Parteilose Experten übernehmen die Macht
Von Stefan Galoppi
Sie sind Wirtschaftsprofessoren, über 60, gehören keiner Partei an und sollen ihre jeweilige Heimat aus einer tiefen Krise führen - die Parallelen zwischen Lucas Papademos und Mario Monti stechen ins Auge.
Der eine stellte am Freitag in Athen die Mitglieder seiner Übergangsregierung vor, die Griechenland vor der Pleite retten soll. Der Sozialist Evangelos Venizelos bleibt Finanzminister und Vizepremier, der Konservative Stavros Dimas wird Außenminister. Der andere debütierte am 11. 11. 2011 um 11 Uhr in Rom als frischgebackener Senator auf Lebenszeit im Oberhaus, wo das eilig geschnürte Sparpaket angenommen wurde, - und er gilt als hoch favorisierter Nachfolger von Skandal-Premier Berlusconi.
Prekäre Ausgangslage
Auch wenn der Wechsel an der Spitze der beiden Sorgen-Staaten für Erleichterung sorgt, stellt sich doch die Frage: Warum sollten nicht gewählte Experten schaffen, woran die gewählten Regierungschefs gescheitert sind? Die Ausgangslage für Papademos und Monti ist prekär: Sie müssen extrem unpopuläre Maßnahmen durchsetzen. Die ohnehin schon ausgebluteten Griechen müssen noch mehr sparen, Zehntausende Beamte sind zu entlassen, viele Staatsbetriebe zu verkaufen. In Italien stehen ebenfalls Privatisierungen, die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und die Erhöhung des Pensionsalters an - alles bisher massiv bekämpft.
Nur widerwillig beteiligen sich die bisher gescheiterten Parteien an den Übergangsregierungen. Sie wissen, dass man mit harten Maßnahmen nur verlieren kann. Ihre Zustimmung zu organisieren, wird die schwierigste Aufgabe der Experten-Premiers sein. Trotzdem spricht einiges für Papademos und Monti:
EU-Standing Als langjähriger Vizepräsident der Europäischen Zentralbank (2002-2010) kennt Papademos die europäischen Entscheidungsträger und Strukturen genau. Dasselbe gilt für Monti, der von 1995 bis 1999 EU-Kommissar für den Binnenmarkt und anschließend bis 2004 unerschrockener Wettbewerbskommissar war, der sich sogar mit dem Giganten Microsoft und der Autoindustrie anlegte.
Weiße Weste Der 64-jährige Grieche und der 68-jährige Mailänder Professor kommen weitgehend unbelastet ins Amt. In einer Zeit, in der die Bürger der politischen Kaste zutiefst misstrauen, können sie sich eher als nicht korrupt und nicht von Partei-Interessen gelenkt präsentieren.
Druck der Märkte Die internationalen Anleger haben gnadenlos die Schwachstellen der Schulden-Staaten aufgezeigt und die Umbrüche in Athen und Rom massiv beschleunigt. Sogar den jahrelang als unbezwingbar geltenden Silvio Berlusconi brachten sie zu Fall. Ihre Macht wird auch die politischen Parteien zwingen, den Reformkurs der Übergangspremiers zu halten.
Sündenbock-Bonus Papademos und Monti stehen nicht unter dem Druck, wiedergewählt werden zu müssen. Ihre Amtszeit ist befristet und sie können sie dazu nützen, echte Strukturänderungen einzuleiten.
Was von ihnen zu erwarten ist, zeigen schon ihre ersten Grundsatzerklärungen: Papademos legte ein klares Bekenntnis zum Euro als "Garantie der Geldwertstabilität und Faktor wirtschaftlicher Stabilität" für Griechenland ab. Monti sagte: "Schluss mit den Privilegien."
Expertenregierung: Eine seltene Species
Ungarn Als gelungenes Experiment kann die Expertenregierung unter Gordon Bajnai ('09/'10) bezeichnet werden. Dem Kabinett gelang es, den Staatsbankrott abzuwenden.
Tschechien Nachdem die Regierung just während des EU-Vorsitzes (2009) zerbrochen war, wurde der Chef des Statistikamtes, Jan Fischer, Premier und leitete die parteiunabhängige Regierung bis zu den Wahlen 2010.
Polen 2004 wurde der Wirtschaftsexperte Belka für 18 Monate Regierungschef.
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