Start-ups: Zu viel des Booms?
Von Sandra Baierl
Start-ups stehen in Österreich weit oben auf der politischen Agenda, finden auch medial viel Beachtung. Harald Mahrer hat sich das Start-up-Thema auf die Fahnen geheftet, seit er 2014 das Amt des Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium übernahm. Bundeskanzler Kern tritt gern bei Start-up-Events wie etwa dem Pioneers-Festival in der Wiener Hofburg auf und rief im Sommer 2016 mit der ÖVP ein Start-up-Paket aus: 185 Millionen Euro für verbesserte Rahmenbedingungen. Im Fernsehen pitchen Start-ups medienwirksam in zwei Minuten um zwei Millionen Euro. Die Wirtschaftskammer veranstaltet immer wieder sogenannte Pitching Days, Reisen, wo Start-up-Gründer in New York oder Tel Aviv oder London vor Investoren um Geld buhlen. "Wenn man von einem Boom spricht, ist das sicher keine Übertreibung", sagt selbst Andreas Tschas, der in der Wiener Hofburg das internationale Start-up-Festival Pioneers veranstaltet.
Alles relativ
Just die Interessensvertretung für die Unternehmer, die Wirtschaftskammer Österreich (WKO), hat jetzt eine Studie veröffentlicht, in der die Relevanz von Start-ups relativiert wurde. Oder, wie es die Projektverantwortliche Elisabeth Zehetner-Piewald, Geschäftsführerin in der WKO und für EPU zuständig, ausdrückt: "Um in der Öffentlichkeit die Größenordnung zwischen Start-ups und normalen Gründungen wieder zurecht zu rücken." Man habe in letzter Zeit das Gefühl, es gibt nur noch Start-ups und der klassische Unternehmer ist einer zweiter Klasse, sagt sie.
Demnach gibt es jedes Jahr lediglich 500 bis 1000 Start-up-Gründungen in Österreich. Umgelegt auf die Gründungsstatistik der Wirtschaftskammer Österreich sind das rund 1,5 bis 3 Prozent aller Neugründungen der gewerblichen Wirtschaft. Eine quantitative Hochrechnung der Gesamtpopulation an Start-ups ist schwierig bis unmöglich, die Studienautoren schätzen den Bestand derzeit auf 2000 bis 4000 Start-ups in Österreich.
Es ist also eine überschaubare Community – an Start-up-Gründern und an Investoren. Der bekannte Business-Angel Hansi Hansmann drückt es in einem KURIER-Interview so aus: "Die österreichische Start-up-Szene ist lieb; lieb und nett – aber nicht mehr." Für eine relevante Größenordnung müsste es "20, 30, 40 Player wie mich, Oliver Holle und Michael Altrichter geben", so Investor Hansmann.
Es sind also immer noch die klassischen Klein- und Mittelbetriebe, die die heimische Unternehmerlandschaft ausmachen. "Wir wollen mit der Studie zeigen, dass das Rückgrat der Wirtschaft die klassischen Unternehmen sind. Jene, die einen moderaten und stetigen Entwicklungslauf nehmen und auch nicht als primäres Ziel einen Exit anstreben", sagt Zehetner-Piewald.
Große Geschichten
Start-ups als kleiner Teilbereich der Wirtschafts ziehen trotzdem viel Aufmerksamkeit auf sich. Laut Experten ist das vor allem durch einige sehr imposante Firmenverkäufe entstanden. Pioneers-Initiator Andreas Tschas verweist auf die großen Exits in Europa und den USA. "Wenn sowas gelingt, sind das große Geschichten", sagt er. Das Geschichten sei interessanter als der Krämerladen ums Eck. Und die Politik zieht es eben dorthin, wo die Aufmerksamkeit ist. Bei den Vergleichen mit den klassischen Unternehmen müsse man aber vorsichtig sein. "Start-ups sind hochrisikoreich, aber eine Chance, die man unbedingt wahren müsse", so Tschas. Er gesteht aber ein: "Der Begriff Start-up wird inflationär verwendet – weil es einfach cool klingt."
weXelerate-Initiator Hassen Kirmaci , der gerade am neuen Start-up-Zentrum im Wiener Nouvel Tower arbeitet, will von einem Hype nichts wissen. "Davon sind wir noch weit weg. In vergleichbaren Städten ist die Start-up-Szene viel größer", sagt Kirmaci. Den Fokus der Politik hält er für gerechtfertigt, "weil bei den Start-ups das Wachstum liegt, nicht bei den klassischen Unternehmen. Start-ups sind Innovatoren und Vorreiter, weil sie in lukrativen Nischen arbeiten."
Eine genaue Definition für ein Start-up bietet die KMU Forschung Austria. Demnach ist ein Start-up ein Unternehmen, das jünger als zehn Jahre alt ist; ein signifikantes Umsatz- und/oder Beschäftigungswachstum anstrebt oder aufweist; eine (technologische) Innovation eingeführt hat oder mit einem innovativen Geschäftsmodell operiert. Das Geschäftsmodell eines Start-up ist zudem skalierbar, die Internationalisierung ist Teil des Business Plans und es ist exitgetrieben, das heißt: der lukrative Verkauf des Unternehmens ist klar als Ziel definiert. Start-up-Unternehmungen sind risikoreich und operieren mit Risikokapital (Venture Capital).
Alles Start-ups?
Rund 24 Prozent aller Start-ups nützen Venture Capital (Risikokapital), 21 Prozent haben einen oder mehrere Business Angels, 55 Prozent der Start-ups erhalten öffentliche Förderungen. Dass es die jungen Unternehmen mit der Definition von Start-ups nicht ganz so genau nehmen, zeigt ein Blick auf die Crowdinvesting-Plattform Conda, wo „Start-ups“ um Risikokapital für ihre Unternehmung werben.
Da ist das – klassische – Hotelprojekt „Adeo“ (bisher 550.000 Euro gesammelt) der beiden Ex-Skirennläufer Rainer Schönfelder und Hermann Maier ebenso so zu finden, wie die Jeans-Hosen-Schneider „Gebrüder Stitch“ (bisher 78.000 Euro gesammelt), die nach ihrer Pleite im vergangenen Jahr mit dem gleichen Geschäftsmodell wieder auf den Markt wollen und um Investitionskapital buhlen. „9Weine“ (bisher 251.000 Euro gesammelt) ist ein Weinhändler, der online operiert, „Opilomed“ (bisher 136.000 Euro gesammelt) ein Kamm zum Haarefärben, Kreutzer Gourmet (bisher 306.000 Euro gesammelt) ein Online-Fleischhändler. Durchwegs Firmen also, die in bekannten, klassischen Unternehmensfeldern operieren und die Kriterien eines Start-ups nur zum kleinen Teil erfüllen.
Mehr Transparenz
Einen Teil des Start-up-Hypes machen die vielen Kleininvestoren aus, die sich über Crowdfunding an Start-ups beteiligen. Die Österreichische Arbeiterkammer zeigte sich bereits 2014 um die Sicherheit dieser Kleininvestoren besorgt und brachte eine 60 Seiten starke Studie über „die Risiken und Nebenwirkungen“ von Crowdfunding heraus. Auf den diversen Crowdfunding-Plattformen ist seither klar ausgeschildert, was es bedeutet in ein „Start-up“ zu investieren. Im Wortlaut: „Der Erwerb dieser Vermögensanlage ist mit erheblichen Risiken verbunden und kann zum vollständigen Verlust des eingesetzten Vermögens führen. Im Sinne der Risikostreuung sollten möglichst nur Geldbeträge investiert werden, die in näherer Zukunft auch liquide nicht benötigt bzw. zurückerwartet werden."
Auf die Frage, was willst du werden, antworten viele Jugendliche schon reflexartig mit „Start-up“. Kein Wunder: Beinahe jede halbwegs gut formulierte 4.0-Geschäftsidee aus dem Wirtschaftskunde-Unterricht erhält Steuergeld zwecks möglicher Verwirklichung. Die besten Kommunikatoren dürfen auf Staatskosten zu Gleichgesinnten ins Ausland jetten oder in seltsamen TV-Casting-Shows Investoren um Millionen „anbetteln“. Um den experimentierfreudigen Nachwuchs nicht gleich in die brutale Realität zu werfen, errichtet Vater Staat jetzt mit privaten „Business-Engeln“ sogar einen Groß-Brutkasten namens weXelerate.
Was kommt als Nächstes? Unbefristete Stipendium-Verlängerung für alle gründungsfreudige Uni-Absolventen? Staatliche Bestandsgarantie für die ersten drei Geschäftsjahre? Lohnnebenkostenbefreiung ein Leben lang? Gänzlicher Schuldenerlass nach dem Scheitern? Die erste Pleite übernimmt der Staat, Hauptsache null eigenes Risiko, null eigenes Geld, null eigene Verantwortung. Der Förderwahn gleicht einer Überfütterung von vielen kleinen Fischen in einem virtuellen Aquarium. Devise: Schauen wir einmal, ein paar Schlaue werden den Sprung hinaus – in die Realität! – schon schaffen. Bis dahin haben wir unsere Freude und die Politiker können schöne Reden darauf schwingen, wie innovationsfreundlich sie sind.
Was beim Start-up-Hype völlig übersehen wird: Die meisten Neugründungen finden ganz woanders und völlig ohne Förderung statt. Führend ist das klassische Handwerk und Gewerbe. öhne und Töchter übernehmen den Betrieb ihrer Eltern, führen ihn mit neuen Ideen weiter und bilden auch Lehrlinge aus. Diese wichtigen Übernahmen werden leider seltener. Warum wohl?
- Anita Staudacher