Woran die junge Psyche leidet
Wie viele Kinder und Jugendliche in Österreich haben tatsächlich ADHS? Wie viele leiden an einer Depression? Bisher gab es dazu für Österreich keine exakten oder – je nach Erkrankung – gar keine Angaben. Jetzt liegen erstmals Daten zur Häufigkeit von 27 psychischen Krankheitsbildern bei Kindern und Jugendlichen vor – in einer Detailliertheit, die weltweit einmalig ist.
Für eine von Andreas Karwautz und Gudrun Wagner geleitete Studie der Uni-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni Wien / AKH Wien gemeinsam mit dem Ludwig Boltzmann Institut für Health Promotion Research (Wolfgang Dür, Karin Waldherr) wurden mehr als 3615 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 18 Jahren in ganz Österreich mittels Fragebogen befragt – nicht nur in Schulen, sondern auch schwer zu erreichende Gruppen, z.B. Jugendliche in Schulungen am Arbeitsamt oder solche in stationärer Betreuung. Zusätzlich wurden 500 Kinder und 500 Elternteile interviewt. Die Ergebnisse der vom Hauptverband finanzierten Arbeit wurden jetzt im Fachjournal European Child & Adolescent Psychiatry veröffentlicht.
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Am häufigsten sind Angststörungen – über die gesamte Lebensspanne von 10 bis 18 Jahren sind Mädchen rund doppelt so häufig betroffen wie Burschen (die Grafik zeigt die Häufigkeit rund um den Zeitpunkt der Befragung). Bei Burschen wiederum kommen ADHS und Verhaltensauffälligkeiten wie Impulskontrollstörungen deutlich häufiger vor. Essstörungen sind bei Mädchen in der gesamten Schulzeit noch deutlich häufiger (5,47%, Burschen: 0,64%) als nur zum Zeitpunkt der Befragung. Hingegen sind Depressionen bei Mädchen und Burschen von 10 bis 18 Jahren mit je knapp sechs Prozent gleichmäßiger verteilt als zum Befragungszeitpunkt.
Wenige in Behandlung
"Auffällig ist, dass weniger als die Hälfte der betroffenen Jugendlichen bereits Hilfe bei einem Kinder- und Jugendpsychiater in Anspruch genommen hat", sagen Wagner und Karwautz – bei manchen Krankheitsbildern (etwa der suizidalen Verhaltensstörung) sind es noch viel weniger. "Das macht uns gerade beim Thema Suizid große Sorgen – hier sind weniger als 17 Prozent in Therapie."
Vielfältige Gründe
Die Gründe dafür seien vielfältig: "Zum Teil fehlt den Eltern das Bewusstsein. Zum Teil gibt es aber auch immer noch ein Stigma. Viele Eltern trauen sich nicht, über eine psychische Erkrankung offen zu reden und einen Spezialisten aufzusuchen", so Karwautz. – Und Wagner betont: "Dabei ist eine psychische Erkrankung nichts, wovor sich Eltern fürchten müssen. Je früher ein solches Krankheitsbild erkannt wird, umso größer sind die Chancen, dass es nicht ins Erwachsenenalter mitgenommen wird und geheilt werden kann. Es gibt heute eine Vielzahl an erfolgversprechenden Therapien."
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