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Der verschmähte Stadel

Das eigentliche Problem war das Haus", sagt Gernot Hertl. Das Bestandsgebäude, ein Bauernhof, der auf das Jahr 1650 zurückgeht, war mehr als baufällig. Es regnete rein, die Räume waren voll mit Ramsch, drinnen stank und draußen wucherte es. Längst hätte die Liegenschaft verhökert und abgerissen werden sollen – vorausgesetzt, es hätte sich ein Käufer gefunden. "Auch wir sind oft daran vorbeispaziert, hatten aber lange kein Interesse", sagt Hertl.
Dass nun ein grauer Klotz aus dem Hang hervorspringt, liegt dem Wunsch nach einem Garten zugrunde – als Ausgleich zum urbanen Wohnen im Hochhaus. "Wir haben uns anfangs nur für das Grundstück interessiert." Was mit dem verfallenen Gebäude passieren sollte, war unklar. Ein kleines Gartenhaus vielleicht, das in der Ruine steht – so weit die erste Vorstellung.

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Gebaut wurde dann doch – und das nicht zu knapp. Fast zwei Jahre lang feilte Hertl an seinem Betonriegel, gelegen am Ufer der Enns, in Bahnhofsnähe und nur ein Steinwurf von seinem Büro- und Wohnsitz entfernt.
Erst nahm er das Dach ab und höhlte das Innere bis auf die Außenwände aus. Der schadhafte Verputz wurde abgeschlagen und ein intaktes Mauerwerk aus Ziegeln und Flusssteinen freigelegt. "Wenn schon Ruine, dann richtig", sagt Hertl. Anschließend arbeitete er von oben nach unten: Zugunsten des Innenhofs wurde auf ein neues Dach verzichtet. Stattdessen verbindet ein ringförmiger Betonrost die freistehenden Wände und sorgt für Stabilität. Die alte Substanz schafft den raumbildenden Garten und generiert einen Innenhof. "Das hat sich gelohnt. Der vergangene Sommer war zwar nicht toll, aber durch die Hofsituation war es immer windgeschützt", zieht Hertl nach dem ersten Probelauf Bilanz.

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Erschlossen wird das Gebäude von der Haratzmüllerstraße, von der aus lediglich eine Betonmauer zu sehen ist. Eine schmale Treppe führt zur Hofebene hinab, durch die sich der mausgraue Quader schiebt und den Hof entzweit. Der kleinere Teil ist glasgedeckt und erweitert den Innenraum, der andere ist offen. In Flussrichtung bricht der Neubau durch das Ziegelwerk und springt aus der Gebäudefront vor. "Früher gab es hier viele Handelsgebäude. Sie hatten Erker, um das Geschehen auf dem Fluss zu überwachen", erklärt Hertl die historische Referenz. "Wir haben das Thema aufgegriffen und einen Weg gefunden, aus dem introvertierten Hof heraustreten zu können. Das Refugium ist komplett abgeschottet. Wenn man will, bekommt man von der Welt nichts mit. Der Erker orientiert sich als einziger Raum nach außen und gibt den Blick auf das Wasser und die Stadt frei."

Obwohl die vorhandene Nutzfläche auf ein kleineres Volumen rückgebaut wurde, verfügt der Neubau über stattliche zweihundert Quadratmeter. Der untere Stock – ein einziger großer Raum mit Küchenzeile und Glasfront – öffnet sich zum Innenhof. Im Obergeschoß sind Gäste,- Schlaf,- und Badezimmer untergebracht. Da das Gebäude nur im Sommer genutzt wird, kommt es ohne Dämmung aus. Der Beton konnte völlig roh belassen werden: "Er ist innen wie außen Oberfläche, also eine fertige Fassade", sagt Hertl. Auch wenn die Wände rau und schlicht sind, wirkt das Haus ausgesprochen freundlich und hell. Hertl kombinierte rohe Eichendielen und messinggerahmte Fenster und Türen dazu: "Dadurch entsteht eine elegante Atmosphäre. Das Zusammenspiel von Materialien ist sehr wichtig damit ein angenehmes Raumgefühl entsteht."

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Die Qualität der Architektur wird auch durch ungewöhnliche Proportionen spürbar. Der Hauptraum etwa variiert zwischen drei und sechs Meter Höhe und ist verschieden breit. Helligkeitsunterschiede sorgen für zusätzliche visuelle Reize. Der überdachte Hof ist zum Beispiel gleißend hell, während der angrenzende Raum komplett im Dunklen liegt. "Es fällt aus den unterschiedlichsten Richtungen Tageslicht ein und ist überall spürbar. Unzählige Punkte locken das Auge an und machen Lust darauf, das Haus zu durchwandern", sagt Hertl.

An das ursprüngliche Vorhaben erinnert heute nur noch der Name – seine Bestimmung hat sich jedoch verändert. Der Bauherr versteht sein Gartenhaus einerseits als privates Refugium. Am schönsten sei, dass er es mit seiner Familie jederzeit selbst nutzen kann. Hertl: "Ich setze mich ja beruflich viel mit Gebäuden auseinander. Sind sie einmal fertig, komme ich nur noch selten in das geplante Raumgefüge zurück. Aber hierher kann ich immer wieder zurückkehren." Zudem dient es ihm als verlängerter Arm seines Architekturbüros und wird für Seminare, Teamsitzungen und Besprechungen gebraucht. Darüber hinaus wird es an externe Nutzer vermietet und jeden Juni ist eine Veranstaltungsreihe mit Lesungen, Konzerten oder Vernissagen geplant.

Vom Stadel, den niemand wollte, zum Gartenhaus. Vom Gartenhaus zum Kulturprojekt – eine Sache, auf die man selten trifft. Mit viel Optimismus, Sensibilität und Naturverbundenheit hat Hertl eine Ruine aus dem Dornröschenschlaf geweckt und wieder nutzbar gemacht. Wie gut dies gelungen ist, legt nicht zuletzt die Nominierung für den Mies van der Rohe Award, den Grammy der Architektur, nahe.
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Gernot Hertl, geboren 1971 in Steyr, zählt zu den erfolgreichsten Architekten des Landes. Im Jahr 2000 gründete er Hertl.Architekten und konnte seither zahlreiche nationale wie internationale Wettbewerbe und Preise für sich entscheiden. Eines seiner bekanntesten Projekte ist das Ecker Abu Zahra Honighaus, das ihm bereits 2006 eine Nominierung für den Mies van der Rohe Award einbrachte. Zu seinen jüngsten Projekten zählen unter anderem die Erweiterung des Gerichtsgebäudes in Steyr und der Neubau des Kindergartens in Kematen.

www.hertl-architekten.com