Cindy Gallop: “Pornografie macht Sex steril“
Von Claudia Zettel
Mit ihrer Sexvideo-Plattform MakeLoveNotPorn hat die britische Unternehmerin Cindy Gallop für internationales Aufsehen gesorgt. Sie soll mit falschen Klischees, die über Pornos im Netz verbreitet werden, aufräumen und ein realtischeres Bild von Sexualität, insbesondere bei jungen Menschen, vermitteln. Die futurezone hat mit Gallop im Rahmen des Web Summit in Dublin gesprochen.
futurezone: Als sie mit MakeLoveNotPorn gestartet sind, hieß es, die Website wolle die Pornoindustrie revolutionieren. Ist Ihnen das aus heutiger Sicht gelungen?
Cindy Gallop: Nein, ich wollte die Pornoindustrie überhaupt nicht revolutionieren. MakeLoveNotPorn ist als totaler Unfall entstanden. Das hat alles vor sechs oder sieben Jahren angefangen. Ich gehe mit jüngeren Männern aus. Dabei ist mir etwas aufgefallen, was mir ohne die persönliche Erfahrung wohl nie aufgefallen wäre: Was nämlich passiert, wenn zwei bestimmte Dinge aufeinandertreffen - der komplett freie Zugang zu Hardcorepornos im Netz und die komplette Verweigerung unserer Gesellschaft, offen über Sex zu sprechen. Diese zwei Dinge zusammengenommen ergeben, dass Online-Pornos heute zur standardmäßigen sexuellen Aufklärung geworden sind. Ich dachte mir dann, dass wohl auch andere Menschen dieser Problematik begegnen würden und wollte etwas daran ändern. Und so habe ich vor etwa fünf Jahren die Webseite MakeLoveNotPorn.com ins Leben gerufen, wo realistische Informationen zum Thema Sex zu finden sind. Die Site habe ich dann in einem TEDTalk präsentiert - wobei ich sehr offen gesprochen habe.
Was ist seither auf der Plattform passiert?
Nach dem TEDTalk hat MakeLoveNotPorn international unglaublich viel Aufsehen erregt, sie wurde sozusagen “viral”. Aber das Beeindruckendste war: Jeden einzelnen Tag in den vergangenen fünf Jahren habe ich E-Mails bekommen - von Frauen, Männern, jungen und alten Menschen, von überall auf der Welt. Die Leute honorieren, dass ich mich damals so offen auf diese Bühne gestellt habe und ich gebe ihnen das Gefühl, dass sie mir alles sagen können, worüber sonst nie jemand spricht. Mir ist dadurch bewusst geworden, dass ich eine Verantwortung trage und so wollte ich dieses Projekt noch einen Schritt weiterbringen.
Wie sind Sie dieser Verantwortung begegnet?
Grundsätzlich möchte ich einmal festhalten, dass ich nicht gegen Pornografie bin. Das Problem, das ich angehe, sind nicht die Pornos. Das Problem ist, dass in der Realität einfach nicht offen und ehrlich über Sex gesprochen wird. Wenn wir so eine offene Diskussion hätten, dann würde das neben anderen Vorteilen auch jenen bringen, dass sich die Leute Pornos im Internet auch mit einer anderen Mentalität anschauen würden. Unser grundlegender Ansatz mit MakeLoveNotPorn war also, offen über Sex zu sprechen - in der Öffentlichkeit ebenso wie im Privaten, in einer Beziehung. Ich habe also alle Dynamiken hergenommen, die es in der Social Media-Welt gibt, und diese auf das eine Gebiet angewandt, das von keinem anderen Social Network angetastet wird: Sex. Ich wollte Sex sozial und Sex aus dem echten Leben sozial akzeptiert machen. Daher sollte das auch genauso sozial zu teilen sein, wie alles andere, was Leute auf Tumblr, Twitter oder Facebook sharen.
Und so kamen dann die Sex-Videos hinzu?
Vor ungefähr neun Monaten haben mein Team und ich als Folge dieser Überlegungen beschlossen, MakeLoveNotPorn.tv ins Leben zu rufen - eine Videosharing-Plattfrom mit nutzergenerierten Inhalten, die realen Sex feiert. Jeder auf der Welt kann mitmachen, mein Team und ich kuratieren die Videos. Das ist hier kein Youporn oder ähnliches, man kann nicht einfach etwas uploaden. Es geht nicht darum, vor der Kamera zu performen, sondern schlichtweg aufzunehmen, was tatsächlich passiert - Sex in all seinen herrlichen, witzigen und chaotischen Formen.
Welches Geschäftsmodell steckt hinter MakeLoveNotPorn?
Wir teilen die Umsätze. Mein Grundsatz lautet: Shared Value, Shared Action, Shared Profit. Man bezahlt für die Videos, die man online anschauen will. Gleichzeitig profitiert man, wenn man mit eigenen Videos etwas beiträgt.
Sie sprechen ständig über “realistischen Sex”, wie definieren Sie das? Kann man so etwas überhaupt definieren?
Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele, was wir damit meinen. Viele Leute verstehen nicht, was wir machen und urteilen über uns. Es heißt dann, ihr macht doch auch Pornos, doch was wir machen, ist nicht Pornografie, es ist realistischer Sex. Wir haben die Plattform geschaffen, wir definieren nicht, was echter Sex ist, sondern die Menschen da draußen. Unsere Community zeigt uns, was realer Sex ist. Aber dennoch, ich versuche zu erklären, was ich meine: Realistischer Sex ist lustig, Sex in der Pornowelt ist nicht lustig. Was wir wollen, ist den Leuten versichern: Der gleiche Scheiß passiert uns allen. Nehmen wir nur den Albtraum mit dem Kondom-Anziehen. Männern wird immer vorgemacht, das müsse wie durch Magie funktionieren, wie wir alle wissen, tut es das meistens nicht. Man verheddert sich, die Spannung lässt nach, die Gedanken schweifen ab. Wir wollen auch eine Anlaufstelle für die lustigsten Homevideos sein. Wenn Leute sich beim Sex filmen, sieht man leider nie die Outtakes, aber da gibt es einen Markt.
Realistischer Sex ist chaotisch. Es belustigt mich immer, wenn die Leute sagen, Pornos seien “schmutzig”. Tatsächlich aber ist es anders: Pornografie macht Sex steril. In Pornos hat niemand Haare, man sieht nie jemanden tatsächlich Gleitgel benutzen, auch wenn Unmengen davon am Set benutzt werden. Man sieht nie die unkoordinierten Momente dazwischen. Wir wollen Sachen sehen wie Sex während der Periode, Dinge die es im echten Leben gibt.
Wie bringen Sie Ihre User dazu, solche Videos zu veröffentlichen?
Sex in der realen Welt ist auch verantwortungsvoll. In Pornos sieht man entweder gar keine Kondome oder sie sind wie durch Fingerschnippen plötzlich dran. Wir laden also zum Beispiel dazu ein, die heißesten, erregendsten realistischen Sexvideos beizusteuern, die zeigen, wie ein Kondom angezogen wird. Wir wollen kreative Ideen sehen, wie man aus diesen peinlichen Momenten, sexy Momente machen kann. Wenn wir alle mehr kreative Ideen hätten, wie wir eben diese Momente erregender machen können, dann würde auch mehr geschützter Geschlechtsverkehr stattfinden und es würde weniger ungewollte Schwangerschaften geben.
Wir versuchen überhaupt nicht, mit Pornografie zu konkurrieren. Wir sind nicht einfach Masturbationsmaterial. Jeder will wissen, was alle anderen wirklich im Bett machen - und niemand weiß es. Wir zeigen es. Ein junger Mann, eines unsere Mitglieder hat einmal gemeint: Wenn ich Pornos schaue, will ich wichsen. Wenn ich eure Videos schaue, will ich Sex haben. Wir sind wie andere Plattformen dazu da, Verbindungen zu schaffen. Wir erzeugen eine “sexuelle soziale Währung”. Wir verbinden Menschen, um besseren Sex und ein besseres Leben zu haben.
Wie oft kommt es vor, dass Sie Videos ablehnen? Welche Kritieren werden angewandt?
Ich will niemandes Videos ablehnen, aber manchmal muss ich. Dafür gibt es eigentlich drei Hauptgründe: Ein Grund ist, wenn zu viele Pornografie-Anleihen genommen werden. Weil Pornografie heute so allgegenwärtig ist im Internet, haben die Leute das auf eine Art verinnerlicht. Sie glauben, dass realistischer Sex so auszusehen hat. Daher sagen wir den Leuten, sie sollen dem Sex Kontext geben: Schaltet die Kamera so früh wie möglich an und lasst sie so lang wie möglich nach dem Sex noch laufen. Denn echter Sex hat eine Hintergrundgeschichte. Der zweite Grund ist: Wenn Videos einfach so schlecht gefilmt sind, dass man nichts mehr erkennen kann. Es geht uns nicht um Produktion, aber manchmal sind die Videos so dunkel, dass man einfach gar nichts mehr sieht. Der dritte Grund ist leider auch recht deprimierend: Wenn urheberrechtlich geschützte Musik verwendet wird, zum Beispiel im Hintergrund das Radio läuft, dann müssen wir die Videos leider ablehnen. Wir können da leider kein Risiko eingehen.
Wie viele aktive Mitglieder hat ihre Plattform mittlerweile?
Nach neun Monaten Betaphase haben wir jetzt 170.000 Mitglieder und eine geringere Zahl an aktiven Usern, die Videos mieten. Man kann sich gratis anmelden und kurze Teaservideos schauen. Alles andere ist kostenpflichtig. Wir sind eine internationale Seite, nicht zuletzt, weil wir sehr viel mediale Aufmerksamkeit erhalten. Wir bemerken immer, wenn jemand etwas über uns publiziert in einem bestimmten Land. So haben wir mittlerweile zum Beispiel auch Nutzer in Indien, die sich aufgrund der wirtschaftlichen Situation aber sowas gar nicht leisten können.
Wie hoch ist der weibliche Anteil bei den Mitgliedern?
Wir sammeln keine genauen Daten im Moment, aber ich würde sagen, etwa zwei Drittel unsere Mitglieder sind Männer, ein Drittel Frauen. Dazu muss man aber auch sagen, dass viele Paare die Videos gemeinsam schauen, es hat sich aber der Mann angemeldet. Was mir wichtig ist: MakeLoveNotPorn ist geschlechtergleichberechtigt. Frauen betrifft das Thema ganz genauso wie Männer, sie sind ebenso von Pornografie beeinflusst wie Männer.
In der Regel werden von der Pornoindustrie doch vorwiegend Männer bedient, das heißt, Ihre Webseite richtet sich aber auch nicht explizit an ein weibliches Publikum?
Ich wehre mich stark gegen den Begriff “Porno-Feministin”. Denn das würde bedeuten, dass Männer es nicht mögen. Ich gebe gerne das Beispiel, wie MakeLoveNotPorn aussieht. Es ist ein Unternehmen, das von einer Frau ins Leben gerufen, von Männern mitbegründet und einem mehrheitlich weiblichen technischen Team designt wurde. Pornografie hat noch nicht einmal damit begonnen, die weibliche Lust am Sex wirklich zu nutzen. Und Männer haben noch gar nicht begriffen, wie scharf und erregend sie das finden würden. Weibliche Pornografen machen wirklich interessante Pornos und wenn mehr Männer damit in Berührung kämen, würden sie sagen: Fuck, das ist heiß.
Wenn Sie sich selbst betrachten - als Frau die gleich in zwei Männerdomänen, der Tech- und der Pornobranche aktiv ist, sehen Sie sich besonderen Herausforderungen gegenüber?
Ja natürlich bin ich mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Ich repräsentieren sozusagen das Paradebeispiel von “unfinanzierbar”, denn ich bin eine Frau und ich bin älter. Niemand wollte mein Projekt unterstützen. Es reden die weißen Männern mit den anderen weißen Männern.
Welchen Rat würden Sie jungen Frauen geben, die zum Beispiel ein Start-up gründen wollen?
Ganz einfach: Macht es. Die einzige Person, die für einen etwas bewegen kann, ist man selbst.
Hat das Internet, die zahlreichen sozialen Plattformen von Facebook bis YouTube, aus Ihrer Sicht die Art und Weise, wie wir Beziehungen führen, verändert?
Ich würde sagen, es geht wie immer nicht darum, was man hat, sondern was man damit macht. Die Menschen haben über die Jahrhunderte hinweg unterschiedliche Mittel genutzt, um Romanzen, Sex, Zusammenleben zu ermöglichen. In dieser Hinsicht haben wir es also mit nichts Neuem zu tun. Es geht dann eher darum, wie man damit umgeht.
Wie beeinflusst das Netz die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen?
Achtjährige kommen heute im Internet zum ersten Mal mit Pornos in Kontakt. Und das ist nicht, weil sie danach suchen. Wir haben es mit der am stärksten vernetzten Generation aller Zeiten zu tun. Wenn die Kinder ein neues unartiges Wort lernen, das sie nicht kennen, googeln sie es. Penis - und zwei, drei Klicks entfernt findet sich ein pornografisches Video. Das ist einfach ein Faktum. Genau deshalb können wir es uns nicht leisten, mit Sex und Pornografie weiterhin so umzugehen, wie wir es bisher getan haben. Weniger als fünf Prozent der Eltern reden überhaupt jemals mit ihren Kindern über Sex. Man kann aber nicht verhindern, dass sie im Internet in Kontakt damit kommen.
Wie soll man also damit umgehen?
Man kann es nicht verhindern. Es geht auch überhaupt nicht darum, die Kindern zu beschützen. Es geht darum, was fehlt. Es gibt keinen Kontrapunkt in der realen Welt. Ich sage Eltern daher, man kann nicht früh genug damit anfangen, mit den Kindern über Sex zu sprechen. Es geht nicht einmal darum, was man sagt, sondern auf welche Art und Weise man es sagt. Grundlegend ist: Niemals wütend werden, niemals beschämt sein, niemals versuchen, die Kinder zum Schweigen zu bringen. Man muss sich öffnen und einen gesunden Dialog finden.