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Inkontinenz: Ärzte wollen enttabuisieren

„Lange Autofahrten sind die Hölle. Einkaufen im Supermarkt: Stress pur! Oft kann ich meinen 25-minütigen Nachhauseweg nicht aushalten, ohne irgendwo ins Gebüsch zu gehen“, schreibt Anja (Name von der Redaktion geändert) in einem Inkontinenz-Selbsthilfe-Forum. Hier trauen sich Betroffene, ihr Leiden anonym zu thematisieren.

Anders im Alltag. Schlaflose Nächte, Angstzustände und vor allem: Scham. Menschen, die darunter leiden, den Abgang von Harn oder Stuhl nicht mehr kontrollieren zu können, schweigen oft jahrelang darüber. Was folgt, reicht von Problemen im Beziehungs- und Berufsleben bis hin zu einer kompletten sozialen Isolation. Häufig trauen sich inkontinente Menschen nicht einmal, mit ihrem Hausarzt darüber zu sprechen.

„Das Thema wird enorm tabuisiert, was die Erstdiagnose nicht einfach macht. Viele Patienten schämen sich und wollen ihre Inkontinenz verbergen“, schildert Christoph Dachs, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin das Problem anlässlich der „Welt-Kontinenz-Woche“ von 18. bis 24. Juni.

In Österreich leiden rund eine Million Menschen darunter, laut WHO ist Inkontinenz eines der häufigsten gesundheitlichen Probleme weltweit. Um Betroffenen eine erste Selbsteinschätzung zu ermöglichen, wird unter www.kontinenzgesellschaft.at ein neuer Selbsttest angeboten, der zeigt, ob das Problem ärztlich behandelt werden sollte.

Beckenbodentraining

Betroffen sind vor allem ältere Menschen, am häufigsten Frauen. Oft entwickelt sich eine Inkontinenz während der Schwangerschaft oder nach dem Gebären.

„Vier von zehn Frauen haben nach ihrer Schwangerschaft mit Inkontinenz zu kämpfen“, weiß Lothar C. Fuith, Präsident der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich und Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe. „Einerseits steigt das Geburtsgewicht der Babies, zudem bekommen Frauen immer später Kinder, wodurch der Beckenboden bereits geschwächt ist“, erklärt Fuith.

Doch Inkontinenz ist keine reine Frauensache. Auch Männer leiden darunter, allerdings sind die Gründe dafür andere: „Da Inkontinenz bei Männern durch Operationen oder Verletzungen an der Prostata auftritt, ist das Thema noch negativer behaftet“, berichtet Michael Rutkowski, denn „Männer leiden stiller“.

Rutkowski ist Oberarzt an der Urologischen Abteilung am Landesklinikum Korneuburg, das eines von neun Beckenbodenzentren in Österreich beheimatet. Hier werden Therapiemöglichkeiten für alle Arten von Inkontinenz angeboten. Oft kann bereits eine Umstellung des Lebensstils und regelmäßiges Beckenbodentraining Verbesserungen erzielen – wenn Patienten über ihr Problem reden.

Info: Am 26. Juni 2018 findet von 16:30 bis 18 Uhr ein öffentliches Forum zum Thema „Kontinenz betrifft Dich“ im Austria Center Vienna in Wien statt.