Wissen/Gesundheit

Epilepsie: "Eine Krankheit wie jede andere auch"

Rund 80.000 Menschen in Österreich leben mit Epilepsie. "Zwei von drei Patienten können wir mit Medikamenten anfallsfrei einstellen", berichtete Tim von Oertzen vom Kepler Universitätsklinikum Linz am Mittwoch in einer Pressekonferenz in Wien. Dem weiteren Drittel kann ein relativ neues Medikament helfen, hieß es bei dem Medientermin des Herstellers Angelini Pharma. Für alle Menschen mit Epilepsie ist Integration und Enttabuisierung wichtig, betonten Mediziner und Betroffene.

Eine von zehn Personen erleidet in ihrem Leben einen epileptischen Anfall. "Das heißt aber noch lange nicht, dass man dann Epilepsie hat", sagte Von Oertzen. Tatsächlich ist knapp einer von 100 Menschen von der Krankheit betroffen. Die höchste Wahrscheinlichkeit für ein Auftreten von Epilepsie ist bis zum 20. Lebensjahr - etwa durch Missbildungen des Gehirns - und dann wieder durch "Erkrankungen des Alters" wie Schlaganfall, Tumor oder Demenz nach dem 60./65. Lebensjahr, erläuterte der Vorstand der Klinik für Neurologie am Keplerklinikum.

Anfallsfreiheit als größtes Therapieziel

Menschen mit Epilepsie, die nicht durch Medikamente anfallsfrei gehalten werden können, haben ein zwei bis dreifach erhöhtes Risiko früher zu sterben als die Allgemeinbevölkerung, betonte der Von Oertzen. "Wir wissen auch, dass Epilepsie eine Beeinträchtigung des allgemeinen Lebens betrifft", sagte er. Die Erkrankten leiden oft unter dem Stigma der Krankheit, dürfen meist keine Fahrzeuge lenken und leben mit der ständigen Unsicherheit, wann der nächste Anfall auftritt. Größtes Therapieziel sei die Anfallsfreiheit.

Im März 2021 wurde das neue Mittel Cenobamat (Handelsname Ontozry) zugelassen, berichtete Eugen Trinka, Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie der Christian Doppler Klinik in Salzburg. In Studien mit 2.500 Menschen, bei denen bisher bereits zwei verschiedene Antiepileptika die Therapie versagt hatten, seien 21 Prozent der Betroffenen damit anfallsfrei eingestellt worden. 40 Prozent der Patienten hatten nach zweieinhalb Jahren zumindest eine Anfallsreduktion von 90 Prozent oder drüber. In einem indirekten Vergleich mit anderen Medikamenten "haben wir eindeutig gesehen, dass Cenobamat das beste Verhältnis hat von Wirksamkeit und Verträglichkeit", erläuterte Trinka.

Neue Behandlungsmöglichkeit

Gerhard Luef, Leiter der Abteilung Epileptologie an der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck, berichtete von einem heute 29-jährigen Patienten, der seit Mai 2021 in Innsbruck mit Cenobamat behandelt wird. Der Mann leide seit seinem elften Lebensjahr an Anfällen, an die er sich nachher nicht erinnern kann. Dabei handelt es sich nicht um Krampfanfälle, wie bei vielen anderen Epileptikern auch nicht, sondern er bekommt einen starren Blick, ist orientierungslos, gibt schmatzende Laute von sich und hat Wortfindungsstörungen. Mit Cenobamat wurden diese Anfälle von zehn pro Monat bis fast täglich auf nun einen pro Monat reduziert "und die Intensität ist sehr, sehr kurz, seine Arbeitskollegen merken das nicht einmal", sagte Luef.

Mit Cenobomat sei aber noch nicht viel Erfahrung gemacht worden und es sei daher nicht für alle Patienten geeignet und nicht einfach vom Hausarzt zu verschreiben, betonte der Tiroler Mediziner. Zudem sei das Medikament auch noch nicht für Kinder zugelassen.

Michael Alexa, Präsident des Epilepsie Dachverbandes Österreich (EDÖ), betonte, es müsse mehr Aufklärung in der Arbeitswelt betrieben werden, dass Epilepsie "nichts ist, wovor man sich fürchten muss. Wir müssen die Krankheit enttabuisieren", forderte er. Er habe bei den Bewerbungen offen seine Erkrankung angesprochen und arbeite seit 33 Jahren bei der gleichen Firma. Viele Menschen mit Epilepsie hätten "dieses Glück nicht". Babysitter und Kindergärten hätten ihr zunächst versichert, kein Problem mit der Epilepsie ihres Sohnes zu haben, ihr dann aber nach dem ersten Anfall gekündigt, berichtete Valerie Thiele als weitere Betroffene. Schon Hippokrates habe gesagt: "Epilepsie ist eine Krankheit wie jede andere auch", forderte auch Luef ein Ende von Stigmatisierung.