: Abschiedsbrief und Testament tauchen erst nach der ersten eingehenden Untersuchung auf; die Unterschrift des Toten passt nicht im Entferntesten ins frühere Schriftbild; zudem finden sich im Polizeibericht teils nicht nachvollziehbare Angaben zu Schmauchspuren auf der Hand des Toten – Kröll war überdies Rechtshänder, soll sich laut Protokoll aber mit links erschossen haben (eine spätere Version lautete, er habe die kleine Waffe mit beiden Händen gehalten); es gab trotz all dieser offenen Fragen keine Obduktion, die Klarheit hätte schaffen können. Alles nur eine Häufung von Zufällen und Pannen?

Fest steht: Franz Kröll hat Ende 2009 festgehalten, man habe ihm nahegelegt, den Fall Kampusch bleiben zu lassen. Kurz danach wurde der Fall mit einem toten Einzeltäter eingestellt. Der unbequeme Kröll hat danach auf eigene Faust weiterermittelt, stieß auf Hinweise auf ein Netzwerk, wichtige Personen inklusive. Noch zehn Tage vor seinem Tod, erinnert sich sein Bruder Karl, sei Franz Kröll optimistisch gewesen, dass er den Fall noch lösen werde.

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