Eine 83-jährige Niere kann sehr fit sein
Von Ernst Mauritz
Es ist eine sehr positive Nachricht: „In Österreich sind 50 Prozent der Menschen mit chronischem Nierenversagen erfolgreich transplantiert worden“, sagt Transplantationschirurg Univ.-Prof. Ferdinand Mühlbacher, Leiter der Uni-Klinik für Chirurgie der MedUni Wien. „Das ist weit mehr als anderswo.“ Die Lebensqualität ist mit einer Spenderniere höher als bei der Dialyse („Blutwäsche“). AKH-Chirurg Mühlbacher war einer der Referenten bei den „Wiener Gefäßgesprächen“ 2013.
Rund zehn Jahre beträgt die durchschnittliche Lebensdauer von Nieren toter Spender – vielfach ist es deutlich länger. Bei Lebendnieren sind es durchschnittlich 15 Jahre: „Die mussten nicht den Stress des hormonellen Gewitters des Todes mitmachen.“ 8500 Menschen leben in Österreich mit einer Dialyse oder einem funktionierenden Nierentransplantat. „Seit 2002 hat die Zahl der Patienten um zirka 33 Prozent zugenommen“, sagt Prim. Priv.-Doz. Afshin Assadian, Leiter der Gefäßchirurgie am Wilhelminenspital Wien und wissenschaftlicher Sprecher des „Gefäßforum Österreich“. „Aufgrund der steigenden Zahl an Menschen mit Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes und höherem Alter wird die Zahl der Dialysefälle weiter steigen.“
Das erhöht aber auch die Nachfrage nach Organen – „die Wartezeit auf eine Niere ist von früher eineinhalb auf derzeit fast drei Jahre im Schnitt gestiegen, 800 Patienten sind auf der Warteliste“, so Mühlbacher: „Diese Zahl bleibt konstant.“ Gleichzeitig steigt das Durchschnittsalter der Spender (von früher rund 40 bis 45 auf derzeit bereits 55 Jahre) und Empfänger: „Die älteste Niere, die wir transplantiert haben, war 83 Jahre alt – wobei nicht die Zahl der Jahre, sondern das biologische Alter zählt. Mit neuen Testverfahren für die Organe werden wir den Altersbereich noch mehr ausweiten können.“
416 Nieren wurden 2011 in Österreich transplantiert, 55 stammten von lebenden Spendern. „Diese könnte noch mehr sein – prominente Aushängeschilder wie Altbundeskanzler Franz Vranitzky (siehe „Gefragt“ unten, Anm.) wären ja da“, sagt Mühlbacher. Auch Ärzten müsse die Möglichkeit einer Organspende noch mehr bewusst gemacht werden: „Sie scheuen sich oft, bei einem Todesfall das Thema mit den Angehörigen abzuhandeln. Aber nach einem Gespräch sind die meisten damit einverstanden. Bei dieser Vorgangsweise verlieren wir nur zirka zehn Prozent der möglichen Spender.“ – „Ein Problem ist auch, dass wir als Ärzte für solche Situationen nicht ausgebildet werden“, sagt Assadian. „Und vielfach mangelt es auch an Wissen.“
Blutgruppen kreuzen
Mühlbacher: „Es hat sich noch nicht überall herumgesprochen, dass wir beute bei Lebendspenden nach Vorbereitung des Empfängers auch die Blutgruppen kreuzen können – auch nicht unter allen Ärzten. Vor Kurzem habe ich einer 50-jährigen Frau mit Blutgruppe A eine Niere ihrer Mutter mit Blutgruppe null transplantiert. Sie war zehn Jahre nur deshalb an der Dialyse, weil man ihr gesagt hat, diese Transplantation sei nicht möglich.“
Info: Aufklärung über Gefäßleiden
Statistik Ende 2012 lebten in Österreich 4238 Dialysepatienten und 4220 Patienten mit einer transplantierten Niere (laut Österr. Dialyse- und Transplantationsregister). Bei zehn Prozent der Bevölkerung ist die Nierenfunktion eingeschränkt.
Verein Das Gefäßforum Österreich ist ein gemeinnütziger Verein, der sich der Information und Aufklärung sowie der Förderung von Forschung, Diagnose und Therapie rund um Gefäßleiden wie jenen der Niere widmet. www.gefaessforum.at
Altbundeskanzler Franz Vranitzky zählt zu den Unterstützern des gemeinnützigen Vereins „Gefäßforum Österreich“. Er spendete 2005 seiner Frau Christine eine Niere.
KURIER: Wenn Sie zurückblicken: Hätten Sie auch mit Ihrer Erfahrung seither so gehandelt?
Franz Vranitzky: Selbstverständlich. Ich habe es nie bereut. Und meiner Frau Christine geht es sehr gut. Nur ein zweites Mal kann ich es halt nicht machen (lacht). Aber bei einer Lebendspende gehen die Ärzte von einer sehr langen Funktionsdauer der Niere aus. Meine Frau bekam ja Ende der 80er-Jahre eine Niere von einem toten Spender. Diese hielt bereits 18 Jahre. Damals lautete der medizinische Befund übrigens, dass ich nicht als Spender geeignet bin, und 2005 war es dann möglich – das war eine kopernikanische Wende in unserem Leben.
Hatten Sie je Beschwerden, die auf die Spende zurückgingen?
Nein. Ich lebe wie ich vorher auch gelebt habe. Die Organspende hat mich gesundheitlich überhaupt nicht beeinträchtigt.
Ähnlich wie Birgit Lauda sind Sie für viele, die einen derartigen Schritt überlegen, ein Vorbild.
Ich habe schon Menschen, die in einer ähnlichen Situation waren, erzählt, wie es mir und meiner Frau vorher und nachher gegangen ist, wie es medizinisch und psychisch für uns beide war, dass ich keine Beschwerden gehabt habe. Vielleicht habe ich damit einen kleinen Beitrag geleistet, dass sie sich dann zu diesem Schritt entschieden haben.
Welche Reaktionen haben Sie seit 2005 erlebt?
Ich kenne schon mehrere Menschen die sagen, „ich bewundere, dass du das gemacht hast – aber ich hätte das nicht gekonnt“. Sicher hängt – wenn es den Partner betrifft – die Entscheidung auch von der Harmoniestufe in einer Beziehung ab. Möglicherweise gehört auch ein wenig Courage dazu, schließlich ist es ja doch kein unbedeutender Eingriff. Und es wird natürlich bei einer solchen Entscheidung auch das individuelle persönliche Ausmaß an Solidarität mit anderen Menschen angesprochen, denn es gibt ja nicht nur Transplantationen zwischen Ehepartnern.
Spender und Empfänger achten sehr auf die Gesundheit, etwa den Blutdruck, um ihre Niere keinem Risiko auszusetzen.
Leider reduziert ja der Umstand, dass die Medizin immer mehr kann, bei gar nicht so wenigen Menschen die Motivation, gesund zu leben. Viele sagen sich, wenn mir etwas passiert, kann ich das schon behandeln lassen. Im Gegensatz dazu ist bei Organspendern und -empfängern ein ganz anderes Maß an Bewusstsein vorhanden.