Zahl der Alkoholiker unter 14 steigt stark
Von Ingrid Teufl
Mit elf Jahren der erste Rausch, mit 14 die ersten Entzugserscheinungen und mit knapp 16 war Markus (Name geändert) auch noch der jüngste Patient in der Wiener Entzugsklinik Anton Proksch-Institut (API). Die Trinker-Karriere des Burschen ist kein Einzelfall. In der Linzer Landesnervenklinik Wagner Jauregg verzeichnet man in den vergangen einen starken Anstieg an Jugendlichen mit schweren Alkoholproblemen.
Die zwar eindeutige Tendenz lässt sich aber nicht absolut belegen. "Es gibt keine verlässlichen Zahlen", sagt eine Kliniksprecherin. "Alkoholmissbrauch zeigt sich bei Jugendlichen ganz anders als bei Erwachsenen", betont Oberarzt Matthias Hartmann von der Kinder- und Jugendpsychiatrie. "Sie werden meist in irgendeiner Form auffällig und erst dann stellt sich heraus, dass sie erheblich Alkohol trinken." Fest steht jedoch laut WHO-Studien, dass das Einstiegsalter immer niedriger wird.
"Innerhalb der Jugendlichen gibt es eine Umverteilung. Der Trend geht zu immer jüngeren Konsumenten", erklärt Prim. Kurosch Yazdi, Leiter der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen im Wagner-Jauregg-Krankenhaus. "Neben der steigenden Zahl alkoholkranker Jugendlicher bemerken wir, dass sich die Spirale der Sucht immer schneller dreht. Früher gab es kaum Elf- oder Zwölfjährige, die regelmäßig Alkohol getrunken haben."
Ähnlich argumentiert API-Leiter Univ.-Prof. Michael Musalek. "Der Alkoholkonsum steigert sich mit einem frühen Einstiegsalter." Die Folgen sind unabsehbar. Ihm – wie auch Yazdi – sticht dabei eine deutliche Zunahme unter den weiblichen Jugendlichen ins Auge. "Auf zwei Burschen mit problemhaften Alkoholkonsum unter 16 kommt bereits ein Mädchen. Vor 15 Jahren war das Verhältnis noch 4:1." Es sei deshalb zu erwarten, dass dieses Verhältnis in 20 Jahren auch bei den Alkoholkranken so sein wird."
Die Gründe für die Verschiebung des Einstiegsalters liegen für Yazdi nicht in der angeblichen früheren Reife der Kinder von heute. "Es kann kein Zeichen von Reife sein, wenn Elfjährige beginnen zu saufen und zu rauchen. Das ist für dieses Alter vollkommen inadäquat und gefährlich. Es ist ein Verhalten, von dem die Jugendlichen glauben, es zeuge von Reife." Die Gruppe, die Alkohol als Problemlöser einsetzt, ist besonders gefährdet. "Wenn man früh lernt, Schwierigkeiten mit Alkohol zuzuschütten, wird man diesen Mechanismus immer wieder einsetzen", betont Musalek. Gerade bei derart früher Suchtentwicklung seien die Alternativen zudem gering. "Es fehlt eine gesamte Entwicklungsphase."
Vorbildwirkung
Die Vorbildwirkung anderer – und gesellschaftlicher Druck – ist wesentlich. Kinder lernen hauptsächlich über diese Mechanismen. Je jünger sie sind, desto wichtiger sind die Eltern. Sie verlieren dann in der Pubertät an Einfluss, die Freunde übernehmen diese Rolle. Musalek: "Jugendliche machen fast nichts, was Eltern sagen. Aber sie tun fast alles, was sie sehen." Yazdi ergänzt: "Im Idealfall sehen die Kinder sinnvolles und verantwortungsvolles Verhalten zu Hause. Das beginnt schon weit früher, etwa wie mit Zorn oder Ärger umgegangen wird."
Gehirnzellen sterben unwiederbringlich ab
Kinder und Jugendliche reagieren anders auf Alkohol als Erwachsene:
Gehirn Es ist erst mit 18 Jahren vollständig entwickelt. Durch Alkoholkonsum in jungen Jahren werden Gehirnzellen unwiederbringlich zerstört, Denkprozesse verlangsamen sich. Anders als bei Erwachsenen regenerieren sich die Zellen nicht mehr. Sogar Demenz im höheren Alter könnte laut jüngsten Studien im Zusammenhang mit exzessivem Alkoholkonsum in der Jugend in Verbindung stehen. Zudem wird das Gehirn früh auf ein Suchtverhalten programmiert, das gute Stimmung automatisch mit Alkohol in Verbindung bringt.
Nervensystem Bei Kindern reagiert es sensibler. Das typische Rauschverhalten fehlt oft. Schon mit 0,5 Promille im Blut können Kinder durch Unterzuckerung bewusstlos werden, die Reflexatmung setzt aus.
Gewicht Je geringer das Körpergewicht, desto höher der Alkoholspiegel im Blut. Bei Schulkindern können drei Gramm Alkohol je Kilo Körpergewicht tödlich sein.
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