Fall Kampusch (nicht ganz) erledigt

Für die Justiz ist der Fall abgeschlossen: Es wurde alles ermittelt und nichts vertuscht, heißt es. Aber jetzt übernimmt die Politik.

Wieder einmal wird unter den Entführungsfall Natascha Kampusch ein Schlussstrich gezogen. Und wieder einmal kommt noch etwas nach. Am Donnerstag gaben Sektionschef Christian Pilnacek vom Justizministerium sowie die Behördenleiter der Oberstaatsanwaltschaft und Staatsanwaltschaft Innsbruck, Kurt Spitzer und Brigitte Loderbauer, bekannt: Das gegen fünf mit den Kampusch-Ermittlungen betrauten Staatsanwälte - darunter der Leitende Oberstaatsanwalt in Wien, Werner Pleischl - geführte Verfahren wegen Amtsmissbrauchs wird eingestellt. Laut Pilnacek hat man die hochrangigen Beschuldigten keineswegs "mit Samthandschuhen angefasst", doch gebe es "nicht den Funken eines Ermittlungsansatzes". Eine Staatsanwältin habe in 1000 Arbeitsstunden mit "Detailverliebtheit" alle Vorwürfe ausgeräumt.

Erhoben hatte sie der pensionierte Präsident des Obersten Gerichtshofes, Johann Rzeszut, als Mitglied der vom pensionierten Verfassungsgerichtshofspräsidenten Ludwig Adamovich geleiteten Kampusch-Evaluierungskommission. Deren neuerliche Überprüfung der Ermittlungen im Entführungsfall war in den Augen von Oberstaatsanwalt Spitzer übrigens "gar nicht indiziert", also unnötig. Rzeszut wurde von einem Ermittlungsrichter 48 Stunden vernommen, "konnte seine Behauptungen aber nicht untermauern", meint Spitzer. Weder was die Überzeugung anbelangt, Kampusch-Entführer Wolfgang Priklopil habe Helfer gehabt, noch was die in den Raum gestellte Vertuschung betrifft.

Zu der damals 12-jährigen Augenzeugin, die zwei Entführer gesehen haben will, heißt es: Man könne eine Vermischung von Realität und Fantasie nicht ausschließen. Und zu den Spuren: Man habe am Tatort mit Ausnahme eines fremden Fingerabdrucks auf einem im Baumarkt gekauften Möbelstück ausschließlich DNA von der gefangen gehaltenen Natascha Kampusch und Priklopil gefunden. Für den Hauptverdächtigen, Oberstaatsanwalt Werner Pleischl, ist die Einstellung des Verfahrens eine "Genugtuung". Bei der Bevölkerung Ängste zu schüren, man würde Hinweisen auf Kindesmissbrauch nicht nachgehen, findet er "empörend. "Ich bin Vater und Großvater und kenne die Angst, wenn ein Kind zehn Minuten zu spät von der Schule kommt." Natascha Kampusch lässt über ihren Anwalt Gerald Ganzger ausrichten, sie habe keine Kenntnis von Mittätern. Sie hoffe, dass das nun auch jene erkennen, die das neue Verfahren in Gang gebracht haben.

Eine trügerische Hoffnung. Rzeszut hat bereits im Vorfeld der ihm „unverständlichen“ Entscheidung, für die es „keine sachgerechte Begründung“ geben könne, verkündet: „Was soll das sonst sein als Amtsmissbrauch?“ Der Fall ist für ihn „noch nicht beendet“. Auch für Adamovich ist „das Verbrechen nicht geklärt“: „Wenn ein Verfahren eingestellt wird, heißt das nicht, dass alles geklärt ist.“ Beide glauben weiterhin an die Zwei-Täter-Theorie. Justizministerin Beatrix Karl lässt die Entscheidung ihrer Anklagebehörde noch vom unabhängigen Rechtsschutzbeauftragten Gottfried Strasser untersuchen. Wenn auch er, wie Polizei, Bundeskriminalamt, SOKO und diverse Staatsanwaltschaften, keinen Anhaltspunkt für Mittäter findet, seien die Ermittlungen endgültig abgeschlossen. Oder auch nicht: Denn jetzt interessiert man sich im Parlament für den Akt.

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