Markantes Sex-Signal mit langer Geschichte

Markantes Sex-Signal mit langer Geschichte
Der Hintern wird nicht als klassisches "Geschlechtsorgan" betrachtet. Die Kulturgeschichte des Arsches ist lang – und birgt so manche Hintern-List.

Sexuelle Belästigung oder doch nur ein verzeihlicher Fehlgriff im Sinne der „Anstandsverletzung“?
Aufgrund des Urteils eines Grazer Gerichts vergangene Woche kommt der Verdacht auf: Wer anderen auf den Hintern greift, braucht sich vor den Folgen nicht zu fürchten. Das Verfahren gegen einen „Pograpscher“ wurde eingestellt – mit der Begründung, dass keine geschlechtliche Handlung stattgefunden hätte. Und weil der seitliche Griff an die Pobacke keine sexuelle Belästigung im klassischen Sinn darstelle. Interessante Interpretation. Demnach scheint der Hintern einer Frau also nichts anderes zu sein als beispielsweise deren Schulterpartie. Oder ein Arm. Erotisches Brachland, das mit Sex so gar nicht zu assoziieren sei.

Sexueller Stimulus

"Große Titten, großer Arsch, großer Rummel." Marilyn Monroe über ihre Karriere

Lachhaft. Der Allerwerteste gilt als markantes Sex-Signal mit einer langen Historie. Die Kulturwissenschaftlerin Ingelore Ebberfeld analysierte schon vor Jahren in einer Studie die ganze Bedeutung des Hintern-Gedankens: Das Sitzfleisch der Frauen ist „ein mächtiger sexueller Stimulus für den Mann“. Ein verlässlicher Begleiter auf der Einbahnstraße zur Geilheit.

Schon 1537 schrieb Eustorg de Beaulieu eine Ode an den Arsch: „... Popo, so hübsch gekerbt, so rund und fest, Ach
wie du deinen Partner beben lässt …“ Alfred Delvau stellte in seinem 1864 erschienenen Dictionnaire erotique fest, dass Frauen die Bewegung des Gesäßes bewusst einsetzen, um die Männer zu reizen. Ein afrikanisches Sprichwort sagt: „Der Po ist nicht das Ende, sondern der Anfang aller Dinge.“ Als „Tortilette“ galt „ein Dämchen, das beim Gehen mit dem Hintern wackelt“.

Hollywoods first Top-Hintern: J.Lo ließ ihn sogar versichern. Um kolportierte 27 Mio. Dollar

Womit wir auch schon beim Thema „Gesäßinszenierung“ (Ebberfeld) wären. Bei einer Marilyn Monroe. Einer Mae West. Einer Jane Mansfield. Einer Jennifer Lopez. Oder dem Beinahe-„Rear of the year“ (Arsch des Jahres) Pippa Middleton. Sie alle beherrsch(t)en die weibliche Hintern-List perfekt. „Po-Spezialist“ Jean-Luc Hennig (Der Hintern, Geschichte eines markanten Körperteils) fasst deren Wirkung schön zusammen: „Kurz, der Hintern bereitet Vergnügen. Seine Wölbung hat etwas Fröhliches.“ Und: „Augen und Hintern bergen ein Versprechen.“

Gerne wird das Gesäß mit weiblichen Brüsten verglichen. Hennig: „Wie die Brüste treten die Gesäß­backen unmittelbar auf und wirken dabei den Plattitüden des Körpers entgegen, um stolz zu demonstrieren, dass eine ohne die andere nicht existieren kann.“ So betrachtet, stehen Arsch und Brüste im direkten Konkurrenzverhältnis – wo schaut der Mann zuerst hin, wenn er einer Frau begegnet? Im angloamerikanischen Raum kursiert der Begriff des „Ass-Man“ und des „Boobs-Man“, im Internet wird dazu heftig diskutiert: Ass or Tits – zu welcher Gruppe gehörst du?

Pippa Middletons Po wurde 2011 für den „Arsch des Jahres“ nominiert. Sie verlor knapp

Eine Frage der Vorliebe. Und, naturgemäß, der Evolution: Ein runder, knackiger Hintern gilt als Zeichen genetischer Fitness. Wer so einen sein Eigen nennen kann, gilt als gebär­freudig und gesund.
Desmond Morris, Zoologe und Verhaltensforscher: „Das zusätzliche Fett des Frauenhinterns wird als ,Vorratskammer für den Notfall‘ beschrieben – ähnlich dem Höcker des Kamels – doch ganz gleich, ob das stimmt oder nicht, es ist jedenfalls geschlechtsspezifisch und daher automatisch ein weibliches Sexsignal.“

Ausrutscher

So ein schöner Prachtpopsch – samt all seinen vielen subtilen Versprechungen – mag natürlich zu einem unreflektierten Griff unter die Gürtellinie verleiten. Motto: Erlaubt ist, was gefällt.
Doch Morris vermerkte auch: „Wegen ihrer sexuellen Implikation sind Kontakte mit dem Gesäß ziemlich eingegrenzt. Außerhalb der Sphäre der Liebespaare kann man nur dann jemandem zum Zeichen der Freundschaft einen Klaps auf den Po geben, wenn nicht die Gefahr einer sexuellen Anspielung besteht.“

Eine Umarmung, ein Schulterklopfen – Berührungen können trösten und glücklich machen. Sie können aber auch verletzen, körperlich wie seelisch. Ab wann gilt eine Berührung als Übergriff?

Für Wolfgang Kostenwein, Leiter des Instituts für Sexualpädagogik in Wien, sind Übergriffe nicht objektivierbar: „Ein Übergriff ist eine subjektive Einschätzung, in der ich als Person meine persönliche Grenzen überschritten sehe. Das Problem ist hier, dass sich die Rechtsprechung auf etwas Objektivierbares beziehen muss.

Aus sexologischer Sicht ist es für die meisten Frauen ein klarer Übergriff, wenn ihnen ein Mann gegen ihren Willen auf den Po greift.“
Im Fall einer Grazerin argumentierte die zuständige Bezirksanwältin, dass das Gesäß nicht zu den primären Geschlechtsmerkmalen zählt und daher nicht als sexuelle Belästigung klagbar ist. Marion Gebhart, Leiterin der Frauenabteilung der Stadt Wien, versteht das nicht: „Aus unserer Sicht ist ein Klaps auf den Hintern eine eindeutige Grenzverletzung. Keine Frau muss sich das gefallen lassen.“

Machtverhältnis

Auch für den Sexualpädagogen ist das Gesäß kein neutraler Körperteil: „Der Hintern gehört zum sexuellen Anziehungscode.“ Kulturell
betrachtet sei der Griff auf den Allerwertesten einer Frau für ihn ein Symbol gesellschaftlicher Machtverhältnisse, bei der die intime Distanz überschritten wird. Psychologisch ist erwiesen, dass diese vom direkten körperlichen Kontakt bis zu einer Entfernung von 60 cm reicht. Bei zu viel Nähe weicht der Mensch automatisch zurück.

Betroffenen rät Marion Gebhart, sich verbal zu wehren: „Wenn ich den Täter direkt auf sein Handeln anspreche, erzeuge ich Aufmerksamkeit in der Umgebung, verschrecke ihn und beende die Situation.“ Ihrer Meinung nach müsste der Staat von sich aus tätig werden. Gebhart: „Die Taten anzuzeigen, kann helfen, dass sich die Rechtsprechung ändert.“

Sandra Lumetsberger

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