Nestlé-Boss plädiert für Gentechnik
Von Paul Trummer
Er gilt als der mächtigste Mann in Europas Lebensmittelindustrie: Peter Brabeck-Letmathe, jahrelang Chef bei Nestlé, jetzt Verwaltungsrats-Präsident, kritisiert im KURIER-Interview die Verwendung von Nahrung als Biosprit, warnt vor neuen Hungerkrisen und bricht eine Lanze für die Gentechnik. KURIER: Wegen drohenden Missernten sehen wir aktuell einen heftigen Anstieg der Getreidepreise. Droht der Welt eine neue Hungerkrise?Peter Brabeck-Letmathe: Der große Umbruch ist 2008 passiert. In den 30 Jahren davor sind die Preise immer gesunken. 2008 sind sie um bis zu 300 Prozent in die Höhe geschossen – und sie sind hoch geblieben. Aktuell sehen wir wieder einen Anstieg, zum einen wegen der Trockenheit in wichtigen Anbaugebieten, zum anderen aufgrund der politischen Entscheidung, immer mehr Agrarrohstoffe zu Biosprit zu verarbeiten. Wir sind schon wieder mitten in der Krise und es ist klar, dass wir mit weiter steigenden Rohstoffpreisen zu rechnen haben. Welche Auswirkungen hat die Situation für Nestlé? Wir sind in der Lage, die Preise gut vorherzusagen. Durch Hedging können wir uns gegen Preissteigerungen abfedern. Das haben wir gemacht. Für 2012 erwarte ich daher keine Auswirkungen, ein weiterer Preisanstieg wird womöglich 2013 schlagend. Maissirup und Maisstärke sind zentrale Rohstoffe für Nestlé-Produkte wie Frühstücksflocken oder Babynahrung. Müssen sich die Konsumenten auf Preissteigerungen einstellen? Bei verarbeiteten Produkten schlägt sich der Preisanstieg auf den Rohstoffmärkten weniger stark durch als für Grundprodukte. Das Tragische ist, dass gerade die Menschen mit wenig Geld bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Grundnahrungsmittel ausgeben und damit am stärksten betroffen sind. Wer sich einen Nespresso leisten kann, wird die Steigerung kaum spüren. Mais ist auch wichtiger Rohstoff für die Biosprit-Produktion, die Sie oft kritisieren. Sollte man die in solchen Situationen zurückfahren? Man sollte die Produktion von Biosprit überhaupt zurückfahren. Grundsätzlich sollte es keine Verwendung von Lebensmitteln für Biokraftstoffe geben. Was nach der Ernte übrig bleibt, kann meinetwegen zu Biomasse werden. Aber Lebensmittel sind kein Mittel für das Überleben eines Motors.
Die Produktion von Biosprit aus Mais oder Palmöl ist sowohl in den USA als auch in Europa eine politische Entscheidung. Sehen Sie die Politik als direkte Konkurrenz beim Rohstoffeinkauf? Meine Forderung lautet: No Food for Fuel, also kein Essen für den Tank. Der Mangel an Grundnahrungsmitteln trifft die ärmsten Schichten der Bevölkerung am schwersten. Gleichzeitig ist Biosprit überhaupt nicht nachhaltig, wenn man bedenkt, dass für die Produktion von einem Liter Bioethanol über den gesamten Lebenszkylus 4600 Liter Wasser verbraucht werden. Auch beim Thema Gentechnik ist die Politik dominant. BASF hat wegen des harten Widerstandes den Abzug der Gentech-Forschung aus Europa angekündigt. Wie beurteilen Sie den Schritt ? Ich halte Europas Einstellung zu Gentechnik für einen Blödsinn. Hier trifft die Politik falsche Entscheidungen. Bis heute ist auf der Welt nachweislich noch kein Mensch an einem Gentechnik-Agrarprodukt gestorben. Wenn die Politik überzeugt ist, dass Gentechnik so schlecht ist für die Bevölkerung, müsste sie auf jedes Flugticket in ein Land, in dem Gentechnik weit verbreitet ist, eine Warnung draufschreiben.
Nestlé hat mit „Butterfinger“ den ersten Gentech-Schokoriegel in Deutschland auf den Markt gebracht und musste wegen heftiger Kritik wieder zurückrudern. Kann Nestlé in Europa auf Gentech-Produkte verzichten? Mit dem Butterfinger wollten wir damals eine Marke nach Europa bringen, die es hier nicht gab. Dabei haben wir einfach ein erfolgreiches US-Produkt in Europa angeboten. Heute haben wir in Europa kein Produkt mit Zutaten am Markt, die gentechnisch verändert wurden. Wir können selbstverständlich hier darauf verzichten. Kritik üben Sie auch immer wieder an der Verschwendung von Wasser. Wo orten Sie die größten Missstände? Die Landwirtschaft ist für 70 Prozent des weltweiten Wasserverbrauchs verantwortlich. Laut Studien verwenden wir 2,5-mal so viel Wasser bei der Bewässerung einer Pflanze als sie braucht. Probleme sehe ich auch bei der Energiegewinnung: Bei der Ölförderung kommt mit der Fracking-Technologie immer mehr Wasser zum Einsatz. Wie sieht denn die Wasserbilanz von Nestlé aus? Wir haben den Wasserverbrauch in den vergangenen Jahren kräftig reduziert. Früher brauchten wir 4,5 Liter Wasser, um einen Dollar zu verdienen. Heute sind wir bei 1,5 Liter. In Summe macht die Wasserabfüllung von Nestlé 0,0009 Prozent des weltweiten Frischwasser-Abzugs aus. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Sparte muss doch hohe Gewinne abwerfen? Ein Liter Nestlé Aquarel kostet ja um 300-mal mehr als ein Liter aus der Wasserleitung … Das Wassergeschäft ist eines der Geschäfte, das weit unter den üblichen Nestlé-Margen liegt. Ihr Vergleich hinkt: Wenn Sie einen Liter Wasser aus der Wasserleitung entnehmen, kostet es die Gesellschaft 300 bis 400 Liter Wasser. So viel wird täglich pro Person aufbereitet und geht in die Toilettenspülung oder in die Waschmaschine.
Zur Person: Peter Brabeck-Letmathe Nestlé ist der größte Nahrungsmittelkonzern der Welt. Gegründet 1905, beschäftigte Nestlé zuletzt 330.000 Mitarbeiter. Mit mehr als 6000 Marken erzielte der Konzern 2011 einen Umsatz von 69,6 Milliarden Euro. Peter Brabeck-Letmathe wurde 1944 in Österreich geboren. 1968 begann er bei Nestlé, ab 1997 war er Delegierter des Verwaltungsrats, also Vorstand. Seit 2005 leitet er den Verwaltungsrat. Kolportierte Gage: 6,9 Mio. Euro.
Umbau beim Nahrungsriesen
Die Nestlé S.A. mit Sitz in Vevey, Schweiz, ist der größte Nahrungsmittelkonzern der Welt. Nicht zuletzt Brabeck-Letmathe war es, der in seiner Rolle als Vorstandschef ("Delegierter des Verwaltungsrats) einen Wandel im Konzern einleitete. Neben der Produktion bekannter Marken wie Maggi, Nescafé, Nespresso, Beba oder Smarties versucht der Konzern auch, sich vom Lebensmittel- zum "Gesundheits- und Wellnesskonzern" zu wandeln.
"Die Gesundheitssysteme in den Industrieländern sind eigentlich Krankheitssysteme. Der Prävention wird viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt", argumentiert Brabeck-Letmathe die zuletzt erfolgten Zukäufe im Bereich "Health Science". "Mit unserer Health-Science-Division versuchen wir, durch die Entwicklung von Produkten präventiv mitzuhelfen, dass Menschen länger aktiv und gesund bleiben können. Wir haben Produkte, die helfen, Demenz und Alzheimer vorzubeugen. Oder wenn sie eine Krebsbehandlung erhalten, haben wir Produkte, die helfen, die oft starken Nebenwirkungen zu verringern." Der Anteil am Umsatz sei zwar noch nicht groß, "aber wir sehen sehr hohe Wachstumsraten".
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