Grätzlhotel: Neuer Standort und Expansion nach Linz
Alles begann mit einem Zimmer. Vor sieben Jahren hatten Theresia Kohlmayr und zwei Studienkollegen die Idee, eine leer stehende Schneiderei beim Wiener Belvedere in ein Hotelzimmer zu verwandeln. Die drei angehenden Architekten wollten sehen, ob sie dem leeren Gassenlokal neues Leben einhauchen konnten. Und siehe da: Der Versuch gelang.
Aus dem einstigen Studenten-Projekt ist mittlerweile ein kleines Boutique-Hotel mit 26 Zimmern und 20 Long-Stay-Appartments namens „ “ geworden. Das Unternehmen betreibt mehrere Standorte – neben dem Belvedere sind das der Karmelitermarkt und der Meidlinger Markt. Und es beschäftigt neun Mitarbeiter. Anfang Juli eröffnete das Grätzlhotel einen neuen Standort in Neubau und expandiert im Herbst mit 33 Appartements nach Linz. „Wir zeigen, wie der Leerstand in den Erdgeschoßzonen sinnvoll genutzt werden kann“, sagt Theresia Kohlmayr.
Eine ehemalige Fischhandlung, die seit mehr als 20 Jahren geschlossen ist und dem Verfall Preis gegeben war, wurde beim jüngsten Projekt in der Neustiftgasse revitalisiert. Dabei entstanden vier Hotelsuiten mit so klangvollen Namen wie „Der Kapitän“ oder „Die Fischhändlerin“ mit hochwertiger Ausstattung. Bis zu 80.000 Euro werden in der Regel für den Umbau pro Zimmer locker gemacht.
Die Kosten dafür trägt der Hauseigentümer. Das Grätzlhotel gibt mit einem Ausstattungskatalog die Ausführung vor und agiert später als Hotelbetreiber. Über einen Vertrag mit einer langfristigen Laufzeit wird die Immobilie dann gepachtet. Das wirtschaftliche Risiko liegt beim Grätzlhotel.
Die jungen Hoteliers wollen dabei bewusst ein Gegenpol zum stetig wachsenden Angebot an online-Vermietungsplattformen sein: Während der US-Konzern zunehmend auf den Unmut der Anwohner stößt, ist es beim Grätzlhotel Teil des Geschäftsmodells, die Umgebung, sprich das „Grätzl“, mit einzubeziehen. Da es keine klassische Lobby und kein hoteleigenes Restaurant gibt, haben die Grätzlhotels nämlich an jedem Standort Kooperationen mit lokalen Geschäftsbetreibern geschlossen. Beim Beisl ums Eck etwa kann der Zimmerschlüssel abgeholt oder das Frühstück eingenommen werden. Die Hotellobby ist die Nachbarschaft.
Außerdem bespielt das Grätzlhotel ausschließlich leer stehende und schwierig zu vermietende Flächen. Somit wird die grassierende Wohnungsknappheit durch die Zimmervermietung an Touristen nicht befeuert. Freilich müssen sich auch bei den Grätzelhotels die anderen Hausbewohner an die ungewöhnliche Herberge erst ein mal gewöhnen. Meistens dauert es ein paar Wochen, bis sich alles eingespielt hat. „Ein weiterer Unterschied zu Airbnb ist, dass wir ein professioneller Hotelbetreiber sind“, sagt Kohlmayr.
Die Unternehmensgründerin selbst stammt aus einer alteingesessenen Hoteliersfamilie im Salzburger Land. Allerdings holte sich Kohlmayr auch Know-how von internationalen Branchengrößen. So sind seit 2015 der Hotelexperte Stephan Gerhard, Architekt Markus Kaplan (BWM Architekten) und der Kommunikationsprofi Clemens Kopetzky als Gesellschafter an Bord. Der bekannte Wiener Immobilienentwickler Michael Tojner hält über seine Firma Wertinvest ebenfalls 20 Prozent am Grätzlhotel. Michael Tojner fungiert auch als Kooperationspartner für das nächste Projekt. In Linz besitzt die Wertinvest die ehemaligen Arbeiterquartiere der Tabakfabrik. Das Gebäude ist mehr als 70 Jahre alt und wird derzeit für 33 Grätzlhotel-Appartements umgebaut.
Derzeit liegt die Auslastung des Hotels bei 73 Prozent im Jahresdurchschnitt. Die Zimmerpreise sind je nach Strandort unterschiedlich. Die Gäste kommen überwiegend aus dem deutsch- und englischsprachigen Raum. Das Ziel sei eine Auslastung von mehr als 80 Prozent. Dafür will das Grätzlhotel verstärkt Business-Gäste ansprechen. „Gerade Geschäftskunden, die viel unterwegs sind, genießen es, wenn sie mal nicht im klassischen Hotel nächtigen“, meint Kohlmayr.
In Wien sieht das Grätzlhotel sein Potenzial noch nicht ausgeschöpft – eine Verdoppelung der Zimmerkapazität wäre demnach möglich. Angebote für neue Standorte gibt es genügend. Allerdings sind die Anforderungen an eine neue Immobilie relativ hoch. „Für uns sind Lagen innerhalb des Gürtels interessant“, meint Theresia Kohlmayr, „vor allem die Innenstadt ist aufgrund vieler Leerstände ein spannendes Pflaster.“
Auch außerhalb Österreichs sieht das Grätzlhotel Wachstumsmöglichkeiten: Derzeit laufen Verhandlungen in Stuttgart und Winterthur für einen neuen Standort. „Es würde mich reizen, in ehemalige Industriestädte wie Detroit in den USA zu expandieren“, meint Kohlmayr, „Wir denken global, weil auch die Tourismuswirtschaft global ist.“