Kirche kritisiert Integrationspolitik

"Im Stich gelassen": Rainald Tippow, Flüchtlingsbeauftragter der Kirche
1100 Flüchtlinge wurden in einem Jahr in Einrichtungen der Erzdiözese Wien aufgenommen. Defizite bei Jobsuche und Sprachkursen in Ländern.

Dass engagierte Flüchtlingsarbeit zu Erfolgen in der Integrationsarbeit führt, zeigen die mit gestern, Mittwoch, einjährigen Maßnahmen der Erzdiözese Wien. Seit Mitte September des Vorjahrs betreuen 250 Pfarren in Wien und Teilen von Niederösterreich 1100 Flüchtlinge.

"Unsere Helfer werden von Verwaltung und Politik im Stich gelassen."

(Reinald Tippow, Flüchtlingsbeauftragter der Kirche)

Kirchen-Manager Rainald Tippow wurde als Flüchtlingskoordinator eingesetzt. Er hatte damals auch das Format, heftige Kritik in den eigenen Reihen zu üben: "Es gibt Pfarren, denen man das Evangelium im christlichen Zusammenhang buchstabieren muss. Auch Klöster haben Luft nach oben." Kurz zuvor sprach Kardinal Christoph Schönborn ein seltenes Machtwort: "1000 Flüchtlinge sollen in der Erzdiözese Obdach finden."

Scharfe Kritik

Die Bilanz dieser von "oben vorgegebenen" Marschrichtung wurde am Mittwoch präsentiert. Dabei übte die römisch-katholische Kirche scharfe Kritik an Institutionen wie dem AMS, Sprachkurs-Anbietern und der für Integrationsfragen zuständigen Politik. Aber auch Teilen der Bevölkerung wurde der Spiegel vorgehalten.

Kirche kritisiert Integrationspolitik
ABD0253_20150905 - NICKELSDORF - ÖSTERREICH: ZU APA0233 VOM 5.9.2015 - Kardinal Christoph Schönborn im Gespräch mit Flüchtlngen im Rahmen eines Besuchs einer Sammelstelle für Flüchtlinge am Samstag, 5. September 2015, vor der Nova Rock Halle in Nickelsdorf. - FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER
Das Modell der Kirche zur Betreuung der Asylwerber unterscheidet sich grundlegend von dem der Länder. Freiwillige in den 250 Pfarren kümmerten sich intensiv und ehrenamtlich um ihre Schützlinge. Zum Teil gab es pro Flüchtling sogar eine eigene Betreuungsperson (Amtsbegleitung, Arzt-, Kindergarten-, Schul- und Deutschkurs-Besuche, Job- und Ausbildungsplatz-Suche). Fazit von Flüchtlingshelfer Tippow: "Unsere Freiwilligen, die oft gar nicht sehr religiös sind, wurden von Verwaltung und Politik im Stich gelassen." Der Kirchen-Manager listet Beispiele aus der Praxis des vergangenen Jahres auf:
  • Eintritt ins Berufsleben: Die Kirche konnte für viele der 1100 betreuten Flüchtlinge Jobs organisieren– mit Arbeiten, die von den Betroffenen großteils schon in ihrer Heimat ausgeübt wurden. Das AMS verweigerte aber den Arbeitsantritt, weil Detail-Ausbildungen wie Punktschweißen fehlten. Ein Coaching am Arbeitsplatz würde hier laut Tippow meist schon reichen.
  • Deutschkurse: Die Suche der Helfer nach passenden Deutschkursen wurde oft zur Farce. So sind Fortgeschrittenen-Kurse Mangelware. Flüchtlinge mussten, anstatt weiter zu lernen, wiederholt Anfänger-Kurse besuchen. Auch die Qualität der privaten Sprachkurs-Anbieter ließe zu wünschen übrig, so Tippow. Diese Anbieter müssten von den Landesregierungen überprüft werden.
  • Planlose Politik: Die Zivilgesellschaft steht einer oft verängstigten und planlosen Politik gegenüber. Rainald Tippow: "Asylwerber und Flüchtlinge baden jetzt die Versäumnisse der Integrationspolitik der letzten Jahrzehnte aus."
  • Fremdenfeindlichkeit: Eine starke Polarisierung in der Flüchtlings-Debatte habe die Helfer unter Druck gesetzt. Der Riss gehe sogar durch Familien und ehemalige Freundeskreise.

Facebook-Attacke

Ein trauriges Beispiel zeigt die Verbissenheit beim Thema Integration: Eine Lehrerin betreut mehrere Asylwerber (Name und Ort müssen anonym bleiben). Auf Facebook wurde sie dafür wochenlang mit Porno-Bildern attackiert. Die Frau gab trotzdem nicht auf und hilft weiter.

Kirche kritisiert Integrationspolitik
ABD0021_20150913 - Asylbewerber Souleyman Cisse aus dem Senegal übt am 08.09.2015 in Ebersberg bei München (Bayern) seine neuen Aufgaben als Schülerlotse. Cisse ist Asylbewerber aus einem sogenannten sicheren Herkunftsland und darf deshalb keine reguläre Tätigkeit außer einem Ein-Euro-Job ausüben. Foto: Andreas Gebert/dpa (zu dpa-KORR "Flüchtlinge helfen Kindern: Schülerlotsen aus dem Senegal" vom 13.09.2015) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Die Helfer der Erzdiözese Wien haben und hatten jedoch auch eine weitere Aufgabe. So muss Wirtschaftsflüchtlingen, die keine Chance auf Asyl haben, ganz klar erklärt werden, dass sie Österreich wieder verlassen müssen.

Tippow ergänzt: "Es gibt auch eine große Gruppe geflüchteter Menschen, die wegen ihrer nicht vorhandenen Bildung am Arbeitsmarkt kaum vermittelbar sind. Hier sind jahrelange Bildungsmaßnahmen nötig. Lassen wir diese Menschen in ihren Unterkünften sitzen, dann bekommen wir eine ganze Reihe Probleme."

Detail am Rande: 140 muslimische Asylwerber in kirchlicher Betreuung wollen sich taufen lassen. Die Vorbereitung dafür dauert ein Jahr.

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