Der verschmähte Stadel
Von Claudia Elmer
Das eigentliche Problem war das Haus", sagt Gernot Hertl. Das Bestandsgebäude, ein Bauernhof, der auf das Jahr 1650 zurückgeht, war mehr als baufällig. Es regnete rein, die Räume waren voll mit Ramsch, drinnen stank und draußen wucherte es. Längst hätte die Liegenschaft verhökert und abgerissen werden sollen – vorausgesetzt, es hätte sich ein Käufer gefunden. "Auch wir sind oft daran vorbeispaziert, hatten aber lange kein Interesse", sagt Hertl.
Dass nun ein grauer Klotz aus dem Hang hervorspringt, liegt dem Wunsch nach einem Garten zugrunde – als Ausgleich zum urbanen Wohnen im Hochhaus. "Wir haben uns anfangs nur für das Grundstück interessiert." Was mit dem verfallenen Gebäude passieren sollte, war unklar. Ein kleines Gartenhaus vielleicht, das in der Ruine steht – so weit die erste Vorstellung.
Erst nahm er das Dach ab und höhlte das Innere bis auf die Außenwände aus. Der schadhafte Verputz wurde abgeschlagen und ein intaktes Mauerwerk aus Ziegeln und Flusssteinen freigelegt. "Wenn schon Ruine, dann richtig", sagt Hertl. Anschließend arbeitete er von oben nach unten: Zugunsten des Innenhofs wurde auf ein neues Dach verzichtet. Stattdessen verbindet ein ringförmiger Betonrost die freistehenden Wände und sorgt für Stabilität. Die alte Substanz schafft den raumbildenden Garten und generiert einen Innenhof. "Das hat sich gelohnt. Der vergangene Sommer war zwar nicht toll, aber durch die Hofsituation war es immer windgeschützt", zieht Hertl nach dem ersten Probelauf Bilanz.
Obwohl die vorhandene Nutzfläche auf ein kleineres Volumen rückgebaut wurde, verfügt der Neubau über stattliche zweihundert Quadratmeter. Der untere Stock – ein einziger großer Raum mit Küchenzeile und Glasfront – öffnet sich zum Innenhof. Im Obergeschoß sind Gäste,- Schlaf,- und Badezimmer untergebracht. Da das Gebäude nur im Sommer genutzt wird, kommt es ohne Dämmung aus. Der Beton konnte völlig roh belassen werden: "Er ist innen wie außen Oberfläche, also eine fertige Fassade", sagt Hertl. Auch wenn die Wände rau und schlicht sind, wirkt das Haus ausgesprochen freundlich und hell. Hertl kombinierte rohe Eichendielen und messinggerahmte Fenster und Türen dazu: "Dadurch entsteht eine elegante Atmosphäre. Das Zusammenspiel von Materialien ist sehr wichtig damit ein angenehmes Raumgefühl entsteht."
An das ursprüngliche Vorhaben erinnert heute nur noch der Name – seine Bestimmung hat sich jedoch verändert. Der Bauherr versteht sein Gartenhaus einerseits als privates Refugium. Am schönsten sei, dass er es mit seiner Familie jederzeit selbst nutzen kann. Hertl: "Ich setze mich ja beruflich viel mit Gebäuden auseinander. Sind sie einmal fertig, komme ich nur noch selten in das geplante Raumgefüge zurück. Aber hierher kann ich immer wieder zurückkehren." Zudem dient es ihm als verlängerter Arm seines Architekturbüros und wird für Seminare, Teamsitzungen und Besprechungen gebraucht. Darüber hinaus wird es an externe Nutzer vermietet und jeden Juni ist eine Veranstaltungsreihe mit Lesungen, Konzerten oder Vernissagen geplant.
Vom Stadel, den niemand wollte, zum Gartenhaus. Vom Gartenhaus zum Kulturprojekt – eine Sache, auf die man selten trifft. Mit viel Optimismus, Sensibilität und Naturverbundenheit hat Hertl eine Ruine aus dem Dornröschenschlaf geweckt und wieder nutzbar gemacht. Wie gut dies gelungen ist, legt nicht zuletzt die Nominierung für den Mies van der Rohe Award, den Grammy der Architektur, nahe.