Revolutiönchen im Casting-Dschungel

Revolutiönchen im Casting-Dschungel
Bei "The Voice of Germany" wollen nicht nur die Talente, sondern auch die Coaches gewinnen. Schleimige Zuneigungsbekundungen sind da keine Seltenheit.

Revolutionen finden wo anders statt - in Ägypten oder Libyen, aber nicht im Fernsehen. Nun mag die als "revolutionär" angekündigte ProSieben/Sat.1-Show zwar durchaus neue Elemente einbinden, aber am Ende bleibt es dann doch eine Castingshow. Diese wurde am Donnerstagabend zum ersten Mal auf ProSieben ausgestrahlt, heute (Freitag) geht es auf Sat.1 in die zweite Runde. Warum "The Voice of Germany" auf zwei Sender aufgeteilt wird, wissen wohl nur die findigen Programmchefs.

Und worum geht's?

Damit die Menschen vor den Flachbildschirmen auch eine Vorstellung haben, wie sich so eine Top-Performance anhören soll, singt die Jury zu Beginn den Bowie-Song "Helden/Heroes". Da "rockt" die immerjunge wie faltenfreie Nena breitbeinig neben dem selbsternannten Soulmusiker Xavier Naidoo, und macht sich der "Westentaschen-Bono für den deutschen Markt", Rea Garvey (Reamonn), mit The BossHoss zum Helden - "just for one day". Bitte wer? The BossHoss?! Noch nie gehört.

Aber Vorsicht! Diese Jury ist nämlich gar keine Jury - zumindest keine typische. Vielmehr agieren sie als Coaches, die die Talente mit ihrer Erfahrung weiterbringen sollen. Und da wirklich nur die Stimme gefördert werden soll, singen die Kandidaten den Rücken von Nena und Co an. Ist dann ein Coach vom Dargebotenen überzeugt, drückt er den "Buzzer", also den "Not-Aus-Knopf" und der Sessel dreht sich. Erst dann bekommt er seinen Auserwählten zu Gesicht. Drehen sich gleich mehrere Coaches um, entscheidet der Teilnehmer, welchem Team er angehören möchte. So weit, so "revolutionär".

Dieses Show-Konzept fördert natürlich gegenseitige Liebesbekundungen. Vor allem die Coaches, die ja um die Talente werben müssen, sparen im Falle einer Zuneigung nicht mit Schleimereien, Gefühlsausbrüchen wie "Wow!", "Yeah!" und Ansagen wie "Du siehst Hammer aus!" (Nena) oder "Ich will dich!" (Rea Garvey). Denn bei "The Voice of Germany" wollen nicht nur die Talente, sondern auch die Coaches gewinnen: "Als Coach will ich unbedingt gewinnen", sagt Rea Garvey.

Tränen und Freude

Revolutiönchen im Casting-Dschungel

Nach der Wahl des Coaches werden die Castingshowteilnehmer mit der Kamera von der Bühne und in den Backstagebereich begleitet. Dort warten dann Freunde, Familienmitglieder, die im Falle eines Weiterkommens ihren Liebling in die Arme nehmen und abschmusen. Bei einer Niederlage - also dann, wenn kein Coach den "Buzzer" betätigt und sich umdreht - werden Tränen zerdrückt. Schön, denn was wäre eine Castingshow ohne Leid und Ablehnung. Und so wird auch bei "The Voice Of Germany" ordentlich geweint. Hin und wieder ist man auch beleidigt und versteht die Welt nicht mehr. Diese tragischen Ereignisse werden natürlich mit gefühlsverstärkender Musik unterlegt. Und was wären Momente des Glücks und der Niederlage ohne Zeitlupe? Eben, nur zirka halb so lang. This is hardcore!

Den Leuten im Studio dürfte es gefallen haben. Eine Frage, liebe Produktionsfirma von "The Voice of Germany": Woher bekommen Sie so ein begeisterungsfähiges Publikum? Wird das etwa dafür bezahlt, dass es bereits nach zwei Takten aufspringt, mitkreischt und am Ende unaufhörlich jubelt?!

Die Sendung wird dann bis fast 23.00 Uhr mit Werbung, Wiederholungen von den Entscheidungen und Interviews mit den vier Juroren - Pardon! - Coaches nach der Sendung aufgebläht. Aber was soll's, in der Zeit dazwischen kann man ja zu Bohlen und Co rüberzappen und sich "Das Supertalent" geben. Es lebe die Alternative zur Fernseh-Primetime….

Ach ja, Österreicherinnen mischen bei der Show übrigens auch mit. Zum einen Doris Golpashin, die die Backstage-Interviews führt (zu sehen war sie am Donnerstag aber nicht). Zum anderen die heimische Sängerin Vera Luttenberger alias Charlee, die es als Teilnehmerin geschafft hat und nun im Team von The BossHoss ist. Das ist ja irgendwie bezeichnend für viele andere, gescheiterte Nachwuchskünstler: Wenn es mit dem Durchbruch nicht so hinhauen will, dann hat man ja noch die unzähligen Castingshows. Irgendwann klappt es schon mit dem Erfolg. Ganz sicher. Und dann ist man ein Held - "just for one show".

Quote: "The Voice of Germany" hat in Deutschland am Donnerstag mit drei Millionen Zusehern unter 49 Jahren "Das Supertalent" auf RTL überflügelt. In Österreich sahen beim Auftakt 197.000 zu.

Nächste Sendung: "The Voice of Germany" - Freitag, 25. November, 20.15 Uhr auf Sat.1

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