Umstrittenes Unkrautgift im Urin
Von Ernst Mauritz
Besorgniserregend“, sagen die einen. „Gesundheitlich unbedenklich“, die anderen. Die Umweltschutzorganisation Global 2000 und ihr europäischer Dachverband „Friends of the Earth“ haben Urin-Proben von 182 Personen aus 18 europäischen Ländern auf das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat untersuchen lassen. Im Schnitt konnte es bei 50 Prozent der Testpersonen nachgewiesen werden, in Österreich waren es 30 Prozent. Die höchsten Werte gab es in Malta (90 Prozent der Testpersonen) sowie in Deutschland (80 Prozent). „Dieser Befund ist besorgniserregend“, sagt Helmut Burtscher, Umweltchemiker von Global 2000.
Den Grund für den hohen Wert in Deutschland sieht Burtscher im dort verbreiteten „Totspritzen“ von Getreide: „Bei ungleichen Reifegraden der Pflanzen wird kurz vor der Ernte das Herbizid versprüht. Die Pflanzen sterben ab und trocknen rasch und gleichmäßig: Das erleichtert die Ernte, führt aber zu Rückständen.“
Die im Urin nachgewiesenen Glyphosat-Konzentrationen waren zwar nicht hoch, so Global 2000. „Als Umweltmediziner kann ich aber keine Entwarnung geben“, sagt Hans Moshammer von den „ÄrztInnen für eine gesunde Umwelt“.
Eine Schädigung eines ungeborenen Kindes sei nicht 100-prozentig auszuschließen. So hätten sich im Tierversuch Hinweise auf eine Hemmung der männlichen Geschlechtshormone gezeigt: „Das macht mir Sorgen in Bezug auf die Embryonalentwicklung.“ Eine schwedische Studie zeigte ein erhöhtes Blutkrebsrisiko bei Landwirten. Eine österreichische Studie vom Institut für Krebsforschung (Siegfried Knasmüller) fand im Labor bei Schleimhautzellen erhöhte Chromosomenschäden, nachdem diese mit Glyphosat in Kontakt kamen. Eine abschließende Beurteilung dieser Ergebnisse sei allerdings noch nicht möglich, so Moshammer. Allerdings sei bei Erwachsenen durch die bisher nachgewiesene Belastung im Urin „eine akute Schädigung auszuschließen“ und auch eine langfristige Schädigung nicht anzunehmen.
Keine Überschreitung
Die AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) teilt die Risikobeurteilung von Moshammer nicht: „Wenn die gesetzlich festgelegten Höchstgehalte für Pestizidrückstände nicht überschritten werden, ist das für den Menschen gesundheitlich unbedenklich.“ Und eine Überschreitung habe es bisher in Österreich nicht gegeben. Laut Global 200 seien allerdings die Glyphosat-Grenzwerte für Lebensmittel „um bis zum 200-Fachen“ angehoben worden. Laut deutschem Bundesinstitut für Risikobewertung (BFR) waren die bisher im Urin nachgewiesenen Konzentrationen „sehr gering“ und hätten keinen Hinweis auf die Aufnahme gesundheitsgefährdender Mengen gegeben.
Laut Adolf Marksteiner von der Österreichischen Landwirtschaftskammer sei der besonders umstrittene Glyphosat-Einsatz zur Trocknung von Getreide die Ausnahme: „Höchstens in Jahren, wo das Wetter verrückt spielt, kommt das vereinzelt vor.“ Regnet es nach einem trockenen Sommer knapp vor der Ernte stark (wie 2012), können einzelne abreifende Pflanzen „durchtreiben“ und neue Halme und Ähren bilden. „Grünes Getreide führt auch zur Gefahr von Pilzgiften.“ In Nordeuropa sei diese Praxis aufgrund anderer Witterungsbedingungen häufiger. „In Österreich sind es Einzelfälle.“
„Möglicherweise ist auch der Glyphosat-Einsatz in privaten Gärten und kommunalen Bereich viel größer“, sagt Marksteiner – Zahlen dazu gibt es nicht. In vielen Gemeinden würden Grünflächen und Straßenränder mit Glyphosat behandelt.
Global 2000 fordert einen österreichweiten Zulassungsstopp von Glyphosat für die Landwirtschaft, den öffentlichen Raum und den Hausgarten. Spritzungen zur Trocknung von Getreide, Raps und Futtermitteln sollten sofort verboten werden. Ähnlich der Grüne Agrarsprecher Wolfgang Pirklhuber: „Der Einsatz als Sikkationsmittel, dem Totspritzen des lästigen Beiwuchs als ,Erntehelfer‘, ist sofort zu verbieten.“
Für Landwirtschafts- und Umweltminister Nikolaus Berlakovich ist „ein Verbot in der Landwirtschaft nicht undenkbar“ – wenn bei der derzeit im Auftrag der Europäischen Kommission durchgeführten Neubewertung von Glyphosat „Risiken definiert werden“. Er beabsichtige „ein generelles Verkaufsverbot von Pflanzenschutzmitteln im Wege der Selbstbedienung bzw. im Lebensmitteleinzelhandel abseits von Fachmärkten“. Der Verkauf von Pflanzenschutzmitteln für die private Anwendung solle nur mehr in Fachmärkten mit Beratung möglich sein.