Bon Iver in Wien: Leid und Leidenschaft

Bon Iver in Wien: Leid und Leidenschaft
Der Künstler aus Wisconsin ist ein Held der Folk-Szene. Am Mittwochabend gab Iver in der ausverkauften Arena den Schmerzensmann.

Bei Bon Iver liegen Leid und Leidenschaft, Herz und Schmerz, Dur und Moll des Lebens ganz knapp beisammen. Beim Auftritt am Mittwochabend in der hoffnungslos ausverkauften Arena wurde dieser Gefühlsmix mit Opulenz angereichert. Wer für das Konzert regulär keine Karten mehr ergattern konnte, versuchte es am Konzertabend noch mit einem "Suche Karte"-Schild vor der Arena. Wer Glück hatte, konnte sich noch ein Ticket sichern. 60 Euro war das einigen wert. Für dieses Geld durften sie sich dann auch einiges erwarten, denn Bon Iver wird immerhin als Folk-Messias gehandelt, der mit seinen Songs zu Tränen rühren und dem Liebeskummer Nachdruck verleihen kann.

Dementsprechend gestaltet sich auch das Bühnenbild in der Wiener Arena: elektronische Kerzen flackern, Visuals brechen sich auf den abgehägten Baumwollfetzen und sorgen für eine warme, farbenfrohe Atmosphäre. In dieser steht Justin Vernon alias Bon Iver und heult mit seiner herausragenden Stimme den Vollmond an. Begleitet wird er von einer mehrköpfigen Rhythmuskapelle: Posaune, Trompete, Saxophon, Violine, Keyboards, Chöre und zwei(!) Schlagzeuge. Eines hätte auch genügt.

 

Den Anfang machten "Perth" und "Minnesota, WI" von seinem 2011 veröffentlichten, titellosen Zweitwerk. Zwei gute Songs, die einem behutsam auf das restliche Programm vorbereiteten. Schön, wie sich da die Gitarrenmelodie, der (mehrstimmige) Gesang hochschaukeln und am Ende in einem ausufernden Rhythmusgeflecht verlieren. Es ist das ewige Spiel vom Leisen ins Laute, vom Kleinen ins Große. Die Einsamkeit wirkt für den Moment nur halb so erdrückend wie sonst.

Mit "Skinny Love", ein Song aus dem Debütalbum "For Emma, For Ever Ago", der durch den Soundtrack zur Arztserie "Grey`s Anatomyzum Hit wurde, leitet Iver das gute Schlussdrittel ein. Das an Phil Collins erinnernde "Beth/Rest" ist ebenso im Programm wie "Calgary"und "Woods".

Der Grammy-Preisträger 2012 ("Best Alternative Album", "Best New Artist") punktet vor allem mit Authentizität und seinem "Zurück zum Ursprung"-Charme. Er gibt stets den sympathischen Antihelden mit Backenbart. Den Vocoder-Gesang bei zwei, drei Songs könnte er sich sparen. Stattdessen sollte er den Bariton öfters auspacken.

Durch die opulente Besetzung entfalten seine filigranen Songs oftmals nicht die emotionale Wucht. Schade. Das Publikum liegt dem US-Amerikaner ohnehin zu Füßen - oder ist mit Schmusen, Händchenhalten oder Seufzen beschäftigt. Laut Bon Iver ist das "fucking pretty good". Morgen kann die Welt aber schon wieder ganz anders aussehen: "so carry on my dear..."

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