Stammzellen verhindern Bandscheiben-Abnutzung
Von Ingrid Teufl
Stammzellen sind die medizinische Zukunftshoffnung – auch in der Wirbelsäulen-Therapie. "Das wird die entscheidende Entwicklung der nächsten 30 Jahre sein", sagt Univ.-Prof. Claudius Thomé, Leiter der Neurochirurgie an der Med-Uni Innsbruck und Präsident der österreichischen Gesellschaft für Wirbelsäulenchirurgie. Diese sogenannten regenerativen Therapien sind auch beim derzeit in Wien stattfindenden Fachkongress "Summer Academy" mit 300 Wirbelsäulen-Experten aus 20 Ländern ein wichtiges Thema.
Rückenleiden betrifft mehr als 30 Prozent der Österreicher
Mehr als 30 Prozent der Österreicher leiden an Rückenschmerzen, 20 Prozent davon berichten über "erhebliche Schmerzen". Das Potenzial körpereigener Stammzellen soll auch hier genutzt werden, um behandlungsbedürftige, natürliche Abnützungserscheinungen – etwa an den Bandscheiben – zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen.
Die Technik funktioniert mithilfe von Stammzellen, die körpereigene Strukturen stärken und zur Regeneration anregen. Thomé leitet derzeit eine Studie mit insgesamt 120 Probanden. Im Labor werden aus Material, das er bei Bandscheibenoperationen entnommen hat, neue Bandscheibenzellen gezüchtet. Nach drei Monaten werden sie den Patienten eingespritzt, um die Bandscheiben mithilfe dieser Wachstumsfaktoren wieder zu verjüngen. "Wir hoffen, dass dies zu einer Regeneration des Bandscheibenkerns führt."
Die ersten Ergebnisse, ob dies beim Menschen gut funktioniert, werden allerdings erst in ein bis zwei Jahren erwartet. Im Tierversuch erwies sich die Methode international schon als erfolgreich, sagt Thomé.
Spezialisierte Ausbildung
Neben den molekularbiologischen Strategien wird auch die Wirbelsäulenchirurgie selbst weiterentwickelt. Ihr einst schlechter Ruf treffe heute nicht mehr zu, betont Prim. Michael Ogon vom Orthopädischen Spital Speising. Spezialisierte Ausbildung und interdisziplinäres Vorgehen seien längst Standard. Dazu entwickelte sich auch das Verständnis für Statik und Biomechanik der Wirbelsäule enorm weiter, ergänzt Thomé. Mithilfe minimal-invasiver, kameragestützter Visualisierung und punktueller Techniken werden schmerzende Regionen wesentlich leichter erreicht. "Eingriffe können so vom Rücken, über die Flanke sowie durch den Bauch oder den Brustkorb vorgenommen werden."
Patienten sind heute älter
Generell nimmt die Zahl der chirurgischen Eingriffe zu – Bandscheiben-Operationen sind allerdings rückläufig. Nichtsdestotrotz sind diese die häufigsten Operationen bei unter 50-Jährigen. Bei über 50-Jährigen werden sie dann von Wirbelkanal-Verengungen (spinale Stenose) abgelöst.
Deutlich verschiebt sich das Alter der zu operierenden Patienten. In Speising verdoppelte sich der Anteil der über 80-Jährigen in den vergangenen zehn Jahren auf 14 Prozent. "80-Jährige haben heute andere Erwartungen an das Alter. Viele wollen es nicht einfach hinnehmen, nicht mehr gehen zu können." Kritik, dass zu häufig operiert werde, weist Ogon aber zurück. "Bei kompetenter Behandlung bessert sich der Zustand von 70 Prozent der Patienten nach vier Wochen auch ohne Operation deutlich."
Aufbau und Funktion
Die Wirbelsäule enthält 23 Bandscheiben, die zwischen den Wirbelkörpern als eine Art Stoßdämpfer fungieren. Ebenso sorgen sie für die Stabilität und Beweglichkeit der Wirbelsäule. Sie bestehen aus einem Ring aus Faserknorpeln, der einen gallertartigen Kern umgibt. Der Kern hat ein hohes Vermögen, Wasser zu binden. Mit den Jahren und durch Fehlbelastungen verringert sich dieses.
Vorsorge
Wesentlich ist ein Wechsel von Be- und Entlastung der Wirbelsäule (Tag-Nacht-Rhythmus). Während der Entlastung werden Abbauprodukte abtransportiert, die Bandscheibe regeneriert sich. Prim. Michael Ogon: "Die Bandscherben werden nicht durchblutet, ihre Versorgung ist vom benachbarten Wirbel abhängig. Diese kann man nur durch Bewegung verbessern."