Mehr Liegestühle für die Alpen
Von Simone Hoepke
Von wegen Skifahren! Selbst in St. Moritz sind nur noch vier von zehn Gästen Skifahrer, sagt Jürg Schmid, Chef des Schweiz Tourismus. "Die Jungen wollen und die Alten können nicht mehr Skifahren", spricht der Schweizer gelassen aus, was in manchen Tiroler Tälern an Gotteslästerung grenzt.
Die Alpen haben ein Nachwuchsproblem. Im Winter fehlt der Skifahrernachwuchs, im Sommer der Coolnessfaktor. Weltweit urlauben die Menschen lieber am Strand (28 Prozent Marktanteil) als am Berg (11 Prozent), sagt Schmid. Während weltweit neue Tourismusgebiete erschlossen werden, schrumpft die Bedeutung der Alpen im internationalen Konkurrenzkampf. Der Leidensdruck ist groß genug, dass Konkurrenten zusammenrücken. Graubünden, Tirol und Rhône-Alpes haben sich mit fünf weiteren Regionen zu Alpnet zusammengeschlossen. Gemeinsam kommen sie auf 245,3 Millionen Gästeübernachtungen – das sind zwei Drittel der Nächtigungen im Alpenraum. Jetzt hat Alpnet Marktforscher losgeschickt. Bis Herbst sollen sie herausfinden, wie man die Alpen am besten in Szene setzt. Die Vorstellungen reichen von Naturbelassenheit bis zu Snow-Fun-Parks.
"Wir müssen die Menschen so lange wie möglich auf der Piste halten. Frauen hören mit 60 Jahren zum Skifahren auf, Männer mit 65", sagt der Schmid. Schnellere Gondeln seien nicht die Lösung, sondern mehr Liegestühle auf Sonnenterrassen, viel Wellness und Kulinarik. Skifahren wird zum Wohlfühlurlaub. Heute kommen doppelt so viele Gäste zum Spazieren in der Winterlandschaft als noch vor 20 Jahren, sagt Schmid. Die gute Nachricht für Hoteliers und Gastronomen: Diese Gäste geben mehr aus. Die schlechte: Oft reisen Großeltern mit Kindern und Enkeln an – und alle erwarten ein passendes Angebot.
Schmid macht der Klimawandel sorgen – nicht nur in der Schweiz, sondern in Deutschland: "Wird es um zwei Prozent wärmer, sind 2030 nur noch 13 Prozent der deutschen Skigebiete schneesicher." Weniger Schnee heißt weniger Skifahrer und weniger Gäste aus Deutschland. Beschneite Pisten seien keine Lösung. "Für die Stimmung muss am Weg zum Restaurant der Schnee unter den Sohlen knirschen." Er hofft, dass die Erderwärmung zumindest auch etwas gutes haben wird: Um der Hitze im Sommer zu entfliehen, könnte es mehr Leute auf den Berg ziehen, hofft er.
Chinesen auf Alpen-Rallye schicken
Die Gäste bleiben immer kürzer in den Bergen. Damit müssen mehr Gäste anreisen, um die Nächtigungszahlen stabil zu halten. Schmid schielt auf die chinesische Oberschicht, in der Skifahren in Mode ist. Einziges Problem: Chinesen würden am liebsten alle Skiorte der Alpen in einer Woche abklappern. Also will Schmid Pakete schnüren. Heute Graubünden, morgen Zermatt, dann Sölden.
Der österreichische Touristiker Rudolf Tucek begrüßt die Idee, schränkt aber ein: "Wenn Asiaten eine Prominenten-Rallye in den Bergen machen, löst das nicht das Problem in den Alpen." Profitieren würden nur Nobelorte, deren Strahlkraft ohnehin bis China reicht. "Die Städte bieten ein Highlight nach dem anderen auf engsten Raum, in den Bergen kann man das nicht so leicht inszenieren. Nebenbei müssen wir auch noch aufpassen, dass sich niemand wehtut."
Mit der Urbanisierung steigt auch die Konkurrenz des Städtetourismus. "Städtereisende sind vor allem Menschen, die selbst in einer Stadt leben. Sie wollen in kurzer Zeit viele Erlebnisse kombinieren", sagt Schmid. Im Jahr 2030 werden geschätzte fünf Milliarden Menschen in Städten wohnen.