ATV's Gemeindebau: "Kaum glaubwürdig"

ATV's Gemeindebau: "Kaum glaubwürdig"
Zwischen "Quasteln", "Eierschädln" und "Volltrotteln". Wir leben im Gemeindebau: Sozialporno oder lebensnahe Reportage?

Die Negativ-Klischees rund um die Wiener Gemeindewohnungen sind dank ATV um eine Facette reicher. Wer in der Doku-Soap "Wir leben im Gemeindebau" vorkommt, darf vor allem eines: Ungefiltert und unkommentiert reden und zeigen, was er will. Einmal mehr wird dabei in den unteren gesellschaftlichen Schichten gefischt, allerdings nicht mit den Stilmitteln einer Sozialreportage, sondern eben als "Soap" mit bereitwilligen Exhibitionisten als fragwürdigen Selbstdarstellern. Kritik daran kommt aus der Wissenschaft.

Wer sich die Sendung anschaut, braucht zumindest eine dicke Haut, um nicht permanent Anstoß an dem zu nehmen, was hier vorgeführt wird. Die Protagonisten reden unkommentiert von "Negern" und von "frustrierten Weibern", ohne dass jemals ein journalistischer Eingriff sichtbar wird, der das Gesagte in einen größeren - sinnstiftenden - Kontext stellt. Der Wiener Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell bezeichnet die Sendung gar als "eine ziemliche Denunzierung des Gemeindebaus", wie er zur APA sagte.

Der Wissenschafter hegt "den schweren Verdacht, dass die Macher ganz gezielt darauf setzen, dass sie es mit Typen zu tun haben, die diese Gelegenheit nutzen, um ein Bild von sich zu präsentieren, dass zum Teil zwar reale Züge hat, aber nicht dem üblichen Alltag entspricht". Im Gegensatz zu einer Sozialreportage werde hier nicht darauf geachtet, dass die Gezeigten sich nicht einfach vor der Kamera produzieren, weil eben "das Fernsehen da ist". Hausjell: "Bei einer gut gemachten Reportage schaue ich mir diese Milieus zunächst ausführlich ohne Kamera an, um festzustellen, wie die Situation realistisch aussieht. Erst dann komme ich mit der Kamera, um das Ausmaß der Selbstinszenierung möglichst gering zu halten."

Maxl und Küh - Schimpforgien für 15 Minuten Ruhm?

Bei der ATV-Sendung wurde darauf offensichtlich wenig Bedacht genommen. Sichtbar wird dies in Szenen wie jener, die zwei Burschen zeigt, wie sie eine Party vorbereiten und gleichzeitig versuchen, einen Schrank aufzustellen. In "Wir leben im Gemeindebau" artet das in einer wahren Schimpforgie aus, die auch für Hartgesottene kaum glaubwürdig ist. Hausjell hält die Tiraden für wenig authentisch: "Das hat damit zu tun, dass die beiden einfach eine gute Geschichte inszenieren und sich darüber freuen, wenn ihre Berühmtheit aus diesen 15 bis 20 Minuten, die sie am Fernsehschirm zu sehen sind, ein paar Wochen und Monate anhält. Vielleicht hoffen sie dann noch insgeheim darauf, in einer zweiten Staffel ebenfalls dabei zu sein."

Problematisch wird der Konsum der Sendung dort, wo die Gezeigten ganze Gesellschaftsgruppen diffamieren, sei es wegen ihres Geschlechts oder wegen ihrer Hautfarbe. Ein Beispiel dafür ist etwa jene Szene, in der ein selbst ernannter Beschützer des Gemeindebaus aus dem Fenster schaut und einen Passanten erblickt, der ihm "verdächtig" erscheint: "Da unten ist der Neger", sagt der Mann. "Wenn ich mit dem Hund hinuntergehe, schau ich ihn mir an." Für Hausjell sind solche Szenen deshalb kritisch, weil sie keinerlei journalistische Brechung erfahren. "Das ist eigentlich ein starkes Stück, das wäre klar die Aufgabe der Macher. Da geht es nicht darum, das anprangernd zu kommentieren, sondern einzuordnen."

"Mundl hat auch alle aufgeregt"

Beim Privatsender versteht man die Kritik nicht: ATV-Programmchef Martin Gastinger verweist gegenüber der APA darauf, dass "der Mundl in den 70er Jahren auch alle aufgeregt hat". Eine Reality Soap sei nun einmal ein Abbild der Realität.

Das Publikum scheint ihm recht zu geben. Wie ablehnend das Urteil der professionellen Beobachter ausfallen mag, den Sehern scheint es zu gefallen: Die Ausgabe am 30. Mai verbuchte Rekordquoten für den Privatsender. Im Schnitt waren 171.000 Zuschauer dabei, der Marktanteil betrug 7,3 Prozent.

Will man sich selbst ein Bild der Sendung machen, kann man das jeden Montag um 20:15 Uhr auf ATV.

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