Kriminalität: Ein pannonisches Paradoxon

Nur wenige Fahrminuten trennen Kittsee von slowakischer Grenze
Das Burgenland ist das sicherste Bundesland, das subjektive Sicherheitsgefühl spiegelt das nicht wider.

Das Burgenland ist sicher! Sicher? In keinem anderen Bundesland gibt es seit Jahren so wenige Anzeigen und so viele Polizisten pro Einwohner. Bei einem Bevölkerungsanteil von 3,4 Prozent werden im jüngsten Bundesland nur rund 1,6 Prozent der bundesweiten Straftaten verübt. Vier Prozent aller Polizisten Österreichs versehen im Land der Dörfer ihren Dienst. Zu den 1500 Uniformierten kommen demnächst weitere 99 hinzu, sie werden speziell für den Dienst an der Grenze ausgebildet. Ein Polizist beschützt rund 190 Burgenländer – sicherer geht’s nimmer.

Dennoch war das subjektive Sicherheitsgefühl der Burgenländer jahrelang im Keller, sogar die Wiener fühlten sich sicherer. 2013 gab das Burgenland die rote Laterne ab, was den damaligen Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil hörbar aufatmen ließ – im untersten Drittel dürfte das Land nach Einschätzung namhafter Kriminalisten aber weiter feststecken.

Tiefe Kluft

Wer dieses pannonische Paradoxon verstehen will, muss sich einer Grenzerfahrung stellen. Nur wenige Kilometer trennen das nordburgenländische Kittsee mit 3000 Einwohnern und zwölf Polizisten von der slowakischen Grenze. Bratislava liegt in Sichtweite.

Das Geschäft von Juwelier Gerald Strass wurde vor drei Jahren überfallen, in der Bank nebenan haben Kriminelle zwei Mal zugeschlagen. Die Täter flüchteten stets über die nahe Grenze. „Man hat oft ein ungutes Gefühl, weil sich viele Ausländer im Ort herumtreiben“, sagt Strass. „Das Sicherheitsgefühl ist massiv gestört“, ergänzt eine aufgebrachte Hausfrau. Mindestens einmal pro Woche werde eingebrochen oder etwas gestohlen, oft Fahrräder.

Landeshauptmann Hans Niessl forderte vor der Landtagswahl im vergangenen Frühjahr Videokameras für Kittsee, weil 2014 insgesamt 122 Einbrüche registriert worden seien. Kameras gibt es keine, stattdessen ist Kittsee eine von neun Gemeinden, in denen die rot-blaue Regierung „Sicherheitspartner“ patrouillieren lassen will (siehe unten).

Dass die Grenzgemeinde stärker belastet sei als andere Kommunen dieser Größenordnung, wird in der Landespolizeidirektion eingeräumt, aber die Kriminalität sinke auch hier. Die endgültige Statistik für 2015 wird erst Mitte März präsentiert, aber polizeiinterne Aufzeichnungen lassen bei Diebstählen und Einbrüchen einen Rückgang erwarten. Bei letzteren rechnet Kripo-Chef Ernst Schuch mit einem Minus bis zu 50 Prozent.

1989 als Einschnitt

Und landesweit? Nach einem satten Minus von 8,3 Prozent im Jahr 2014 ist die Kriminalität im Vorjahr wieder auf rund 10.000 Delikte angestiegen (im nächstgrößeren Vorarlberg sind es doppelt so viele Delikte). Geschuldet ist das Plus im Burgenland einer schlagartigen Zunahme der Schlepperkriminalität, die mittlerweile aber wieder auf durchschnittlich kleiner Flamme kocht. Um diesen „Einmaleffekt“ bereinigt ergäbe sich auch für 2015 ein Rückgang zwischen fünf und sechs Prozent.

Beruhigen wird das die meisten Burgenländer mitnichten, denn: Die unmittelbare Grenznähe und ortsfremde Personen in der Gemeinde beeinträchtigen das subjektive Sicherheitsgefühl am stärksten. Das ist eine zentrale Aussage der aufs Burgenland bezogenen Studie „Subjektive Sicherheit bei Einbruchskriminalität“, die im Vorjahr in Zusammenarbeit mit dem Kuratorium für Verkehrssicherheit entstanden ist.

Was man wissen muss: Mehr oder weniger in Grenznähe liegt im lang gestreckten und schmalen Burgenland fast jede Gemeinde und seit der Grenzöffnung 1989 gehören ortsfremde Personen zum Alltag.

Kriminalität: Ein pannonisches Paradoxon
Kittsee Sicherheit
Der Fall des Eisernen Vorhangs sei denn auch da und dort als Ende eines Idylls empfunden worden, analysiert der renommierte Historiker Gerald Schlag. Dass innerhalb kurzer Zeit das über Jahrzehnte tradierte Lebensgefühl in den Dörfern, wo man die Haustür offen und den Autoschlüssel stecken lassen konnte, nachhaltig erschüttert wurde, wirke emotional nach – vor allem bei Älteren. Der 21-jährige Assistenzeinsatz des Bundesheeres habe dieses Unbehagen besänftigt, der Flüchtlingszustrom im Vorjahr wohl wieder angefacht. Auch wenn sich die Zahl der kriminell Auffälligen im Promillebereich bewege, vermische sich im Gemüt mancher Landsleute eben alles. Schlag: „Man lebt nicht nur von Vernunft allein“. Und das Gefühl der Unsicherheit „mindert die Lebensqualität“. Schlag weiß, wovon er spricht, auch in sein Haus nahe Eisenstadt wurde zwei Mal eingebrochen.

Zurück nach Kittsee, wo Walter Rinalda mit seinen Freunden am Stammtisch räsoniert. Assistenzeinsatz, Sicherheitspartner oder Überwachungskameras würden nicht viel bringen. „Die neuen Sicherheitskräfte sind wahrscheinlich Pensionisten, die sich selber fürchten“, ätzt Rinalda. „Alles sorgfältig zusperren und Alarmanlagen installieren“, lautet Rinaldas Rezept.

Während sich viele in Kittsee für die Schließung der Grenzen aussprechen, winkt Rinalda ab. „Das hatten wir ja schon. Seien wir froh, dass diese Zeit vorbei ist“.

Mit den von Rot-Blau Anfang des Jahres angekündigten „Sicherheitspartnern“ wird ein neuer Versuch gestartet, das „subjektive Sicherheitsgefühl“ der Bevölkerung zu stärken. In zunächst neun Gemeinden sollen ab Herbst eigens ausgebildete Sicherheitsleute patrouillieren.

Ob es sich dabei um umgeschulte ältere Arbeitslose oder Mitarbeiter privater Sicherheitsfirmen handelt, steht derzeit ebenso wenig fest wie das exakte Jobprofil, das erst mit wissenschaftlicher Begleitung erarbeitet werden soll.

Die Aufgabenpalette reicht von der Schulwegsicherung über die Nachschau in urlaubsbedingt leer stehenden Häusern bis zum Registrieren und Fotografieren verdächtiger Fahrzeuge im Ort. Der zuständige FPÖ-Vizelandeshauptmann Johann Tschürtz hat aber schon versichert, die Sicherheitspartner würden „keine Ersatzpolizei“ und unbewaffnet sein. Die Polizei wird auf deren Ersuchen hin eingebunden. Unabhängig davon plant die Exekutive ein eigenes ähnliches Projekt, Pilotgemeinde im Burgenland dürfte Eisenstadt werden.

Auch ohne FPÖ war die SPÖ in Sachen Sicherheit schon sehr umtriebig. 2009 wurde auf Initiative von Landeshauptmann Hans Niessl der Verein Nachbarschaftshilfe gegründet, 890.000 Euro wurden in diverse Projekte gesteckt. Den Verein gibt es noch, die Aktivitäten sind aber mittlerweile sehr gedrosselt.

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