Siemens eröffnet die „digitale Fabrik“
2013 wurde auf der Hannover Messe zum ersten Mal von Industrie 4.0 gesprochen. Nach fünf Jahren Entwicklungsarbeit hat Siemens auf der heurigen Ausgabe der Messe der breiten fentlichkeit ein Konzept vorgestellt, das aus einem herkömmlichen Werk eine „digitale Fabrik“ macht. „Es geht um Konkurrenzfähigkeit, Flexibilität und mehr Individualität“, sagt Kurt Hofstädter, Leiter Digital Factory CCE bei Siemens Österreich. Während im privaten Bereich Digitalisierung längst Einzug gefunden habe, sei das in der Industrie bisher noch nicht so stark der Fall gewesen.
Bei dem Konzept „Digital Enterprise“ geht es nicht nur um einzelne Maschinen, sondern um ganze Fabriken, die virtuell konzipiert, getestet und gesteuert werden. Es entsteht ein „digitaler Zwilling“ eines ganzen Produktionsprozesses oder eines Produkts, wodurch die Produkteinführungszeit verkürzt, die Kosten gesenkt und kleinere Chargen möglich werden. Aufwendige Prototypen werden mit der digitalen Fabrik nicht mehr benötigt.
Digitaler Rasen
Der Kunde kann sich das Ergebnis mittels Virtual-Reality-Brille ansehen. Er kann auch seine eigenen Produkte in digitaler Form mitbringen, in den neuen virtuellen Produktionsprozess integrieren und testen. Auch können in der virtuellen Fabrik Produkte entwickelt werden. Siemens hat dem aber noch eine weitere Ebene eingefügt. Auf der Plattform „MindSphere“ hat jeder, der Software entwickeln kann, die Möglichkeit, Applikationen zu teilen und zu verkaufen.
Die Maschinen werden so mit einer Cloud verbunden, aus der sie laufend neue Daten beziehen. Ein Beispiel dafür ist die Kooperation mit dem Fußballklub Bayern München, erzählt Bernhard Kienlein, Chef der Antriebs- und Prozessindustriesparte bei Siemens Österreich. Der Rasen des Stadions ist mit Sensoren bestückt, die Alarm schlagen, wenn es an Wasser oder Dünger mangelt. „Aktuelle Daten, wie der Wetterbericht, Länge der Grashalme, Feuchtigkeit und Sonneneinstrahlung werden laufend eingespielt“, sagt Kienlein.
Große Chance
Auch Edge Computing, wo Daten direkt an der Maschine generiert werden, 3-D-Druck und ein umfassendes Security-Service, das für die Datensicherheit garantieren soll, sind Teil des Konzepts. Die „digitale Fabrik“ kann in jeder produzierenden Branche umgesetzt werden, vom Getränkeabfüller, Lackproduzenten, Holzverarbeitungsunternehmen bis hin zum Autobauer oder Flugzeughersteller.
Für Österreich ist der Trend zur Digitalisierung ein Segen, meint Hofstädter. Österreich sei eines der führenden Industrieländer in der Produktion – er spricht damit Anlagen-, Maschinen- und Werkzeugbauer an. „Da sind wir Weltspitze. Um das zu erhalten, müssen wir für die digitale Welt fit sein.“
Die Digitalisierung koste keine Arbeitsplätze, im Gegenteil. Einfache Jobs würden durch anspruchsvolle ersetzt. Der Roboter mache die Schwerarbeit, der Mensch die komplexen Aufgaben. Die Industrie suche Hunderte Leute, doch: „Wir haben zwar eine gute Ausbildung, aber zu wenig Junge, die sich für das Thema interessieren.“ Technik sollte in der Schule eine viel größere Rolle spielen als bisher.
Wettlauf mit China
Um weiterhin vorne mitzuspielen, müsse die Politik in Europa ein kreatives Umfeld schaffen, und nicht nur Budget zur Verfügung stellen, meint Jürgen Brandes, CEO der Division Process Industries and Drives der Siemens AG. In Österreich herrsche weniger Diskrepanz zwischen Politik und Industrie als in Deutschland. Das Europäische Forum Alpbach ist für ihn ein positives Beispiel.
Mehr Dynamik bei Themen wie künstliche Intelligenz sei allein schon wegen der großen Ambitionen Chinas notwendig. Dort seien allein für dieses Thema 2000 Professorenstellen geschaffen worden, die Studenten würden geradezu gedrillt.
Der KURIER war auf Einladung von Siemens in Hannover.