Asylverfahren: "Alterslüge" kostet drei Millionen Euro

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Fast eintausend angeblich minderjährige Flüchtlinge schwindelten bei der Altersangabe.

18 – das ist die magische Zahl im Asylverfahren. An ihr entscheidet sich, ob Flüchtlinge in Massenquartieren oder Wohngruppen untergebracht werden, ob sie ihre Familie nach Österreich holen dürfen, und welche Bildungschancen sie haben. Für Minderjährige gelten nämlich besondere Bestimmungen. Grund genug für immer mehr Flüchtlinge, beim Alter zu schummeln.

Bei 2252 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen hatte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Vorjahr den begründeten Verdacht, dass ihre Altersangaben erfunden sind. In 41 Prozent der Fälle bestätigte sich das. Bei den durchgeführten Tests wurden laut Innenministerium 919 Personen als volljährig eingestuft. 2015 waren es noch 832. Das Problem: Die "Alterslüge" kommt den Staat richtig teuer. Jedes Gutachten kostet rund 870 Euro. Alleine für 2016 bedeutet das Kosten von etwa 2,9 Millionen Euro, wie sich aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage des Team Stronach ergibt.

Polizeigewerkschafter werfen der Regierung Untätigkeit vor. Bereits im Vorjahr wurden die Missstände im Kabinett des Innenministers sowie beim zuständigen Landesrat in NÖ deponiert. Damals gab es aber noch die Erwartung, dass mit dem Rückgang der Asylanträge sich das Problem ohnedies in Luft auflöse. Offenbar eine Fehleinschätzung. Denn in Traiskirchen zeige sich noch immer das selbe Bild. "Männer, die augenscheinlich viel zu alt sind, versuchen, als Minderjährige ins System zu kommen", berichtet ein Beamter. Nicht selten würden sich Flüchtlinge, die den 25er bereits überschritten haben, als Minderjährige ausgeben. "Bei augenscheinlichen Fällen könnte man sich die teure Altersfeststellung sparen und stattdessen einen Amtsarzt entscheiden lassen", fordert der oberste FSG-Polizei-Personalvertreter in NÖ, Martin Noschiel.

Asylverfahren: "Alterslüge" kostet drei Millionen Euro
Grafik, Foto: APA

Vorteile für Junge

Es habe sich herumgesprochen, dass Jugendliche bevorzugt behandelt werden. Aus Sicht der Flüchtlinge ist der Versuch, sich jünger zu machen, nachvollziehbar. Minderjährige werden etwa nicht in jene Länder zurückgeschoben, in denen sie erstmals in die EU einreisten. Zudem können die Eltern rasch nachgeholt werden.

Im Innenministerium verweist man darauf, dass die Altersfeststellungen gesetzlich verankert sind (siehe Zusatzbericht). Notwendig sind mehrere medizinische Untersuchungen. "Es ist klar, dass entsprechende Gutachten im Asylverfahren vorausgesetzt sind", sagt Sprecher Karl-Heinz Grundböck. Die Volljährigkeit müsse rechtsstaatlich abgesichert sein. Und Rechtsstaatlichkeit koste eben Geld.

Konsequenzen für das Asylverfahren hat die "Alterslüge" keine. "Es gibt keine automatischen Rechtsfolgen", bestätigt Grundböck. "Die allgemeine Glaubwürdigkeit wird aber nicht gestärkt." Allerdings drohen nun bis zu 5000 Euro Strafe, wenn man durch falsche Angaben zu einem Aufenthaltstitel kommt.

"Strafen werden in den Verfahren einiges verkomplizieren", meint hingegen Anny Knapp, Obfrau des Vereins Asylkoordination. Sie glaubt, dass man mit Beratungen mehr erreichen kann. Generell sei die Anzahl jener, die "eindeutig volljährig" seien, nicht groß, widerspricht sie der Polizei. Vielmehr berichtet sie von Fällen, bei denen Jugendliche angeben, 15 zu sein, ihnen aber nicht geglaubt werde. Das teure Gutachten ergebe dann ein Alter von 16. "Viele werden zur Altersfeststellung geschickt, obwohl klar ist, dass sie noch minderjährig sind."Andere Experten kritisieren, dass die Verfahren zum Standardfall verkommen seien, obwohl sie das letzte Mittel sein sollten. Jeder, der aussehe wie 16, werde getestet. Zudem sei eine präzise Altersangabe auch mit Gutachten nicht möglich. Und auch wenn jemand über 18 sei, betont Knapp, "ist er ja nicht schlagartig selbstständig". Sie fordert deshalb auch eine psychologische Beurteilung der Betroffenen.

Im Vorjahr haben insgesamt 42.285 Menschen in Österreich um Asyl angesucht. 3900 Anträge wurden von unbegleiteten Minderjährigen gestellt. Bei 2252 Asylverfahren hatten die Asylbeamten Zweifel an den Angaben der jungen Flüchtlinge, 919 wurden untersucht und für volljährig erklärt. 285 Anträge wurden von jungen Afghanen unter 14 Jahren gestellt – die mit Abstand größte Gruppe. Auch bei den 14- bis 18-Jährigen lagen Afghanen mit 2161 Anträgen ganz vorne, gefolgt von jungen Pakistani (309). Unbegleitete minderjährige Syrer kamen im Vorjahr 130 nach Österreich.

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Bestehen Zweifel am Alter des Asylwerbers, und gibt es keine Unterlagen, die sein Geburtsdatum belegen könne, kann das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eine "multifaktorielle Altersfeststellung" anordnen. Das Verfahren basiert auf den Richtlinien der Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin und umfasst mehrere medizinische Untersuchungen.

So gibt es eine allgemeinmedizinische Untersuchung, bei der die Entwicklung wie Körperbau, Behaarung oder sekundäre Geschlechtsmerkmale beurteilt werden. Da etwa Unterernährung die körperliche Entwicklung verlangsamen kann, dient diese Untersuchung nur als Grundlage. Auch der Zahnstatus des betroffenen Asylwerbers wird untersucht. Mit einem Handwurzelröntgen soll festgestellt werden, ob die Wachstumsfugen schon geschlossen sind. Laut Anny Knapp, Obfrau des Vereins Asylkoordination, gilt dies ab einem Alter von 15 Jahren als wahrscheinlich. Gibt es am Ergebnis Zweifel, wird eine Computertomografie des Schlüsselbeins angeordnet.

An dem Verfahren gibt es jedoch immer wieder Kritik. Etwa daran, dass Menschen mit Röntgenstrahlen belastet werden, bei denen dies medizinisch gar nicht notwendig ist. Auch der massive Eingriff in die Privatsphäre wird kritisiert. Laut Insidern würde sogar eine Intimrasur als Hinweis auf Geschlechtsreife und damit auf höheres Alter gewertet werden. Zuletzt hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass ein Asylwerber, der im Zuge der Altersdiagnostik als volljährig eingestuft wurde, noch minderjährig war.

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