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Nach der Rettung: Was die Burschen jetzt brauchen

Nach der Rettung aller zwölf Buben und ihres Trainers (mehr dazu hier...) ist nun vor allem eines wichtig: die Rückkehr in den Alltag, meint die Leiterin der Krisenintervention beim Roten Kreuz in Österreich, Barbara Juen. Im Interview mit dem KURIER erzählt sie, wie es für die Jugendlichen weitergehen kann, wie sie in der Höhle überleben konnten und wie ihre Angehörigen sie unterstützen können.

KURIER: Wie kann es für die Burschen jetzt weitergehen?

Barbara Juen: Kinder brauchen nach außergewöhnlichen Ereignissen das Gewöhnliche. Abgesehen von den medizinischen und physischen Bedürfnissen, die zu erfüllen sind, muss der Alltag wieder eintreten dürfen. Zum anderen brauchen sie Sicherheit. Das gelingt über viel Vertrauen und Zuwendung durch verlässliche Bezugspersonen. Die Jugendlichen brauchen auch viel Bewegung und Zeit mit Gleichaltrigen. Der eigentliche Schock kommt erst später. In der Situation wird versucht, sich zusammenzureißen, um zu überleben. Das Gefühl der Lebensbedrohung kann bei manchen erst jetzt aufkommen.

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Welche Folgen wird das Erlebte in der nächsten Zeit für sie haben?

Sie müssen lernen, mit der Erinnerung umzugehen. Sie kann zum Beispiel durch Dunkelheit oder enge Räume ausgelöst werden und zu körperlichen Stressreaktionen führen. Es dauert in der Regel ein paar Wochen, bis man lernt, wodurch Erinnerungen ausgelöst werden und wie man damit umgehen kann. Manchmal braucht man dazu Fachhilfe, in vielen Fällen reicht das soziale Umfeld aus. Durch die Dunkelheit in der Höhle ist außerdem ihr Biorhythmus durcheinander. Es kann daher sein, dass sie Schlafprobleme haben und sich schlecht konzentrieren können, etwa in der Schule.

Sollen die Buben jetzt schon genau informiert werden, etwa über den verstorbenen Retter?

Für Kinder wie Erwachsene sind in so einer Situation ehrliche Informationen wichtig. Wenn sie Medienberichte schauen wollen, sollen sie das tun können, aber nicht überflutet werden. Ich vermute, dass den Jugendlichen in der Höhle nicht von dem verstorbenen Retter erzählt wurde. Man muss nicht alles sagen, aber was man sagt, muss wahr sein. Jetzt, wo sie draußen sind, müssen sie aber alle Informationen bekommen. Erfahren sie es über ein anderes Eck, verlieren sie Vertrauen. Sie werden wissen wollen, was genau passiert ist, was schiefgegangen ist und es ist wichtig, dass sie auch im Nachhinein alle ihre Fragen beantwortet bekommen. Wir lassen uns immer von den Fragen der Kinder und Jugendlichen leiten. So kann man sich am ehesten an den Entwicklungsstand anpassen. Die beteiligten Buben sind zwischen elf und 16 Jahre alt – das ist ein massiver Unterschied.

Wie kann man in einer solchen Situation mental überleben?

Zu allererst brauchen sowohl Kinder als auch Erwachsene Sicherheit und eine verlässliche Person, die bei ihnen ist. Das war am Anfang der Trainer und später die Helfer. Information und Zusammenhalt sind wichtig – zum einen in der Gruppe, aber auch der spätere Briefkontakt zu Bezugspersonen. Es braucht Phasen, wo sich Betroffene ablenken können, etwa durch Geschichten erzählen oder, wie berichtet wurde, wurde in der Gruppe meditiert. Das ist wahrscheinlich kulturspezifisch, weil sie es früher gelernt haben, vielleicht auch weil sie Sportler sind. Es hängt von jedem Einzelnen ab, wie sehr er in der Lage ist, sich abzulenken, und kann durch die Gruppe gestärkt werden. Hilfreich ist eine Tagesstruktur zu erhalten, auch im Dunkeln.

Welche Rolle spielt Hoffnung?

Der Optimismus, dass sie die nächsten Schritte schaffen, ist zentral. Der Trainer muss es geschafft haben, ihnen Hoffnung zu geben und seine eigenen Ängste zurückzustecken. Er hat so sehr auf die Gruppe geschaut, dass er unter Umständen jetzt selbst viel Betreuung braucht. Wichtig ist auch Selbstwirksamkeit, das heißt das Gefühl, selbst etwas beitragen zu können. In der ersten Phase, wo die Helfer noch nicht dabei waren, war Gruppendisziplin zentral – dass etwa keiner aufsteht und sich alleine auf den Weg macht. Da ist sicherlich die Kultur eine Ressource gewesen – in Thailand gibt es einen hohen Gruppenzusammenhalt. Bei uns wäre es vielleicht eher so, dass einer der Älteren auf die Idee kommt, alleine loszuziehen. Je mehr dann später die Helfer die Jugendlichen einbinden, ihnen sagen, was sie machen können, ihnen tauchen beibringen, je mehr sie aktiv beitragen können, desto besser.

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Wie konnten die in der Höhle Verbliebenen motiviert werden, bis zur Rettung durchzuhalten?

Berg- und Höhlenretter sind sehr erfahren im Umgang mit Verunglückten. Sie können sehr gut Vertrauen und Sicherheit aufbauen und das ist genau das, was die Leute brauchen. Eine gemeinsame Strecke mit einem Helfer zurückzulegen ist nur möglich, wenn die Verunfallten Vertrauen haben und Informationen darüber, was sie zur Rettung beitragen können.

Was brauchen Angehörige in einer solchen Situation?

Auch die Angehörigen brauchen am Anfang täglich Information über die Rettungsmaßnahmen. Ideal ist, wenn sie in der Nähe des Unfallorts bleiben können, versorgt werden und einen Ansprechpartner haben. Sie schwanken in dieser Phase zwischen Verzweiflung und Hoffnung und brauchen Helfer, die sie begleiten, ohne ihnen falsche Hoffnungen zu machen. Im Fall der Buben in Thailand folgte eine weitere Phase der Hoffnung, als die Eltern mit ihren Kindern Kontakt aufnehmen konnten. Das war sicherlich eine ungeheure Erleichterung, aber die Angst hörte nicht auf, weil die Rettung ja noch nicht erfolgt war. Auch die Angehörigen untereinander werden eine enge Verbundenheit entwickelt haben und auch bei ihnen geht es darum, dass sie das Gefühl haben: Ich kann etwas beitragen, etwa indem ich Informationen über mein Kind gebe.

Wie können die Angehörigen ihre Kinder nach der Rettung unterstützen?

Jugendliche reden oft nicht so gerne mit ihren Eltern über solche Situationen. Eltern sollten also anbieten darüber zu sprechen, es aber nicht einfordern. Jugendliche reagieren nach einer solchen Erfahrung oft mit Risikoverhalten. Eltern müssen daher schauen, wo sich ihr Kind danach hin entwickelt. Gleichzeitig muss man dem Impuls widerstehen, sie übermäßig behüten zu wollen. Angehörige müssen lernen, mit ihren eigenen Ängsten klarzukommen.

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