Eine mögliche Erklärung für das Licht am Ende des Tunnels
Ein Gefühl von Friede und Glück, das Ende eines Tunnels oder einfach nur ein helles, weißes Licht: Laut internationalen Statistiken hat etwa jeder fünfte Überlebende eines Herzstillstands Nahtoderfahrungen, viele beschreiben sie als besonders klar und ungewöhnlich realistisch. Wissenschaftliche Erklärungsansätze gibt es viele, berichtet Jürgen Sandkühler, Direktor des Zentrums für Hirnforschung an der MedUni Wien. „Man weiß zum Beispiel, dass die Unterbindung der Sauerstoffzufuhr manche Teile des Gehirns abnorm stark erregt. Dadurch können traumähnliche Zustände erzeugt werden.“
Hirnforscher von der University of Michigan, USA, haben jetzt eine neue mögliche Erklärung für solche Nahtoderlebnisse gefunden. In einer Studie lösten sie bei Ratten – ihr Gehirn gleicht in vielen Punkten dem des Menschen – einen künstlichen Herzstillstand aus. Anders als bisher angenommen, wurden nach 30 Sekunden starke Erregungswellen in ihren Gehirnen gemessen. „Das hohe Maß der Aktivität überraschte uns“, berichtet George Mashour, Neurochirurg und Leiter der Studie. Oft seien die elektrischen Signale in diesem Zustand sogar höher gewesen als im Wachzustand. „Das deutet darauf hin, dass das Gehirn im frühen Stadium des klinischen Todes zu einer gut organisierten Aktivität fähig ist.“ Sandkühler erhofft sich von den Ergebnissen noch etwas anderes: „Die Studie könnte Nahtoderfahrungen entmystifizieren. In der Populärwissenschaft verknüpft man sie ja oft fälschlicherweise mit einer übersinnlichen Erscheinung.“
Seltenes Ereignis
Der Notfallmediziner Fritz Sterz von der MedUni Wien betrachtet die Studienergebnisse skeptisch. Er behandelte bereits 700 Überlebende nach einem Herzstillstand – von einer Nahtoderfahrung berichtete ihm noch keiner der Patienten. „Die Studie ist sehr spannend, aber nur ein Ansatz um zu erklären, was sich nach einem Herzstillstand im Hirn abspielt. Das heißt sicher nicht, dass jeder Mensch automatisch ein Nahtoderlebnis hat.“
Sterz ist an einer Studie beteiligt, in der Nahtoderlebnisse von reanimierten Patienten dokumentiert werden. Dazu wurden über einigen Betten im AKH Wien Bildschirme mit der Bildschirmseite in Richtung Decke aufgehängt. Die Hypothese: Wenn Patienten tatsächlich, wie sie immer wieder behaupten, in der Wiederbelebungsphase das Geschehen von oben herab beobachten, müssten sie danach auch wissen, was auf den Bildschirmen zu sehen ist. Ergebnisse werden in den nächsten Monaten erwartet.